Gergely Karácsony, Bürgermeister der ungarischen Hauptstadt Budapest.
Gergely Karácsony ist seit 2019Bürgermeister der ungarischen Hauptstadt Budapest.
APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Wenn Gergely Karácsony über Viktor Orbán spricht, wirkt er erstaunlich heiter. Ganz so, als würde ihm das Lachen helfen, die ständigen Auseinandersetzungen mit dem rechtspopulistischen Regierungschef besser wegzustecken. Seit 2019 ist der Grünen-Politiker Bürgermeister der Hauptstadt Budapest, heuer im Juni stellt er sich der Wiederwahl. Auf vieles ist er stolz, etwa auf die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs oder darauf, dass die berühmte Kettenbrücke nun autofrei ist. Am Wochenende war Karácsony Stargast bei einem Treffen der Wiener Grünen, danach bat ihn DER STANDARD zum Gespräch.

STANDARD: Als Bürgermeister von Budapest sind Sie eines der bekanntesten Gesichter der Opposition im Land. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit der Regierung des rechtsnationalen Premiers Viktor Orbán?

Karácsony: Populistische Regimes wie das von Viktor Orbán leben von der Polarisierung. Deshalb nennen sie ihre Gegner Verräter oder bezeichnen sie als das Böse. Das ist zerstörerisch für die Demokratie, denn zu deren fundamentalen Grundsätzen gehört es, Andersdenkende als gleichwertige und legitime Konkurrenten zu sehen. Das Umfeld aber, das wir jetzt in Ungarn haben, macht es sehr schwer, einen vernünftigen Dialog zu führen.

STANDARD: Bei welchen Themen? Können Sie ein Beispiel nennen?

Karácsony: Als wir mit der jüngsten Energiekrise konfrontiert waren, brachten wir im Rathaus ein Maßnahmenpaket auf den Weg und diskutierten über Möglichkeiten zum Energiesparen. Die Antwort der Regierung war, dass wir völlig verrückt geworden sind und das Alltagsleben der Menschen zerstören wollen. Als die Regierung dann aber die gestützten Energiepreise im Land nicht mehr aufrechterhalten konnte, beschimpfte sie uns als Idioten und Energieverschwender. Was auch immer unser Standpunkt ist – sie erzählen ihren Wählern auf jeden Fall, dass wir böse und inkompetent sind. Es gibt keinen Raum für eine sinnvolle politische Debatte.

STANDARD: Hat dieser Konflikt auch konkrete Auswirkungen auf die kommunalen Finanzen?

Karácsony: Ja, denn die Stadt kann nicht selbst über Steuern bestimmen. Alle Steuern werden zentral reguliert. Unsere wichtigste Einnahmequelle ist die lokale Gewerbesteuer. Diese ist zuletzt zwar etwas gestiegen, aber die Regierung hat eine neue Umverteilungsmaßnahme beschlossen, die uns die zusätzlichen Profite daraus wieder wegnimmt. Unterm Strich sind unsere Einnahmen in den vergangenen Jahren also gesunken.

STANDARD: Die nächsten Kommunalwahlen finden im Juni gemeinsam mit der EU-Wahl statt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Vor- oder ein Nachteil?

Karácsony: Es gibt beide Aspekte. In Budapest gibt es eine sehr starke proeuropäische Grundstimmung. Die beiden Wahlen gemeinsam abzuhalten könnte in Budapest der Opposition auch insgesamt helfen. In ländlichen Gebieten ist es aber umgekehrt, dort wird das wohl eher (Orbáns Partei, Anm.) Fidesz nützen. Außerdem treten bei der EU-Wahl die Oppositionsparteien separat an, während wir bei den Kommunalwahlen unsere Kräfte bündeln müssen, um eine Chance zu haben. Das ist natürlich nicht leicht zu kommunizieren.

STANDARD: Das Auseinanderdriften von Stadt und Land kann man in vielen Teilen Europas und der Welt beobachten. Nimmt Ungarn hier trotzdem eine Sonderstellung ein?

Karácsony: Es ist tatsächlich ein globales Phänomen, das viel mit Sorgen und Ängsten zu tun hat. Menschen auf dem Land haben oft andere Ängste als Menschen in der Stadt. Hier kommt aber wieder die Persönlichkeit Viktor Orbáns zum Tragen, der diese Ängste nutzt, um sein Konzept der Dämonisierung und Polarisierung umzusetzen.

STANDARD: Vor der Parlamentswahl 2022 galten Sie als eine der Oppositionshoffnungen, haben Ihre Kandidatur dann aber zurückgezogen. War das ein Fehler? Wollen Sie es nächstes Mal wieder versuchen?

Karácsony: Gerade weil das Land so polarisiert ist, wäre es für einen Bürgermeister von Budapest unglaublich schwierig, auf gesamtstaatlicher Ebene zu siegen. Ohne Unterstützung im ländlichen Raum kann man nicht gewinnen. Ich habe also keine persönlichen Ambitionen, Premierminister zu werden. Aber wenn ich Bürgermeister von Budapest bleibe, werde ich die Opposition natürlich weiter unterstützen.

STANDARD: Oft hört man, dass Orbán die Position des Fidesz so stark einzementiert hat, dass die Partei sogar nach einer Wahlniederlage weiter Macht ausüben würde. Wie schwierig dadurch ein Regierungswechsel werden kann, sieht man derzeit in Polen. Haben Sie diese Sorge auch für Ungarn?

Karácsony: Es gibt in Ungarn tatsächlich eine extreme Machtkonzentration. Auch wenn Fidesz die nächste Parlamentswahl verlieren sollte, würde die Partei auf vielen Ebenen ihre Positionen halten, was zu einem riesigen Clash mit der neuen Regierung führen würde. Das wäre noch um ein Vielfaches schlimmer als jetzt in Polen – auch deshalb, weil Orbán in Ungarn ja sogar eine Verfassungsmehrheit hat.

STANDARD: Sie sind auch europäisch gut vernetzt. Wie sehen Sie das Verhalten der Regierungspartei Fidesz im Europäischen Parlament? Sie war ja lange in der Europäischen Volkspartei (EVP) und ist jetzt fraktionslos.

Karácsony: Orbáns Strategie war es, so lange wie möglich in der EVP zu bleiben. Er wusste, dass ihm das Vorteile bringt, solange in Deutschland Angela Merkel an der Macht ist. Fidesz stellte ja eine relativ große Gruppe von Abgeordneten in der EVP, und über diese konnte Orbán dort Einfluss nehmen. Danach hat er es aber nicht geschafft, eine gemeinsame Rechts-außen-Allianz zu schmieden. Das hat seinen Einfluss auf europäischer Ebene doch einigermaßen geschwächt. (Gerald Schubert, 25.1.2024)