Das Bild zeigt das Amazon-Logo auf einem Verteilzentrum
In den USA brauen sich Wolken über dem Onlinehändler Amazon zusammen: Eine Sammelklage wirft eine umfassende Manipulation von Kunden vor.
REUTERS/PASCAL ROSSIGNOL

Darf's ein bisserl mehr sein? Der Onlinehändler Amazon, der sich eigentlich gerne seiner großen Auswahl an günstigen Produkten und seiner kurzen Lieferzeiten rühmt, wird mit einem schwerwiegenden Vorwurf konfrontiert. In einer Sammelklage aus den USA wird behauptet, dass Amazon seine Plattform seit Jahren in einer Weise manipuliert, die seine Kunden dazu bringt, unwissentlich mehr für Produkte zu bezahlen. Tatsächlich will man nachgewiesen haben, dass Kunden die gleichen Produkte anderswo auf der Website billiger oder zu besseren Liefergeschwindigkeiten hätten kaufen können.

Im Mittelpunkt der Kontroverse steht die sogenannte Buy Box – eine auffällige Funktion auf den Produktseiten von Amazon, die Käufern die Wahl zwischen "Jetzt kaufen" und "In den Einkaufswagen" anbietet, da diese Box angeblich das beste auf der Plattform verfügbare Angebot darstellt.

Algorithmus führt (fast) alle Kunden in die Irre

In der Beschwerde wird jedoch vorgebracht, dass dies nicht immer der Fall ist. Es wird behauptet, dass der dafür verantwortliche Algorithmus voreingenommen ist und Artikel bevorzugt, die direkt von Amazon oder über seinen Fulfillment-by-Amazon-Service verkauft werden. Diese Verkäufer zahlen Amazon höhere Gebühren, im Gegenzug sollen ihre Produkte angeblich auch bevorzugt in der Buy-Box angezeigt werden. Laut der Beschwerde führt diese Praxis nahezu alle Amazon-Kunden (knapp 98 Prozent) in die Irre und lässt sie glauben, dass sie das beste Angebot erhalten – in Wahrheit zahlen sie aber mehr, als nötig gewesen wäre.

Dieses Problem ist Aufsichtsbehörden prinzipiell nicht entgangen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Europäischen Union haben die Behörden Amazons Buy-Box-Algorithmus untersucht und festgestellt, dass dieser mindestens seit 2016 Fulfillment-by-Amazon-Verkäufer (oder Amazon selbst) bevorzugt. Diese Untersuchungen führten zu erheblichen Geldstrafen und Forderungen an Amazon, alle Verkäufer bei der Entscheidung, welche Produkte in die Buy-Box aufgenommen werden, gleich zu behandeln.

Drastische Konsequenzen möglich

Eingereicht wurde die aktuelle Klage von zwei langjährigen Amazon-Kunden aus Kalifornien, die behaupten, dass Amazon sie und Millionen andere durch seine Praktiken vorsätzlich und betrügerisch dazu gebracht hat, zu viel für Produkte in der Buy-Box zu bezahlen. Sie ist deshalb von großer Bedeutung, weil sie sich erstmals auf den angeblichen Schaden für die Verbraucher konzentriert und nicht auf allgemeinere kartellrechtliche Bedenken oder die Auswirkungen auf die Verkäufer.

Das Anwaltsteam, das die Kläger vertritt, wies auf die unverhältnismäßige Belastung der Verbraucher hin, die gezwungen seien, zusätzliche Zeit für die Suche nach den besten Angeboten bei Amazon aufzuwenden, was nach Ansicht der Kläger unnötig sein sollte. In der Klage, die im Namen aller Personen eingereicht wurde, die seit 2016 über die Buy-Box eingekauft haben, wird argumentiert, dass es höchst unwahrscheinlich sei, dass ein Kunde nicht von diesen Praktiken betroffen gewesen sei, da Amazon dazu tendiere, teurere Artikel in der Buy-Box anzubieten.

Wie "Ars Technica" berichtet, streben die Kläger ein Geschworenenverfahren an und hoffen auf ein Urteil, das Amazon verbietet, diesen mutmaßlich voreingenommenen Algorithmus zu verwenden, um den Verkauf über die Buy-Box anzukurbeln und so zu verhindern, dass Kunden zu teureren Artikeln gelenkt werden. Die möglichen finanziellen Folgen für Amazon könnten angesichts der Größe seines Kundenstamms in den USA und des über die Buy-Box erzielten Umsatzes erheblich sein.

Zunehmend in der Kritik

Amazon präsentiert sich gerne als kundenfreundlich, indem es eine riesige Auswahl, blitzschnellen Versand und problemlose Rückgaben anbietet. Das Unternehmen behauptet, stets im Sinne der Kunden zu handeln und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Doch hinter dieser Fassade verbergen sich Praktiken, die seit Jahren zunehmend in die Kritik geraten.

Berichte über harte Arbeitsbedingungen in Verteilzentren und bei Zustellern sowie eine gnadenlose Strategie, kleinere Wettbewerber aus dem Markt zu drängen, werfen mittlerweile einen großen Schatten auf Amazons Geschäftsgebaren. Diese Vorgehensweisen wie auch fragwürdige Preiserhöhungen und der Umgang mit Algorithmen zur möglichen Manipulation der Kunden deuten wenig überraschend darauf hin, dass das Streben nach Profit bei Amazon möglicherweise doch über dem Wohl der Kunden und Mitarbeiter steht. (bbr, 15.2.2024)