Am Tag danach lässt sich mit einiger Gelassenheit überprüfen, wie weit Karl Nehammer den vielen Ansprüchen gerecht geworden ist, die vor seinem Welser Auftritt an ihn erhoben worden sind. Am Tag davor war das schwieriger, an Versuchen hat es aber nicht gefehlt. So hat die "Kronen Zeitung" noch Donnerstag ihren Leserinnen und Lesern treu weitergegeben, was man aus der ÖVP-Zentrale hört. Nämlich der ÖVP-Obmann wolle aufzeigen, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl mit "Hassmotiven nur auf Zerstörung ausgerichtet ist". Geschehen sollte das, indem er eine positive Gegenerzählung zur „Kickl’schen Logik des Hasses aufbauen werde, wobei die Frage un­beantwortet bleiben musste, was an der Kickl’schen Logik denn eigentlich logisch sei.

Auch in einer Koalition mit der FPÖ kann das Herz für eine mit der SPÖ im Bund schlagen: Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau, ÖVP.
Auch in einer Koalition mit der FPÖ kann das Herz für eine mit der SPÖ im Bund schlagen: Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau, ÖVP.
APA Helmut Fohringer

Wieweit es Nehammer gelungen ist, Kickl so weit zu entlarven, dass er damit Einfluss auf das Wahlverhalten vieler Menschen gewinnt, wird man spätestens am Wahltag merken. Allzu große Talente dazu wurden ihm selbst in der freundlich gesinnten "Presse" nicht zugeschrieben. Dort hieß es Donnerstag im Leitartikel: Die Volkspartei versucht, ihrem Namen gerecht zu werden. Was immer das bedeuten soll, war rasch geklärt. Unter Sebastian Kurz hat das funktioniert. Aus einer zuvor als einerseits elitär, andererseits als provinziell wahrgenommenen Partei der Bünde und Länder war eine schlagkräftige moderne Bewegung geworden, die über die eigenen Grenzen hinaus zu wirken imstande war, vor allem vormalige Wähler von FPÖ und Neos konnten gewonnen werden.

Aber kaum ist man eine schlagkräftige moderne Bewegung (ein Anspruch, den übrigens auch Kickl für die FPÖ erhebt), ist der Zauber schon wieder vorbei. Mehr Resilienz wäre angebracht! Unter Karl Nehammer scheint die Partei jedoch wieder auf die alten Grenzen zurückgeworfen. Und das, wiewohl er sich bemüht, das Kurz-Konzept der ­verbreiterten Volkspartei fortzuführen. Diesen Schrumpfungsprozess kann man sich in der "Presse" nur mit persönlichem Ungenügen, nicht mit irgendwelchen Inhalten erklären. Politik hat jedoch immer auch mit Anmutung, mit Image zu tun: Nehammer ist ein sympathischer Mensch, ein fleißiger Politiker. Aber er wirkt eben wie ein klassischer ÖAABler aus Niederösterreich. ÖAAB und Niederösterreich – da hat die innerparteiliche Arbeiterbewegung keine Chance vor den Augen der "Presse". Dort weiß man eben, wo das Elitäre und wo das Provinzielle waltet.

Herz für Schwarz und Rot, die Blauen an der Hand

Dabei kommt die Hoffnung, die Volkspartei versucht ihrem Namen gerecht zu werden, gerade aus Niederösterreich. Berichtet doch das Wirtschaftsmagazin "Trend" von einer historischen Wende. Johanna Mikl-Leitner tut im kleinen Kreis in den letzten Wochen offensiv kund, dass ihr Herz im Bund für ein Comeback der Zusammenarbeit von Schwarz und Rot schlägt. Diese Sortierung des roten G’sindls nach Bund und Land kommt etwas überraschend, vor allem, weil auch noch offensiv. ÖVP und SPÖ könnten bereits im EU-Wahlkampf zeigen, dass sie, wenn es darauf ankommt, mehr als andere gemeinsam haben. Und offenbar hat man auch in der ÖVP begriffen, dass man sich in einer Situation befindet, in der es darauf ankommt.

Wie sehr, kann man sich aus diversen Ankündigungen freiheitlicher Schreiber zusammenlesen. In "Zur Zeit" ließ Andreas Mölzer diese Woche den Nachwuchs arbeiten, der versprach: Die politischen Gegner der Freiheitlichen müssen sich also warm anziehen im neuen Jahr 2024. Denn nicht nur die Umfragewerte der FPÖ sprechen für eine gewisse Berechtigung dieses Anspruchs auf die Kanzlerschaft, sondern auch der offensichtliche freiheitliche Plan, dies im Falle eines tatsächlichen Wahlsieges auch durchzuziehen.

Abgesehen von der Kleinigkeit, dass Umfragewerte noch zu keinem Anspruch auf die Kanzlerschaft berechtigen, ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn sich Umfragewerte von 30 Prozent am Wahltag realisieren, zweifellos ein Wahlerfolg, aber ohne parlamentarische Mehrheit noch lange kein Anspruch auf die Kanzlerschaft vorliegt.

Manche Fakten lassen Freiheitliche nicht gern in ihre Köpfe. Aber in denen spukt ja auch die Erzählung, die künstlich geschaffenen politischen Bewegungen unter dem Motto "divide et impera" – Stichwort Team Stronach oder BZÖ – wären alle als billige Versuche des Establishments, die FPÖ zu verhindern, entzaubert und enttarnt.

Der Zauber der FPÖ hält sich in Grenzen. Schlimmer ist nur noch, dass Sebastian Kurz weder zur Kanzlerrede erschienen ist noch am Opernball zu tanzen gedenkt. (Günter Traxler, 27.1.2024)