Atompilz am Horizont, im Vordergrund eine Küste und das Meer.
Ein Atomkrieg hätte verheerende Auswirkungen. Eine davon könnte eine Nahrungsmittelknappheit sein.
imago images/blickwinkel

Es gibt nicht wenige Menschen, die sich mit Konservendosen aufrüsten und Bunker bis an die Decke füllen. Um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein und selbst bei einem Atomkrieg gute Chancen zu haben, das Ärgste möglichst unbeschadet zu überstehen. Für die breite Masse der Menschen, die einen solchen Atomschlag überleben, könnte es allerdings rasch eng werden. Ein Forschungsteam hat nun eine alternative Nahrungsquelle ausfindig gemacht, die nach einer Nuklearkatastrophe eine große Zahl von Menschen ernähren könnte, die keinen Prepper-Keller zur Verfügung haben: Seetang.

Würden mehrere Atombomben explodieren, hätte das katastrophale Auswirkungen auf den ganzen Planeten und alles Leben darauf. Unter anderem würde die ausgestoßene Rußwolke einen sogenannten nuklearen Winter auslösen. Im Worst-Case-Szenario, einer atomaren Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland – die gemeinsam 90 Prozent des Nuklearwaffenarsenals besitzen –, würde eine 150 Millionen Tonnen schwere Staubwolke die Erdatmosphäre so verdunkeln, dass die Oberflächentemperatur um neun Grad Celsius sinken würde. Das hätte eine Reduktion der globalen Nahrungsmittelproduktion um bis zu 90 Prozent und Hungersnöte zur Folge, wie vergangene Studien berechnet haben.

Seetangfarmen in den Tropen

Die unmittelbarsten Auswirkungen eines Atomkriegs wären Verbrennungen sowie Strahlenvergiftungen, die noch Jahre später zigtausende Menschenleben fordern würden. Dennoch wären die Auswirkungen eines nuklearen Winters auf die Landwirtschaft noch tödlicher. "Mehr als zwei Milliarden Menschen wären nach einem indisch-pakistanischen Atomkrieg und fünf Milliarden Menschen nach einem amerikanisch-russischen Atomkrieg vom Hungertod bedroht", sagt Cheryl Harrison, Ozeanografin an der Louisiana State University. "Es besteht also die Notwendigkeit, alternative Nahrungsmittel zu erforschen."

Eingefärbte Weltkarte: Die hellgrünen und besonders die dunkelgrünen Zonen würden sich besonders für die Seetangproduktion nach einem Atomkrieg eigenen.
Die hellgrünen und besonders die dunkelgrünen Zonen würden sich besonders für die Seetangproduktion nach einem Atomkrieg eigenen.
Jehn et al

Idealer Kandidat dafür wäre schnell wachsender Seetang, der in tropischen Ozeanen angebaut werden könnte, stellte die US-amerikanische Forschergruppe in ihrer im Fachblatt "Earth's Future" veröffentlichten Analyse fest. Selbst wenn Seetangfarmen erst nach einer Nuklearkatastrophe errichtet würden, könnten sie innerhalb kurzer Zeit einen wesentlichen Anteil des weltweiten Nahrungsmittelbedarfs decken. Den Simulationen zufolge könnten Seetangfelder, etwa im Golf von Mexiko und an der US-Ostküste, innerhalb von neun bis 14 Monaten nach einem Atomkrieg abgeerntet werden und so helfen, bis zu 1,2, Milliarden Menschen zu ernähren. Im Vollausbau könnten sie 15 Prozent der heute konsumierten Lebensmittel, 50 Prozent der Biokraftstoffproduktion und zehn Prozent des Tierfutters ersetzen. Dazu müssten allerdings täglich hunderte bis tausende Quadratkilometer an Farmen gebaut werden, wie in der Studie eingeräumt wird. Der Vorteil ist, dass neben verankerten Seilen praktisch keine Technik notwendig ist.

Ozeane als Wärmespeicher

Dass Seetang das optimale postapokalyptische Anbauprodukt ist, liegt vor allem daran, dass in einem nuklearen Winter die Temperaturen in den Meeren nicht so rasch fallen würden wie an Land. "Die Ozeane und Wasser im Allgemeinen speichern mehr Wärme als Land und lassen sich schwerer aufheizen und abkühlen", sagt Harrison. "Der Ozean ist also ein großartiger Ort für die alternative Nahrungsmittelproduktion, im Gegensatz zu Gewächshäusern an Land, die außerdem viel Heizenergie benötigen würden."

Seetangpflanzen wachsen in Richtung Wasseroberfläche
Ein Seetangwald an der Küste von Kalifornien. Riesige Seetangfarmen könnten einen Teil der Weltbevölkerung ernähren, so die Theorie.
IMAGO/Nature Picture Library

Dazu kommt, dass Seetangfarmen sogar gedeihen und sich ausbreiten würden, wenn die Oberflächentemperaturen sinken. Denn kältere Luft würde dazu führen, dass Oberflächenwasser absinkt, wodurch nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe stärker nach oben zirkuliert. Da das in den Algen enthaltene Jod in hohen Mengen für den Menschen giftig sein kann, müsste Seetang in erster Linie indirekt genutzt werden, betonen die Forschenden. Durch die Verwendung für Tierfutter und zur Herstellung von Biokraftstoffen würden jedoch die übriggebliebenen Anbauflächen, so sie nicht kontaminiert sind, für andere Kulturen frei. Auch der Seetang müsste auf eventuelle radioaktive Kontaminationen überwacht werden. Nach mehreren Monaten Anbauzeit wäre aber zumindest radioaktives Jod, das die Pflanzen aufnehmen könnten, wieder zerfallen.

Die Seetangfarmen könnten jedenfalls dazu beitragen, einen nuklearen Winter zu überstehen, bis sich das Klima Jahrzehnte später wieder erholt, ist das Forschungsteam überzeugt. Das gelte auch für andere Katastrophen wie massive Asteroideneinschläge oder gigantische Vulkanausbrüche. So führten der Ausbruch des indonesischen Mount Tambora im Jahr 1816 und das folgende "Jahr ohne Sommer" zu Ernteausfällen und Nahrungsmittelknappheit in der gesamten nördlichen Hemisphäre. "Im Laufe der Geschichte haben große Eruptionen sowohl regional als auch global zu Hungersnöten geführt", sagt Harrison. "So oder so brauchen wir einen Plan, um uns in solchen Szenarien der plötzlichen Reduktion von Sonneneinstrahlung zu ernähren." (Karin Krichmayr, 1.2.2024)