In dem furchteinflößenden Gerichtsbunker aus Stahl und Beton in Palermo, in welchem Salvini am Freitag als Angeklagter seinen ersten Auftritt hatte, standen einst auch die führenden Mitglieder der sizilianischen Cosa Nostra vor den Richtern: Beim berühmten "Maxi-Prozess" in den Achtzigerjahren wurden über 300 Mafiosi zu insgesamt 2.665 Jahren Gefängnis verurteilt, unter anderem wegen 120 Morden.

Matteo Salvini 
Matteo Salvini verteidigt sich gegen Vorwürfe der Amtsüberschreitung als Innenminister.
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Am Freitag musste sich das Gericht mit weniger schweren Straftaten befassen: Salvini wird Freiheitsberaubung und die Verweigerung einer Amtshandlung vorgeworfen, weil er im August 2019 als damaliger Innenminister das Rettungsschiff Open Arms der gleichnamigen spanischen Hilfsorganisation fast drei Wochen lang nicht in einen italienischen Hafen hatte einlaufen lassen. An Bord der Open Arms befanden sich 147 gerettete Bootsflüchtlinge, die unter der sengenden Sonne und bei äußerst prekären hygienischen Verhältnissen auf dem Schiff ausharren mussten.

"Mit erhobenem Haupt"

Schon vor Beginn der Einvernahme am Freitag hatte Salvini in den sozialen Medien erklärt, dass er "mit erhobenem Haupt" an diesem Prozess teilnehme, in welchem er im schlimmsten Fall 15 Jahre Haft riskiert. In einer über eine Stunde dauernden "spontanen Erklärung" betonte er dann, dass unter ihm als Innenminister die Zahl der Anlandungen durch irreguläre Migranten drastisch zurückgegangen sei und parallel dazu auch die Zahl der Ertrunkenen, Vermissten und Verletzten. "Vor und nach den Jahren 2018 und 2019 waren die Zahlen nie so niedrig gewesen", betonte Salvini. Er sei "stolz darauf, die nationale Sicherheit geschützt zu haben", führte der Lega-Chef weiter aus und erinnerte daran, dass es in Deutschland, in Frankreich und in Belgien zu terroristischen Anschlägen gekommen sei, die von Migranten verübt wurden, die vor seiner Zeit als Innenminister in Lampedusa an Land gegangen und dann in diese Länder weitergezogen waren.

Salvini – heute Transportminister und Vizepremier in der Rechtsregierung von Giorgia Meloni – war von Mai 2018 bis Ende August 2019 Innenminister der ersten Regierung von Giuseppe Conte gewesen, einer Koalition aus der rechtspopulistischen Lega und der linken, nicht minder populistischen Fünf-Sterne-Bewegung. In dieser Zeit führte Salvini die "Politik der geschlossenen Häfen" ein: NGO-Schiffen mit geretteten Flüchtlingen – aber in zwei Fällen sogar Booten der eigenen Küstenwache – wurde tagelang die Einfahrt in den nächsten italienischen Hafen verweigert. Damit wollten Salvini und Conte Druck auf die europäischen Partner und ganz besonders auf die Flaggenstaaten der NGO-Schiffe machen, damit diese zumindest einen Teil der geretteten Flüchtlinge übernehmen.

Hohe Migrantenzahlen

2018 waren in Italien 23.370 Bootsflüchtlinge angekommen, im Jahr 2019 nur noch 11.470. In den Jahren zuvor waren es jeweils deutlich über 100.000 gewesen, und nach dem von Salvini provozierten Sturz der ersten Regierung Conte stiegen die Zahlen erneut an. Im vergangenen Jahr kamen in Italien über 150.000 Migranten und Migrantinnen an.

Wie groß der Anteil von Salvinis restriktiver Politik an der vorübergehenden massiven Reduktion gewesen sei, ist umstritten: Schon in den Monaten vor dem Amtsantritt der Populisten-Regierung waren die Anlandungen stark zurückgegangen, nachdem die Vorgänger-Regierung des Sozialdemokraten Paolo Gentiloni einen Pakt mit der libyschen Regierung in Tripolis geschlossen hatte, der darauf abzielte, dass die libysche Küstenwache die Flüchtlinge gleich nach dem Losfahren wieder zurückholt und die dortigen Lager bringt.

Dass auch die Schikanen gegen die NGO-Schiffe kein Wundermittel sind, hat das Jahr 2023 gezeigt: Die Rechtsregierung von Giorgia Meloni hat gegen die privaten Retter gleich nach ihrem Amtsantritt ähnlich restriktive Maßnahmen erlassen wie Salvini in den Jahren 2018 und 2019 – und trotzdem sind 2023 Jahr 50 Prozent mehr Bootsflüchtlinge in Italien angekommen als im Jahr 2022, als das Land vom parteilosen und weniger fremdenfeindlichen Mario Draghi regiert wurde. (Dominik Straub aus Rom, 12.1.2024)