Novák galt bislang als treue Erfüllungsgehilfin des autoritär regierenden Rechtspopulisten Orbán.
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Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novák hat am späten Samstagnachmittag nach dem Skandal rund um die Begnadigung in einem Missbrauchsfall ihren Rücktritt erklärt. "Ich habe einen Fehler begangen", sagte sie in einer Ansprache im Staatsfernsehen. "Denn meine Amnestie-Entscheidung und das Fehlen einer Begründung dafür waren dazu angetan, dass ich Zweifel an der Null-Toleranz-Politik gegenüber Pädophilie erwecken würde."

Novák hielt dem Druck nicht mehr stand, nachdem ihr langjähriger Förderer, der mächtige Ministerpräsident Viktor Orbán, sowie einige seiner Leib-Publizisten von ihr deutlich abgerückt waren. Zeitgleich mit ihr gab auch die ehemalige Justizministerin Judit Varga ihren Rückzug aus der Politik bekannt. Sie hatte damals als zuständige Ressortchefin die umstrittene Begnadigung gegengezeichnet, sodass sie rechtswirksam werden konnte. Sie tritt nun von ihrem Parlamentsmandat und vom ersten Listenplatz auf dem Ticket der Orbán-Partei Fidesz bei den Europawahlen im Juni zurück.

Begnadigung eines Heimerziehers

Die umstrittene Amnestierung des Heimerziehers Endre K. war zwar schon vor einem Dreivierteljahr erfolgt, wurde aber erst Ende der Vorwoche bekannt. K. hatte Jahre hindurch den Kindesmissbrauchs seines Vorgesetzten, des Chefs des Heims in Bicske bei Budapest, gedeckt. Als dessen kriminelles Verhalten aufflog, nötigte K. einige der Opfer dazu, ihre Aussagen zu widerrufen. K. erhielt durch eine rechtskräftige Verurteilung drei Jahre und vier Monate Gefängnis, der pädophile Heimleiter acht Jahre.

Novák begnadigte K. im vorigen April aus Anlass eines Besuchs von Papst Franziskus in Ungarn. Die Umstände sind bis heute nicht klar, und auch die Rücktrittsansprache der Staatschefin enthielt dazu keine erhellenden Angaben. Novák galt als treue Erfüllungsgehilfin des autoritär regierenden Rechtspopulisten Orbán. Ohne Mucken unterschrieb sie zuletzt ein von Orbán gepushtes sogenanntes Souveränitätsschutzgesetz, das politische Gegner einschüchtern soll und schon Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU geworden ist. Der verurteilte Pädophilen-Helfer soll gut vernetzt gewesen sein mit der katholischen Kirche sowie mit Orbán-Verwandten in dessen Heimatdorf Felcsút, das nur wenige Kilometer von Bicske entfernt liegt. Wer seine Begnadigung vorangetrieben hat, bleibt auch nach Nováks Rücktritt unklar.

Steigender Druck

Nach dem Bekanntwerden dieser Entscheidung am Freitag vor einer Woche schlugen jedenfalls die Wogen in Ungarn hoch. Nicht nur die Opposition empörte sich, sondern auch Anhänger und Wortführer des Orbán-Lagers empfanden den Vorgang als skandalös. Seit Jahren inszeniert sich der Regierungschef als Vorkämpfer für den Schutz der Kinder vor den vermeintlichen Gefahren der Modernität, immer wieder mit der perfiden Stoßrichtung, die Pädophilie mit Homosexualität gleichsetzt. Ein eigenes Gesetz verbietet es, Bücher, Filme oder sonstige Träger von Inhalten, die Homosexualität, Transsexualität oder Geschlechtsanpassungen thematisieren, Jugendlichen unter 18 Jahren zugänglich zu machen – auch mit der Begründung, sie damit vor "Pädophilie" zu schützen.

Nováks Begnadigung des Komplizen eines pädophilen Straftäters hat nicht nur Empörung hervorgerufen, sondern auch ein Loch in das Lügengebäude der Orbán-Ideologie gerissen. Deshalb war sie nicht mehr zu halten. Da sie über die eigentlichen Hintergründe ihrer "Fehlers" schwieg, ist es gut möglich, dass ihr das System Orbán früher oder später einen einträglichen Versorgungsposten zukommen lassen wird.

Den Rücktritt muss das Parlament noch formell annehmen. Ihre Agenden wird dann interimistisch Parlamentspräsident László Kövér übernehmen. Über die Nachfolge entscheidet gleichfalls die Volksvertretung, in der die Orbán-Partei eine komfortable Zweidrittelmehrheit hat. (Gregor Mayer, 10.2.2024)