Die Wahl ist geschlagen, der Sieger steht fest: Zum dritten Mal in Folge wird in Taiwan die Demokratische Fortschrittspartei DPP den Präsidenten stellen. Sie ist jene Gruppierung, die unter den großen Parteien auf der Insel am stärksten den eigenständigen Weg betont – weshalb die Volksrepublik China sich im Wahlkampf auch auf subtile und weniger subtile Weise gegen die Partei gestellt hatten. Dass ihr Kandidat William Lai (bzw. Lai Ching-te) nun Präsident wird, bedeutet zunächst Kontinuität, und das ist nicht das Schlechteste für die 22 Millionen Einwohner der Insel.

William Lai (Mitte) und seine Anhänger durften sich über den Wahlsieg freuen – Peking aber reagierte verschnupft.
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Der 64-Jährige war zuvor Vizepräsident und hat die Wahlen mit rund 40 Prozent der Stimmen gewonnen. Die 2016 gewählte Präsidentin Tsai Ing-wen erfreute sich im Volk großer Beliebtheit, durfte aber nach zwei Wahlperioden nicht wieder antreten. "Ich möchte den Menschen in Taiwan dafür danken, dass sie ein neues Kapitel in unserer Demokratie schreiben", sagte Lai am Samstag. In der jungen Geschichte der Demokratie in Taiwan gab es bisher noch keine Partei, die drei Wahlperioden hintereinander den Präsidenten stellen konnte. Die DPP und die Oppositionspartei Kuomingtang (KMT) hatten sich bisland immer nach spätestens acht Jahren abgewechselt.

Triumphal aber ist der Sieg der Regierungspartei nicht. Möglich war er ohnehin nur, weil das Lager der Opposition gespalten war. Der Spitzenkandidat der KMT, Hou Yu-ih, kam auf 33 Prozent der Stimmen, Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (TPP) bekam 26 Prozent. Für den Wahlsieg reicht in Taiwan eine relative Mehrheit der Stimmen.

Neues Parlament

Parallel zur Präsidentschaft haben die Taiwaner auch über das Parlament, den Legislativ-Yuan, abgestimmt. Dort hatte die DPP bisher die absolute Mehrheit. Die Verhältnisse haben sich nun zugunsten der Opposition verschoben: Die DPP verlor zehn Sitze und kommt nun nur noch auf 51 Stimmen. Die KMT gewann 14 hinzu und kommt auf 52. Die kleinere TPP gewinnt acht Sitze.

Kaum eine Wahl dürfte so sehr von geopolitischen Großkonflikten geprägt sein gewesen wie diese. Denn inwieweit die neue taiwanische Regierung sich für mehr Unabhängigkeit vom Festland einsetzt, bestimmt auch das Verhältnis zwischen Peking und Washington. Traditionell steht die Oppositionspartei KMT für bessere Beziehungen zur kommunistischen Partei in Peking. Das hat vor allem historische Gründe, da Chiang Kai-tschek 1949 nach dem verlorenen Bürgerkrieg mit rund 1,5 Millionen Getreuen vom Festland nach Taiwan floh und auf frühere Einwanderer und indigene Völker traf. In den vergangenen 70 Jahren aber hat sich aus diesen Gruppen und Jüngeren längst eine eigene Identität herausgebildet. Diese spricht vor allem die DPP an.

Peking favorisierte offen einen Wahlsieg der KMT, mit der man seit den 1990er-Jahren gute Beziehungen pflegt. 1992 hatte man sich auf einen "Konsens" geeinigt, wonach es zwar nur "ein China" gebe, dies aber verschieden interpretiert werden könne. Konkret: Taipeh erklärt sich nicht formell unabhängig, agiert aber wie ein eigenständiger Staat.

Im Zentrum der Geopolitik

Die kommunistische Partei Chinas setzt nach wie vor auf eine "Wiedervereinigung" der Insel mit dem Festland – und schließt dabei auch militärische Mittel nicht aus. In den vergangenen Jahren wurde Pekings Politik immer aggressiver: Überflüge in Jets, Schiffsblockaden und Informationskrieg. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist Taiwan auch wieder stark in den Fokus westlicher Geostrategen geraten.

In China war in den staatlichen Medien nicht viel zum Wahlausgang in Taiwan zu lesen. Man versuchte, die demokratischen Wahlen so gut es ging zu ignorieren. Der Sprecher für Taiwan-Angelegenheiten in Peking, Chen Binhua, hielt es dann doch für notwendig, den Wahlausgang zu kommentieren. Man sei "fest entschlossen, die Taiwan-Frage zu lösen und die nationale Wiedervereinigung voranzutreiben". Da aktuell die Zeichen zwischen Peking und Washington eher auf Entspannung stehen, dürfte sich erst einmal nicht viel ändern. Trotz der Glückwünsche sagte US-Präsident Joe Biden, die USA unterstützten "eine Unabhängigkeit Taiwans nicht".

Dabei haben die Taiwaner natürlich auch konkrete Belange, die nichts mit der geopolitischen Großwetterlage zu tun haben: Viele beschäftigen die hohen Mieten, die vergleichsweise geringen Löhne und hohen Arbeitszeiten gerade für Berufsanfänger sowie die Energiepolitik des Landes – was der Opposition auch half. (Philipp Mattheis aus Taipeh, 14.1.2024)