Es ist ein Ruf, mit dem Samsung ein Stück weit leben muss. Gerade in früheren Jahren hat man sich gerne von Apple "inspirieren" lassen. Allzu große Ähnlichkeiten hatten dem Unternehmen dereinst eine Fülle von Klagen des Konkurrenten eingebracht. Seitdem ist es zwar vor Gericht ruhiger geworden; dass Samsung aber noch immer sehr genau darauf schaut, was man in Cupertino so treibt, zeigt sich bei den gerade vorgestellten Galaxy S24 und S24+ bereits auf den ersten Blick. Die Ähnlichkeit zum Design aktueller iPhones ist geradezu frappierend.

Das ist alles richtig, verblasst aber gegen einen anderen Umstand: Samsung hat sich für das S24 bei einem anderen Hersteller noch viel stärker bedient, und der heißt Google. Die neuen Galaxy-Smartphones wirken in vielerlei Hinsicht so, als wäre Samsung die Feature-Liste aktueller Pixel-Geräte durchgegangen und hätte versucht, so viel wie möglich davon zu klonen.

Eine lange Liste

Ein gutes Beispiel dafür ist "Generative Edit": Darüber können Personen oder Objekte in Bildern ausgewählt und verschoben werden. Eine KI kümmert sich dann darum, dass der Hintergrund täuschend echt ausgefüllt wird. Das kann durchaus beeindruckende Ergebnisse liefern, ändert aber nichts daran, dass es fast schon eine haargenaue Kopie von Googles Magic Editor ist.

Samsung Galaxy S24
Generative Edit heißt Samsungs Klon von Googles Magic Editor.
Proschofsky / STANDARD

Die bei der S24-Reihe neuen "Edit Suggestions", die zu Fotos dank KI automatisch passende Bearbeitungsvorschläge liefern, kennt man ebenso bereits von Google. Dass die Samsung-Kamera nun eine HDR-Vorschau bietet, die wesentlich näher als bisher am resultierenden Foto ist, ist ein großer Gewinn, gibt es bei Google unter dem Namen "Live HDR" aber ebenfalls schon seit Jahren.

Ein Nachbau

Die überarbeitete Sprachaufzeichnungs-App von Samsung kann nun offline transkribieren. Wem das irgendwie bekannt vorkommt, der mag schon einmal vom Google Recorder gehört haben, auch wenn dieser mit einer Live-Transkription weiterhin im Vorteil ist. Die KI-basierte Zusammenfassung von dabei erstellen Gesprächsprotokollen, ist beim S24 ebenso möglich wie zuvor schon beim Pixel 8 Pro.

Dass die Samsung-Geräte nun an vielen Stellen live zwischen Sprachen übersetzen können, ist fraglos toll. Woher wir das schon kennen? Ja, genau. Die Sprachübersetzung in der Telefonie-App könnte sich als durchaus nützliche Angelegenheit erweisen, technisch gesehen ist das aber nicht viel anderes als was bei Google Translate schon länger geht, nur halt an anderer Stelle integriert.

Google mag das

Das ist in der Summe alles wirklich auffällig, und doch dürfte Google die Kopiererei herzlich egal sein – oder eigentlich sogar sehr recht. Möglich wird dieser KI-Schub bei Samsung nämlich dank Google-Technologie. Samsung nutzt für sämtliche der etwas aufwendigeren KI-Tricks Maschinenlernsysteme von Google, und zwar sowohl direkt am Smartphone als auch in der Cloud.

Dass man hier an einem Strang zieht, war bei der Präsentation des S24 unübersehbar, so innig wie bei diesem Event wirkten die beiden Unternehmen schon sehr lange nicht mehr – wenn überhaupt je. Das mag auch daran liegen, dass Samsung die Unterstützung derzeit sehr gut brauchen kann.

Marktrealität

Samsung hat zuletzt im Wettstreit mit Apple in einigen wichtigen Märkten Anteile verloren. Dazu zählt neben den USA etwa Südkorea, wo vor allem die junge Käuferschicht lieber zum iPhone greift. Für Samsung ist das eine besonders schmerzliche Entwicklung, handelt es sich dabei doch um den Heimatmarkt des Unternehmens.

Global gesehen hat diese Entwicklung zuletzt zu einer bemerkenswerten Nachricht geführt. Laut den Marktforschern von IDC war Apple im Jahr 2023 zum ersten Mal überhaupt der weltgrößte Smartphone-Hersteller. Seit den Nokia-Zeiten hatte immer Samsung die Nase vorne – zumindest wenn es um die verkauften Stückzahlen geht. Beim Gewinn macht Apple ohnehin schon lange niemand was vor.

Frischer Wind

Zeit also für Samsung, frischen Wind in die eigenen Smartphone-Ambitionen zu bringen. Da kommt das Thema KI nur recht, zumal Apple bisher nichts Vergleichbares zu bieten hat. Das mag sich schon in wenigen Monaten ändern, derzeit ist es aber eine gute Chance für Samsung und Google als Technologievorreiter dazustehen.

Den Nutzerinnen und Nutzern darf die Frage, wer von wem kopiert hat, ohnehin egal sein. Wenn Samsung sinnvolle Funktionen von Google abschaut, dann ist das gut für jene, die sich ohnehin lieber ein Galaxy-Smartphone kaufen wollen. Dass Samsung dabei eigentlich keine wirklich großen neuen Ideen gekommen sind, sondern immer wieder ähnliche Funktionen in unterschiedlicher Abwandlung geboten werden, ist zwar schade, aber wer will da schon meckern.

Google gibt vor

Gleichzeitig zeigt all das aber auch, dass derzeit immer klarer Google den Ton in der Android-Welt vorgibt, und zwar nicht nur beim Kernbetriebssystem sondern auch bei neuen Features. Dabei spielt dem Unternehmen die eigene Expertise im Bereich künstliche Intelligenz natürlich gerade in die Hände. Unübersehbar ist aber auch, dass bei Google mittlerweile ein Umdenken im Verhältnis zu Android stattgefunden hat.

War der Softwarehersteller früher extrem darauf bedacht, ja keine Partner zu vergraulen, schreitet man nun wesentlich offensiver voran. Und das heißt derzeit auch: Zuerst kommen die eigenen Pixel-Geräte, dann Samsung und danach ziemlich lange nichts. Das ermöglicht fraglos schnellere Innovationen wie jetzt die rasche Integration von generativer KI in die Smartphones von Google und Samsung. Es wirft aber auch die Frage auf, was das auf Dauer für die Android-Welt bedeutet. Könnte es für andere Hersteller doch immer schwerer werden, mit Samsung und Google mitzuhalten.

Der Update-Support ist etwa so ein Punkt, wo bereits eine riesige Lücke zu anderen Herstellern klafft. Sieben Jahre an Sicherheitsaktualisierungen und großen Updates bekommen jene garantiert, die sich ein Pixel 8 oder ein Galaxy S24 kaufen. Andere namhafte Hersteller bieten im Bestfall vier große Versionssprünge, manche selbst im Premiumbereich noch deutlich weniger. Das wäre doch mal was, wo die Kopiermaschinen der Android-Hersteller erbarmungslos zuschlagen könnten. (Andreas Proschofsky, 18.1.2024)