Die von Deutschland und den Niederlanden ausgegangenen Bauernproteste weiten sich auf immer mehr Länder aus. In Frankreich setzten Landwirte am Donnerstag die ausgerufene "Belagerung von Paris" fort. Autobahnzufahrten aus allen Himmelsrichtungen blieben gesperrt. Die Regierung schreitet gegen die Sperren nicht ein, verlangt aber dafür von den Traktorfahrern, dass sie Flughäfen, Bahnhöfe und den Frischmarkt Rungis für die zwölf Millionen Einwohner von Paris in Ruhe lassen. Am Mittwoch hatten radikale Bauernführer trotzdem versucht, in das flughafengroße Gelände einzudringen. Die Polizei nahm 90 Personen fest.

Triumphbogen in Paris, Misthaufen, Arbeiter
Misthaufen am Triumphbogen: Städtische Bedienstete räumen den Weg wieder frei.
REUTERS/ABDUL SABOOR

Premierminister Gabriel Attal machte am Donnerstag neue Ankündigungen, um die Wogen zu glätten und eine Politisierung der Bewegung zu vermeiden. Er stellt 150 Millionen Euro an Sozialhilfe für ärmere Bauern zur Verfügung. Dazu auferlegt er den Supermärkten tiefere Margen für Nahrungsmittel aus französischer Produktion. Und er setzt einen Erlass zur Eindämmung von Pestiziden außer Kraft.

EU-Kommission reagiert

Auf europäischer Eben kündigte die EU-Kommission ihrerseits Maßnahmen an. Die umweltpolitisch motivierte Pflicht, vier Prozent Ackerland brachliegen zu lassen, wird suspendiert. Geflügel und andere Importe aus der Ukraine werden wieder stärker besteuert, nachdem sie kriegsbedingt bevorteilt worden waren.

Dass jedes EU-Land eigene Maßnahmen erlässt, macht die Lage nicht übersichtlicher. Die spanische Regierung protestierte offiziell gegen französische Winzer, die Tankladungen von – billigerem – spanischen Wein bei Bauernsperren in Südfrankreich auf den Asphalt geleert hatten.

Die Franzosen entgegnen, Spanien lasse den Einsatz von mehr Pestiziden zu, was die Produktion unzulässig verbillige. Auch wenn die EU die Verwendung chemischer Stoffe reguliert, bleibt es jedem Land freigestellt, wie es die Anzahl der eingesetzten und unterschiedlich starken Pestizide festlegt. Attal untersagte deshalb am Donnerstag das Mittel Thiacloprid, das bei spanischem Gemüse und Obst zum Einsatz kommt.

Französische Früchte- und Gemüsebauern regen sich zudem über den niedrigeren Mindestlohn in spanischen Treibhäusern auf. Auch sonst ziehen die beiden Nachbarländer nicht am gleichen Strick: Während Portugiesen, Spanier und auch die exportorientierten Deutschen für Freihandelsabkommen mit anderen Weltgegenden eintreten, lehnen französische Landwirte diese vehement ab. Denn Blumen aus Kolumbien oder Rindfleisch aus Argentinien kostet oft nur die Hälfte französischer Produktion.

Schützenhilfe aus Irland

Am Donnerstag erhielt Paris Schützenhilfe aus Dublin: Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar sprach sich gegen das Handelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten aus. Er gab den Protestierenden recht mit dem Hinweis, dass es unfair sei, Agrarimporte zu akzeptieren, die mit geringeren Umweltstandards produziert worden seien.

Die EU-Kommission hatte noch am Mittwoch bestätigt, dass die Verhandlungen über das Abkommen weitergehen. Unterhändler weisen darauf hin, dass die französische Agrarproduktion – die größte in Westeuropa – vom neuen Handelsabkommen mit Kanada profitiert habe.

Das gelte aber nur für die großen Getreidegüter in Nordfrankreich, wenden notleidende Kleinzüchter in Südfrankreich ein. Sie verlangen verbindliche Zusagen über ein Mercosur-Moratorium, bevor sie die Autobahnsperren aufgeben und auf ihre Güter zurückkehren. Sie arbeiten oft sieben Tage in der Woche und können es sich nicht leisten, länger von ihrem Gut abwesend zu sein. Die beiden wichtigste Bauernverbände FNSEA und JA haben ihre Mitglieder am Donnerstagabend jedenfalls aufgerufen, die Protestaktion abzublasen. Das könnte das Ende der Bewegung einläuten – oder aber ihre Radikalisierung durch eine Minderheit. (Stefan Brändle aus Paris, 1.12.2024)