Menschenmenge auf nächtlicher Straße
Ein Protest in Belgrad ein Monat nach der Wahl.
APA/AFP/30277718A/VLADIMIR ZIVOJINOVIC

Die Oppositionsbewegung "Serbien gegen Gewalt" hat nun einen Antrag zur Annullierung der Lokalwahlen in Belgrad, die vor einem Monat stattfanden, beim Verfassungsgericht eingebracht. Bei den Wahlen war es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen, so waren etwa Bürger und Bürgerinnen aus dem Nachbarstaat Bosnien und Herzegowina nach Serbien gekarrt worden, um dort bei der Wahl abzustimmen.

Die Oppositionelle Sofija Mandić erklärte, dass das Verfassungsgericht das einzige Gremium sei, um die Unregelmäßigkeiten aus der Welt zu schaffen. "In Belgrad hatten von 14 Listen sieben, also die Hälfte, gefälschte Unterstützungsunterschriften, und den Endergebnissen zufolge stimmten etwa 30.000 Wähler für diese Listen, das sind drei Stadträte in der Stadt Belgrad", führte Mandić die Details des Antrags aus. Mandić fügte hinzu, dass der Antrag beim Verfassungsgericht keinen Einfluss auf die Mandatsvergabe und die Konstituierung der Stadtverordnetenversammlung habe. Wenn das Verfassungsgericht jedoch in kurzer Zeit über den Antrag entschiede, könne das Verfahren theoretisch gestoppt werden.

In Belgrad gehen nach wie vor Anhänger der Opposition auf die Straße, um gegen die unfreien und unfairen Wahlen zu protestieren. Doch die Zahl der Demonstranten nimmt ab. Die Bewegung "Serbien gegen Gewalt", die seit Mai, als es zu Massenschießereien kam, protestiert, konnte bislang noch nichts erreichen. Das hat auch damit zu tun, dass die Regierungen westlicher Staaten die Demokratiebewegung nicht unterstützen, sondern weiterhin hinter dem autoritär regierenden Regime von Aleksandar Vučić stehen.

Unregelmäßigkeiten im EU-Parlament besprochen

So traf sich etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst in Davos mit Vučić. Jenseits von einigen engagierten europäischen Parlamentariern, die sich für die Demokratiebewegung in Serbien einsetzen, wie etwa der Sozialdemokrat und Europaparlamentarier Andreas Schieder, sind Rechtsstaatlichkeit und Transparenz in Serbien kaum Thema in Europa, obwohl die serbische Regierung nach wie vor vorgibt, in die EU zu wollen. Mittwoch dieser Woche wurden im EU-Parlament zumindest die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen diskutiert, etwa die systematischen Vorteile für die regierende Fortschrittspartei oder die Omnipräsenz von Vučić in der Öffentlichkeit. Eigentlich sollte gleich nach der Debatte eine Resolution zu dem Thema verabschiedet werden.

Doch dann funkte der EU-Berichterstatter für Serbien, der Slowake Vladimír Bilčík dazwischen, der zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört, mit der auch Vučić assoziiert ist. Die EVP forderte nämlich eine Verschiebung der Resolution bis nach der Veröffentlichung des endgültigen OSZE-Berichts über die Wahlen. Aleksandra Tomanić vom European Fund for Balkan, kritisiert das viel zu lange Wegschauen westlicher Institutionen, wenn es um die Angriffe auf die Demokratie in Serbien geht. "Jetzt geht es auch um ihre eigene Glaubwürdigkeit", moniert sie. Denn es reicht nicht über Demokratie und die Wichtigkeit freier Wahlen nur zu sprechen, beides muss jetzt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt werden. "Man macht den gleichen Fehler mit Serbien wie in den 1990ern", so Tomanić, "und auch jetzt möchte niemand die Warnungen hören."

Antideutsche Propaganda

Tomanić verweist zudem auf den extremen Nationalismus, der von dem Regime überall – etwa in den Schulen, im öffentlichen Raum und in den Medien – propagiert werde. Vučić und seine Verbündeten in der Region setzen tatsächlich eine gut organisierte und allumfassende antiwestliche und insbesondere antideutsche Propaganda und Droh-Politik fort. Der deutsche Bundestags-Abgeordnete Thomas Hacker von der FDP kritisierte den jüngsten Angriff Vučićs auf die Wahlbeobachtungsorganisation CRTA im Fernsehen. CRTA hatte zuvor von den Unregelmäßigkeiten bei den serbischen Parlaments- und Lokalwahlen am 17. Dezember 2023 berichtet.

"Für einen Präsidenten, der in europäischen Hauptstädten stets betont, er wolle sein Land in die Europäische Union führen, ist ein derartiger Angriff auf die demokratische Zivilgesellschaft im eigenen Land unverständlich und inakzeptabel", so Hacker. Eine lebendige Zivilgesellschaft und ein offener, respektvoller Dialog mit allen Teilen der Gesellschaft sei wichtig für das Vorankommen eines jeden Landes. „Davon hat sich Serbien in den letzten Jahren immer weiter verabschiedet. Insgesamt bestätigt sich einmal mehr, dass die EU ihren Umgang mit den politischen Verantwortlichen in Serbien endlich überdenken sollte. Viel zu lang, hat sie sich von Vučić, dem vermeintlichen Stabilitätsanker, vorführen lassen." (Adelheid Wölfl, 21.1.2024)