Dieses Jahr wird das bedeutendste Wahljahr der Geschichte. In 40 Ländern, die 41 Prozent der Weltbevölkerung oder 42 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entsprechen, steht heuer ein Urnengang an. Die dabei getroffenen Weichenstellungen werden die Richtung für die nächsten Jahre vorgeben, etwa bei der Wirtschafts- und der Klimapolitik. Das wird auch die Börsen betreffen, allen voran die Wahl des US-Präsidenten im November, denn: "US-amerikanisches Geld bestimmt nach wie vor den Takt auf den Börsenparketts dieser Welt", sagt Fondsmanager Akhil Dhawan von Schoellerbank Invest.

Ein Mann geht vor einem Schild mit der Aufschrift Wall Street.
In der Vergangenheit ging es in Wahljahren an der Wall Street im zweiten Halbjahr meist deutlich bergauf.
REUTERS/EDUARDO MUNOZ

Er hat den US-Wahlzyklus analysiert und sagt über das vierte Jahr einer US-Präsidentschaft, also das Wahljahr: "Gemäß der Theorie verläuft in der Regel in Wahljahren die erste Hälfte tendenziell schwach, gefolgt von einer Rallye in der zweiten Hälfte." Das erfreuliche Ergebnis: Die Performance fällt dabei meist positiv aus, Garantie auf Kursgewinne gibt es aber keine. Zumal die durchschnittlichen Erträge dünner ausfallen, wenn sich ein knappes Rennen abzeichnet. "Der Markt mag keine Unsicherheit, und politische Unsicherheit ist da keine Ausnahme", erklärt Dhawan.

Aber was bedeutet ein Sieg des demokratischen Amtsinhabers Joe Bidens oder des voraussichtlichen republikanischen Herausforderers Donald Trump für Anleger? "Wir sehen unterschiedliche Herangehensweisen in Bezug auf Nachhaltigkeit", sagt Markus Müller, der das Chief Investment Office der Deutschen Bank leitet. Vor allem Klimaschutz liegt Trump nicht am Herzen, wie er während seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 mit dem vorübergehenden Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen gezeigt hat.

Der Dow-Jones-Index nach Präsidentschaftszyklen.

Gemeinsamkeiten sieht Müller im Bereich des Außenhandels. Denn Biden führte die von Trump begonnene Politik von Handelsbarrieren fort, während seiner Amtszeit nahm die Anzahl weltweiter Handelsinterventionen sogar weiter zu. Müller verweist auf "Veränderungen des Miteinanders im globalen Kontext" und betont: "Wir sehen Umbrüche bei der Geopolitik und beim Warenhandel."

Erneuerbar oder fossil

Was das auf Branchenebene bedeutet, erläutert Shanna Strauss-Frank von Freedom Finance Europe. Unternehmen für erneuerbare Energien oder Elektrofahrzeuge sollten demnach von einem Sieg Bidens profitieren. "Höhere staatliche Ausgaben für das Bildungswesen und Bidens Fokus auf den Schutz vor Cyberbedrohungen sollten Anleger ebenfalls im Blick behalten", ergänzt Strauss-Frank. Zudem würden Bauunternehmen und Materialhersteller von Bidens Infrastrukturplänen profitieren.

Eine Rückkehr zur Trump-Ära würde Öl- und Gaskonzerne in der Erwartung laxerer Vorschriften für traditionelle Energiequellen erfreuen. Gleichzeitig wäre unter Trump eine erneute Konzentration auf die nationale Sicherheit wahrscheinlich, was Rüstungskonzerne, Luft- und Raumfahrtunternehmen wegen höherer Militärausgaben begünstige.

Proeuropäische Mehrheit

Bei den Europawahlen im Juni würde eine proeuropäische Mehrheit eine tiefere Integration signalisieren. "Die wahrgenommene Stabilität könnte Anleger anziehen, die einen sicheren Hafen suchen, und so den Euro stärken", sagt Strauss-Frank. Auf Branchenebene sieht sie Finanzwerte und Konsumgüterhersteller von einer engeren Integration in der EU profitieren.

Aber gibt es nicht den Leitsatz "Politische Börsen haben kurze Beine"? Das Sprichwort bedeutet Strauss-Frank zufolge nicht, dass Wahlen keine Rolle spielen. "Sie können große Konsequenzen auf die Wirtschaft und einige Sektoren haben", sagt sie, "es erinnert Anleger aber daran, dass die Auswirkungen oft nur vorübergehend sind." Sprich: Auf lange Sicht sind es die Unternehmensergebnisse, die an der Börse die Richtung vorgeben. (Alexander Hahn, 15.2.2024)