Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim
Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim hat mit einem neuen Video Spekulationen über ihre Karriere angefacht.
IMAGO/Fotostand/Reuhl

Will Deutschlands bekannteste Wissenschafts-Youtuberin in die Politik gehen? Darüber spekulieren derzeit viele Medienleute wegen eines Videos, das Mai Thi Nguyen-Kim auf ihrem eigentlich eingestellten Kanal "maiLab" veröffentlicht hat (DER STANDARD berichtete). Nach Kritik an der Technologiehörigkeit der FDP, dem Gentechnikhass der Grünen und den Kommunikationsproblemen des SPD-Bundeskanzlers Olaf Scholz verkündete die promovierte Chemikerin: "Wenn du willst, dass es gut wird, musst du es halt selbst machen."

Heißt es nun tatsächlich "Nerds an die Macht"? Ist eine gewählte Expertinnenregierung in Aussicht? Die 36-Jährige hätte eine junge, gebildete Fangemeinde hinter sich. Ihr Youtube-Kanal hat rund 1,5 Millionen Abos, als TV-Moderatorin von "Quarks" und "Terra X" wurde sie einem breiteren Publikum bekannt. Wie kaum jemand in diesem Bereich wird sie angefeindet – als Frau, wegen ihrer klaren Positionierung während der Corona-Krise für Impfungen und den Schutz vulnerabler Gruppen, aber auch, weil ihr Mann in der Pharmabranche arbeitet.

Highlight der Wissenschaftskommunikation

Die Tochter eines aus Vietnam stammenden Paares sagte in einem Interview, dass Politik in ihrem Elternhaus kaum eine Rolle gespielt hat, aber durch ihren Job öfter Thema geworden ist. Vor allem in ihrer eigenen Infotainment-Sendung "Maithink X" auf ZDF Neo behandelt sie wissenschaftliche Aspekte von Themen, die die Gesellschaft beschäftigen, von Verschwörungserzählungen über Atomkraft bis Greenwashing. Die aktuelle Staffel muss aber ohne sie auskommen: Nguyen-Kim ist in zweiter Elternkarenz.

Wie ihr Vater studierte sie Chemie, verzichtete nach Stationen am MIT und in Harvard aber auf eine Stelle an der Uni oder in der Pharmaindustrie. Wissenschaftsvermittlung erschien ihr im Aufschwung "alternativer Fakten" wichtiger. Viele Auszeichnungen – neben dem WM-Titel als Synchronstepptänzerin sind das unter anderem das deutsche Bundesverdienstkreuz und der österreichische Heinz-Oberhummer-Award für Wissenschaftskommunikation – bestätigen: Dr. Nguyen-Kim vereint Klarheit, wissenschaftlichen Ethos und Charisma auf eine gewinnende Art, wie sie die deutschsprachige Medienlandschaft selten gesehen hat.

Fehlende Sachlichkeit

Ihr Wechsel ins Fernsehen war für viele "Freunde der Sonne" – so spricht Nguyen-Kim ihr durchwegs begeistertes Youtube-Publikum an – eher enttäuschend: zu großer Fokus auf Lustigsein, zu wenig Tiefe. Doch das Konzept passte besser in ihre Lebenswelt, in der sich nicht nur durch den Familiennachwuchs die Prioritäten verschoben hätten. Mit Blick auf die Zukunft macht sie sich nicht nur aufgrund der Informationskrise und des skandalhungrigen Medienkonsums Sorgen. Die "vernünftige Mehrheit", von der Nguyen-Kim optimistisch ausgeht, sei verdrossen von Populismus und fehlendem Mut zu langfristigen Lösungen. Es mangle an entspannter Sachlichkeit.

Ob sich ihr Statement als politische Kandidatur oder gar Parteigründung herausstellt, bleibt abzuwarten. Es könnte auch ein cleverer Teaser für ihre Sendung sein, eine Art mediales und soziales Experiment, wie beispielsweise Youtuber Alexander Prinz vermutet. Denn in der neuen Staffel soll es um Themen wie Populismus und Hass gehen. Oder ist es doch ein anderes Projekt, das es ermöglicht, den laut Nguyen-Kim "festgefahrenen Betrieb mit Außenseiterblick aufzuwirbeln"? In der heutigen Gesellschaft eine "kleinste gemeinsame Wirklichkeit" zu finden – so heißt Nguyen-Kims Sachbuchbestseller – scheint heute jedenfalls so wichtig wie nie. (Julia Sica, 15.2.2024)

STATEMENT.
maiLab