Es ist noch nicht lange her, da wurde ÖVP-intern und zum Teil auch öffentlich eine recht klare Botschaft verbreitet: Geht es nach der Volkspartei – so hieß es –, soll es keine vorgezogene Nationalratswahl geben. Die Parteispitze bevorzuge einen Termin im Herbst. Und das entspricht wohl auch der Wahrheit – zumindest wenn man davon ausgeht, dass die Parteispitze der ÖVP im Kanzleramt sitzt.

Ganz so klar ist die Machtverteilung in der Volkspartei aber nicht. Sonntagabend traf Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer die schwarzen Landeshauptleute. Dort sollen sich gleich mehrere Granden für einen früheren Wahltermin ausgesprochen haben. Man weiß das, weil die Sitzungsinterna danach prompt in mehreren Zeitungen nachzulesen waren. Jemand aus den Reihen der Länderchefs wollte offenbar mutwillig die Linie der Bundespartei konterkarieren. Das ist kein gutes Omen für den ÖVP-Chef im anlaufenden Wahlkampf.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP)
Kämpft mit schlechten Umfragewerten: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
APA/GEORG HOCHMUTH

Die Argumentation der schwarzen Neuwahlbefürworter ist aber nicht unschlüssig. Denn bei der EU-Wahl droht der Volkspartei ein massiver Absturz – wenn auch von hohem Niveau. Bei der vergangenen Wahl zum Europäischen Parlament – damals kurz nach der Ibiza-Affäre 2019 – bekam die ÖVP fast 35 Prozent. Die befürchtete EU-Wahl-Schlappe im Juni birgt nun zwei Drohszenarien: Denn ein Nationalratswahlkampf danach würde von Beginn an unter schlechten Vorzeichen stehen. Außerdem besteht die Sorge, dass bei sehr großen Stimmenverlusten eine öffentliche Debatte über Nehammers Eignung als Parteichef entfacht wird. Es ist schließlich die erste bundesweite Parlamentswahl unter seiner Führung, auch wenn er selbst gar nicht antritt. Beides wäre ungünstig für die ÖVP.

Aufholjagd

Theoretisch denkbar wäre ein Nationalratswahltermin noch vor der EU-Wahl am 9. Juni oder auch eine Zusammenlegung der beiden Wahlen. Doch obwohl mehrere Landeshauptleute eines der beiden Szenarien befürworten, ist es weiterhin wahrscheinlicher, dass regulär im Herbst gewählt wird. Im Raum steht der 29. September. Das hat vier Gründe.

Erstens kämpft die ÖVP aktuell mit sehr schlechten Umfragewerten. Seit vergangenem Herbst liegt die Kanzlerpartei konstant auf Platz drei. Will die ÖVP noch aufholen, geht das nicht von heute auf morgen. Vorgezogene Wahlen würden diesbezüglich nur Sinn ergeben, wenn man davon ausgeht, dass die Umfragewerte in Zukunft noch weiter sinken. Strategen in der Partei rechnen aber sehr wohl damit, dass eine Aufholjagd möglich ist.

Zweitens möchte die ÖVP Neuwahlen nicht allein vom Zaun brechen. Wenn, dann müsste es eine Einigung mit den Grünen geben, das Projekt gemeinsam vorzeitig zu beenden. Aber auch die Grünen wollen im September wählen.

Drittens stehen Ende des Jahres Wahlen in der Steiermark an. ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler muss dort die Poleposition verteidigen. Er soll sich klar gegen frühere Nationalratswahlen ausgesprochen haben. Er wolle nicht, heißt es, dass vor der Steiermark-Wahl eine neue Bundesregierung steht.

Viertens gelten Nehammer wie auch ÖVP-Klubchef August Wöginger weiterhin als Befürworter einer Herbstwahl.

Kommt es dann zu einem schlechten Ergebnis, können sich immerhin die schwarzen Landeshauptleute rausreden: Sie wollten ja alles anders machen. (Katharina Mittelstaedt, 17.1.2024)