Johanna Mikl-Leitner
Auf Pläne zu reagieren, die es nicht gibt, das passierte in jüngster Vergangenheit Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Ob das berühmte Zitat "Politik ist die Kunst des Möglichen" tatsächlich von Otto Bismarck stammt oder doch vom Historiker Friedrich Christoph Dahlmann, gilt als umstritten. Faktum ist, dass es bis zum heutigen Tag Politiker zu Neuinterpretationen inspiriert. Die originellste der jüngsten Vergangenheit stammt von Johanna Mikl-Leitner. Die niederösterreichische Landeshauptfrau erklärte, dass sie eine von Umweltministerin Leonore Gewessler geforderte Abschaffung der Pendlerpauschale nicht zulassen werde. Daraufhin mit der Tatsache konfrontiert, dass Gewessler diese Forderung nie erhoben hat, antwortete Mikl-Leitner: "Bei den Menschen ist das schon so angekommen."

Politik als "Kunst des Möglichen" wird hier also als Auftrag zur Fiktionalisierung von Politik verstanden. Das Reagieren auf Pläne, die jemand nicht hat, aber vielleicht haben könnte, erspart möglicherweise auch das Reagieren auf Pläne, die real existieren und vorgebracht werden. So wäre auch die im Vergleich eher verhaltene Reaktion der Landeshauptfrau auf die verkehrspolitischen Zielsetzungen ihres Koalitionspartners zu erklären. Ihr Stellvertreter Udo Landbauer forderte ja tatsächlich die Erhöhung des Tempolimits für niederösterreichische Autobahnen auf 150 km/h. Eine Idee, die in der Welt von heute ähnlich wirkt wie die Einführung einer Empfehlung von Asbest in behördlich festgelegten Bauordnungen. Erstaunlich, dass Landbauer nicht auch noch ein Liederbuch zur Kampagne veröffentlicht hat ("Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen auch 170 km/h").

"Maßnahme gegen Inflation"

Die bemerkenswerteste Reaktion auf seine Forderung bekam er jedenfalls nicht von Mikl-Leitner, sondern vom oberösterreichischen FPÖ-Verkehrslandesrat Günther Steinkellner. Dieser verteidigte in einer offiziellen Presseaussendung die Idee Landbauers mit einer These, die in ihrer ganzen Pracht mit den Attributen "unkonventionell" oder "anti-mainstream" nur unzureichend beschrieben ist: Tempo 150 ist laut dem Verkehrslandesrat "eine Maßnahme gegen Inflation".

Da muss man erst einmal draufkommen. Für all jene, denen sich die rationale Grundlage dieses Gedankens nicht auf Anhieb erschließt, hat Herr Steinkellner dankenswerterweise noch eine Begründung, warum 150 km/h auf der Autobahn gegen Inflation wirkt, nachgeliefert, die wörtliche Zitierung verdient: "Zeit ist Geld!"

Grenzen der Empirie – und der Satire

Inspiriert von diesem, die engen Grenzen der Empirie lässig hinter sich lassenden Argument, möchte ich hier gleich eine weitere Maßnahme gegen Inflation vorschlagen. Sie lautet: in der Früh Zähne putzen. Denn Morgenstund‘ hat Gold im Mund.

Die Grenzen der Möglichkeit für satirische Überhöhung hat dann aber ein anderer Parteikollege Landbauers aufgezeigt. Die Aufgabe, die programmatische Erklärung des Zweiten Landtagspräsidenten Niederösterreichs, Gottfried Waldhäusl, "Ich trage das Wort ‚Wald‘ im Namen. Dadurch sehe ich mich als Schutzpatron unserer Wälder", logisch zu vervollständigen, überlasse ich deshalb meinen Leserinnen und Lesern. Sollte Ihnen das zu gewagt erscheinen, können Sie sich dabei durchaus auf die Argumentation der Landeshauptfrau berufen: Bei den Menschen ist das schon so angekommen. (Florian Scheuba, 4.1.2024)