Grönland
Noch schneller als der Meeresspiegel hebt sich Grönland (hier: ein Fjord im Osten der Insel) aus dem Meer empor. Bis zum Jahr 2100 könnte die Anhebung der Landmassen über zwei Meter betragen.
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Grönland ist für die Klimaforschung gleich mehrfach von größtem Interesse. Würde sich der gesamte Eispanzer der größten Insel der Welt, der bis zu drei Kilometer dick ist, in Wasser auflösen, würde das den Meeresspiegel um mehr als sieben Meter steigen lassen. Das ist ein Prozess, der freilich noch Jahrhunderte andauert. Laut einer halbwegs aktuellen Studie könnten bis zum Jahr 2100 rund 3,3 Prozent des Eises abschmelzen, was den Meeresspiegel um rund 27 Zentimeter steigen lassen würde.

Zeitlich etwas näher ist ein anderer möglicher Effekt, der durch den Eintrag des abschmelzenden Süßwassers in das Nordpolarmeer erwartet wird: Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Golfstrom – eigentlich: die Atlantische Umwälzzirkulation (Amoc) – in den nächsten Jahrzehnten kippen und zum Erliegen kommen könnte. Die dramatische Folge wäre eine starke Abkühlung Europas, während es auf der Südhalbkugel noch wärmer würde.

23 Zentimeter seit 2013

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kipppunkt näherrückt, hat insbesondere seit 2015 zugenommen. In diesen Jahren hat sich auch das Abschmelzen des Grönländischen Eisschilds massiv beschleunigt und vollzieht sich aktuell etwa fünfmal schneller als noch vor 30 Jahren. Dennoch hat Grönland in den vergangenen 50 Jahren nur knapp zwei Zentimeter zum Anstieg des Meeresspiegels beigetragen.

Grönland selbst wird darunter kaum zu leiden haben – was nicht nur an der besonders dünn besiedelten Küstengegend liegt. Die riesige Insel hat sich in den vergangenen zehn Jahren mit beeindruckendem Tempo angehoben – in manchen Regionen um bis zu 23 Zentimeter, wie Forschende auf Basis von Daten des Grönländischen Netzwerks des globalen Navigationssatellitensystems (GNSS) berichten.

Grönlands Topografie
Links: Topografie Grönlands, farbkodiert von 1.500 Meter unter dem Meeresspiegel (dunkelblau) bis 1.500 Meter über dem Meeresspiegel (braun). Rechts: Regionen unterhalb des Meeresspiegels, die mit dem Meer verbunden sind; dunklere Farben sind tiefer.
UCI

Dass sich Grönland durch den Eisverlust heben wird, ist bekannt: Durch die Last des Eisschilds ist etwa das Festland Zentralgrönlands um bis zu 200 Meter unter den Meeresspiegel gedrückt. (Unter dem Eis befindet sich übrigens auch ein Canyon, den in seinen Dimensionen den Grand Canyon in den Schatten stellt.) Werden die Eismassen weniger, können sich die Landmassen erheben. Sollte alles Eis abschmelzen, dürften manche Regionen Grönlands durch die sogenannte postglaziale Landhebung um bis zu 800 Meter angehoben werden.

Doch ist es allein der schwindende Eisschild, der für Grönlands "Aufstieg" sorgt? Diese Frage war – neben der Vermessung – die zweite Herausforderung, der sich das Team von Danjal Longfors Berg (Technische Universität Dänemark) für seinen Artikel in den "Geophysical Research Letters" stellte. Das Ergebnis der Berechnungen: Der Verlust des Grönländischen Eisschilds liefert zwar den größten Beitrag zur Anhebung der Landmasse. Doch insbesondere für Nord- und Ostgrönland sind weitere Faktoren unterschätzt worden: die abschmelzenden Randgletscher Grönlands sowie Kanadas. Sie erklären für diese Teile Grönlands fast ein Drittel des vertikalen Hubs, der bis zum Ende des 21. Jahrhunderts immerhin rund zwei Meter betragen könnte. (Klaus Taschwer, 20.2.2024)