In meiner Kindheitserinnerung würde ich meinen oberösterreichischen Großvater als einen selbstbewussten Menschen beschreiben.

Er war stolz darauf, eigenständig auf seinem Grund und Boden zu wirtschaften, nebenbei engagierte er sich im Verband der Schweinemäster und im Gemeinderat. In der Stube hing der eingerahmte Ökonomieratstitel. Seine Arbeit musste er nicht rechtfertigen – Vollspaltenböden und automatisierte Fütterung im Stall galten in den 1980er-Jahren als fortschrittlich.

Heute, da ich wieder am Land lebe, begegne ich solchen Bauern nur noch selten. Viele sehen sich lediglich als das schwächste Glied in einer Kette industrieller Massenproduktion. Über Jahre hinweg hieß es, effizienter zu werden und sich dem Markt anzupassen. Die Abhängigkeiten von Agrarkonzernen wuchsen ebenso wie jene von Fördergebern. Am Ende dieser Kette stehen Konsumentinnen und Konsumenten, die im Zweifel zum billigeren Produkt greifen.

Bauernproteste in Deutschland: Zahlreiche Traktoren stehen am Morgen Mitte Jänner auf der Straße des 17. Juni zwischen dem S-Bahnhof Tiergarten und Ernst-Reuter-Platz in Berlin.
Bauernproteste in Deutschland: Zahlreiche Traktoren stehen am Morgen Mitte Jänner auf der Straße des 17. Juni zwischen dem S-Bahnhof Tiergarten und dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin.
APA/dpa/Monika Skolimowska

Landwirte auf der Straße

Die Bauernproteste in Deutschland überraschen mich daher nicht. Es ging nicht unbedingt um wirtschaftliche Nöte, denn durch gestiegene Lebensmittelpreise stieg zuletzt auch das Einkommen der Höfe. Es waren viele von jenen Landwirten auf der Straße, die in den letzten Jahren im neoliberalen System versucht haben, alles richtig zu machen, und denen die Gesellschaft jetzt sagt, dass es dennoch falsch ist. Ihnen gehen unter dem laufenden Optimierungsdruck Motivation und Würde verloren.

Die Klimakrise macht nicht nur den Pflanzen und Böden, sondern auch den Menschen Stress. Eine Mehrzahl der protestierenden Bauern ist noch nicht bereit umzudenken. Aber für jene Landwirte, die Anbaumethoden und Viehzucht auf nachhaltige und ökologische Praktiken umstellen wollen, sind langfristige Strategien und politische Absicherung notwendig, und diese fehlten bisher. Die Bauernschaft hat erlebt, dass die Politik oft nur Schnellschüsse produziert und dann ihre Versprechen nicht hält.

EU in der Verantwortung

Als größter zentraler Subventionsgeber steht die EU in der Verantwortung. Doch im Rat der Agrarminister dominiert die Lobby der großen Flächenbetriebe. Subventionen, die ökologische Anbaumethoden fördern und die Transformation unterstützen, sind viel zu niedrig. Selbst Biobauern sind abhängig von großen Supermarktketten, die ein Oligopol bilden und die Preise gnadenlos drücken. Echten Pionieren wurde in den letzten Jahrzehnten viel in den Weg gelegt, auch von ihren eigenen Interessenvertretungen, ich denke nur an Sepp Holzer oder die Vorreiter im Bereich der Bodengesundheit aus der Ökoregion Kaindorf in der Steiermark. Diese zeigen aber, dass die Lösungen für eine ökologische Transformation längst auf dem Tisch liegen.

Die Bauernproteste in Deutschland werden auf jeden Fall nicht die letzten sein und auch anderswo aufschlagen. Die Gesellschaft sollte diesen Demonstrationen nicht mit Pauschalverurteilungen begegnen, sondern den Dialog suchen. Zuerst müssen wir uns jedoch darüber klarwerden, was wir wirklich wollen: Billigste Lebensmittel gehen mit kleinstrukturierter Landwirtschaft und Nachhaltigkeit nicht zusammen. Sie machen aus ehemals eigenständigen Bauern Sklaven von Agrarpreisdiktaten. (Philippe Narval, 22.1.2024)