Die taiwanische Armee übt für den Ernstfall: China flext um die Insel in Ostasien seine Muskeln, und zwar nicht nur militärisch.
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Die Flugroute M503 hat schon früher für Probleme gesorgt. Zu nahe würden Flugzeuge an der sogenannten Mittellinie fliegen. Das ist eine gedachte Linie in der Meeresstraße von Taiwan, die als De-facto-Grenze zwischen Taiwan und der Volksrepublik China gilt. Natürlich wird sie von Peking nicht anerkannt, wurde bisher aber zumeist respektiert.

Das ändert sich. Regelmäßig überfliegen Kampfjets die Linie. Und ab Donnerstag will Peking weiter Druck aufbauen: Ab da wird die Route – das sind vor allem Flüge von Schanghai zu Destination in Südostasien – noch näher an der Mittellinie entlang führen, nämlich bloß sieben Kilometer westlich davon.

Die Ankündigung kommt nicht zufällig. Wenige Wochen nach der Wahl auf der demokratischen Insel, bei der die Peking-kritische Partei gewann, zurrt China die Gurte wieder einmal enger. Während die Angst vor einer militärischen Invasion weltweit groß ist, kämpft man vor Ort schon seit Jahren mit einer Kriegsführung der anderen Art. Sogenannte Grauzonentaktiken nennen Analysten jene Maßnahmen, mit denen Peking die Insel immer mehr unter Druck setzt. Jene Taktiken sind aggressiv, aber dabei so konzipiert, dass sie gerade nicht eine militärische Reaktion provozieren.

Das Ziel ist, langsam Grenzen zu verschieben, sowohl geografische als auch mentale: Mit immer neuen und größeren Manövern etwa soll Taiwans Militär ermüdet werden; die ständigen Übertritte sollen ein "new normal" kreieren und die Bevölkerung einlullen.

Video: Auch nach den Wahlen in Taiwan ist für China die Wiedervereinigung "unausweichlich".
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Ganz nebenbei kann Peking die eigene Kampffähigkeit verbessern und für den Ernstfall lernen: Wie reagiert Taipeh? Seit dem umstrittenen Besuch der US-Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi auf Taiwan 2022 haben sich jene Maßnahmen intensiviert. Insgesamt, so zählt eine Studie, wandte China in den vergangenen Jahren 80 derartige Grauzonentaktiken an – nicht nur auf militärischer Ebene.

Militärische Maßnahmen

Am bekanntesten sind wohl die Kampfjetflüge durch die ADIZ, also Taiwans Luftverteidigungszone. Immer öfter überfliegen diese wie beschrieben auch die Mittellinie. Erst am Mittwoch beobachtete Taiwan wieder 22 Jets, die um Taiwan "gemeinsame Patrouillen zur Kampfbereitschaft" mit chinesischen Kriegsschiffen durchführten.

Immer häufiger setzt Chinas Armee auch Drohnen oder Überwachungsballons ein – letztere vor allem seit der Wahl. Einer überflog gar die Südspitze der Insel. Peking mahnt wiederum Taipeh, diese normalen Wetterballone nicht "für politische Zwecke hochzuspielen".

Auch zu Wasser nähern sich chinesische Schiffe immer näher der Insel an. Dabei geht es auch um die Kontrolle der wichtigen Meeresstraße von Taiwan. Die USA, Frankreich und andere führen dort regelmäßig sogenannte "Freedom of navigation"-Übungen durch – also Durchfahrten, um zu demonstrieren: Das hier sind internationale Gewässer, und so soll es bleiben. Die Staaten werfen Peking vor, absichtlich unsichere und unprofessionelle Operation durchzuführen – ähnlich wie übrigens im Südchinesischen Meer.

Zwischen April und September 2023 übte das chinesische Militär wiederholt, Taiwan zu "umzingeln" und damit etwa Fluchtwege für "Sezessionisten" abzuschneiden, wie es im Staatsorgan "Global Times" hieß. Nach Pelosis Besuch wurde überhaupt eine Blockade der Insel geübt, bei der auch Raketen über die Insel geschossen wurden.

Wirtschaftliche Maßnahmen

Die offensichtlichen militärischen Muskelspiele sind aber nur ein Teil der vielen Maßnahmen im grauen Bereich. Wirtschaftlich verhängt Peking immer wieder Handelsschranken, was Taiwan empfindlich trifft – immerhin ist China Taiwans größter Handelspartner. Taiwans Chipindustrie dient zwar als gewisser Schutz, schließlich ist auch Festlandchina davon abhängig. Trotzdem kann Peking quasi entscheiden, den Handel auf- oder zuzudrehen. Das ist vor allem im Energiesektor dramatisch, wo Taiwan den Großteil vom Festland importiert.

Immer wieder wirft Taiwan Peking vor, mit bereits erwähnten Ballons oder Drohnen die Insel auszuspionieren. Taiwan beschuldigt China, die Flugsicherheit zu gefährden und psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung der Insel zu betreiben. Daneben ist China Urheber etlicher Desinformationskampagnen. Und Taiwan ist einer der weltweiten Hotspots von Cyberangriffen: Laut einer US-Studie kommt es auf der Insel zu 15.000 Angriffen pro Sekunde.

Und dann ist da noch das Problem mit den Internetleitungen. Als Anfang 2023 ein Unterseekabel gekappt war, war die kleine taiwanische Insel Matsu für Tage vom Internet abgeschnitten. Der Vorfall zeigte, wie angreifbar Taiwan hier ist. Die Regierung arbeitet aktuell an einem Satelliten-Backup-System für den Ernstfall.

Diplomatischer Druck

Auch auf diplomatischer Ebene ist Peking höchst aktiv. Da ist einerseits der Druck auf Staaten, diplomatische Beziehungen mit Peking, nicht mit Taipeh einzugehen. Nur noch elf Länder und der Vatikan unterhalten offizielle Beziehungen zu Taipeh.

Andererseits macht Peking Druck, Taipeh auch bei internationalen Organisationen so gut es geht rauszuhalten beziehungsweise gezielt Desinformation über den Status von Taiwan zu streuen. Prominentes Beispiel ist die Uno-Resolution 2758. Das ist jene Resolution, die festhält, dass Peking den Uno-Sitz für China innehat und nicht Taipeh. Peking bezieht sich zum Beispiel auf die Resolution, wenn man darauf aufmerksam machen will, dass doch alle Staaten anerkannt hätten, dass Taiwan Teil Chinas sei. Tatsächlich klärte die Resolution die Vergabe des Uno-Sitzes, der Status Taiwans bleibt darin offen. Als Nauru kurz nach der Wahl zu Peking wechselte, ließ sich Peking im Übrigen schriftlich geben, dass Taiwan Teil Chinas sei. (Anna Sawerthal, 1.2.2024)