Als die Rede auf die anstehende Landtagswahl kommt, legt einer der Männer an der Bar Geld auf die Budel, steht auf und geht mit den Worten: "I glaub, für mi wird’s Zeit." Der andere meint: "Mich interessiert das alles nicht." Er greift zu seiner Bierflasche, hält sie in die Luft und sagt: "Grün wähl ich nur beim Bier." Er setzt die kleine grüne Flasche Gösser an, trinkt einen Schluck. Als er sie absetzt, schiebt er in Richtung Puntigam nach: "Und blau wähl ich nicht einmal beim Bier!"

Ein Plakat mit Herrenmode auf das EU und Euro gesprüht wurde, beides durchgestrichen.
Rund ums Businesscenter in Gralla wird auf Modeplakaten so etwas wie Politik gemacht. Im Ort dahinter ist es schon deutlich beschaulicher.
Guido Gluschitsch

Es ist Montag am frühen Nachmittag, in einem kleinen Café, ziemlich weit weg vom Schuss, in Gralla. Drüben, wo die Autobahnabfahrt für Leibnitz ist, steht ein großes und hässliches Businesscenter. Es staut sich, und es ist hektisch. Im Ort selbst ist es, als wäre die Zeit schon vor Jahren stehengeblieben. Hier lebte Franz Fuchs, der in den 1990er-Jahren rechtsextreme Bombenattentate verübte. Bei der letzten Gemeinderatswahl hat die SPÖ mehr als 80 Prozent der Stimmen geholt. "Lass dich nicht täuschen", mahnt der Mann mit dem grünen Bier, "bei der Stichwahl zum Bundespräsidenten hat man genau gesehen, wie blau Gralla eigentlich ist." Er glaubt, dass bei der Landtagswahl, die voraussichtlich im Herbst stattfinden wird, alle drei großen Parteien in etwa gleich abschneiden werden.

Wahlumfrage

Die drei Parteien, das sind die FPÖ, die SPÖ und die ÖVP. In genau dieser Reihenfolge sieht sie eine Standard-Umfrage, die Mitte Jänner gemacht wurde. Das Erstaunliche daran: Die ÖVP, die bei der letzen Wahl deutlich dazugewonnen hat, verliert demnach stark, die FPÖ gewinnt mehrere Prozentpunkte dazu. Und das, obwohl Erstere den Landhauptmann stellen, Letztere in einen Finanzskandal verwickelt sind. "Der wird wenig Auswirkungen auf die Wahl haben", ist sich Franz Silly, ÖVP-Bürgermeister von St. Martin im Sulmtal, sicher, "weniger als die Regierungsverantwortung, in der auch Fehler gemacht wurden – wie im Umgang mit der Pandemie und dem Krieg."

Silly als er beim Fotografieren einen Passanten grüßt.
Franz Silly, ÖVP-Bürgermeister in St. Martin im Sulmtal kennt im Ort anscheinend jeden.
Guido Gluschitsch

St. Martin liegt nur wenige Kilometer von Gralla entfernt und ist fast so schwarz, wie Gralla rot ist. Doch bei der Landtagswahl könnte das diesmal anders sein, befürchtet auch der Bürgermeister, der sich gerne an die Glanzzeiten der ÖVP in der Steiermark unter Josef Krainer senior und junior erinnert. Die konnten die Leute begeistern. Das gelingt dem aktuellen Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) kaum, das weiß auch Silly. Und dann war damals noch Sebastian Kurz, von dem die ÖVP bei der vergangenen Landtagswahl ordentlich profitiert hat.

Die Ausländer im Wahlkampf

"Asyl ist ein Thema, auch wenn wir im Ort nichts davon merken. Aber wenn es die Medien und gewisse Parteien streuen, dann hat das eben Auswirkungen." Die Leute seien verunsichert, ist Silly überzeugt, "die Zeit ist schnelllebiger geworden, man weiß schon nicht mehr: Darf man noch mit dem Auto fahren?" Wenn da einer kommt, der sagt, so und so ist es, "dann muss man nicht mehr selbst denken, und vielen hilft das".

Einen ganz anderen Eindruck machen am Abend drei junge Männer, die auf dem Jakominiplatz in Graz bei einem Bier zusammenstehen und politisieren. Man merkt schnell, wie bewandert sie vor allem bei allen linken Themen sind. Von einem Wahlkampf merke man in der Steiermark noch nichts, sagt einer. "Nachdem die Umfrage vom Standard rausgekommen ist, die der SPÖ ja leichte Gewinne prognostiziert, war ich mir sicher, dass bald das erste Plakat hängen wird – und heute habe ich eines gsehen", sagt einer aus der Runde. "Groß das Gesicht vom Lang drauf, daneben steht irgendwas mit Steiermark."

Der Jakominiplatz in Graz von oben.
Am nächsten Tag in der Früh ist wieder Ruhe am Jakominiplatz eingekehrt. Am Vorabend wurde hier hoch hitzig debattiert.
Guido Gluschitsch

Die drei diskutieren über Verkehrspolitik, den KPÖ-Politiker Werner Murgg, der mitunter wegen seiner radikalen Ansichten als "Problemgenosse" tituliert wird, und auf welche Themen sich die linken Parteien draufsetzen sollten. Der Finanzskandal der FPÖ interessiert sie nicht. Alle Parteien hätten ein schlampiges Verhältnis zum Geld. "Na gut, außer der KPÖ", sagt einer, und die anderen stimmen zu. "Aber bei der SPÖ – vor allem die Wiener, und die FPÖ sowieso, immer schon und in allen Bereichen." Sie bestellen noch eine Runde. "Mit dem Kunasek würde ich aber sofort auf ein Bier gehen", sagt einer, "Das ist sicher ein Spaß – der kann gut mit Leuten." Aber mit dem Kickl würde er das nie machen. Die anderen beutelt es ab. Ein Bier mit dem Kickl? Niemals.

Anders sehen dürfte das ein FPÖ-Mitarbeiter, der tagsüber in einem Infozelt unweit des Landhauses in Graz mit Passanten spricht. Dort freut man sich über die aktuellen Umfragewerte. "Wir liegen vorn, weil wir die Einzigen waren, die die Corona-Maßnahmen verurteilt haben", erklärt er einem Passanten. Der kontert, dass die FPÖ ganz zu Beginn der Pandemie doch für strengere Maßnahmen eingetreten sei und die Kehrtwende erst machte, als diese auch tatsächlich kamen.

Wie du mir, so ich dir

An den prompten Wechsel der Einstellung erinnert sich der FPÖler – dies lag daran, dass die Zahl der Grippetoten viel höher war als die Zahl der Corona-Toten, sagt er. "Man hat die Leute in die Spritze getrieben", das war ein Fehler. "Wenn wir damals in Regierungsverantwortung gewesen wären, wie würde man uns jetzt dafür abstrafen?", fragt er, während im Hintergrund gerade Anton Lang, Spitzenkandidat der SPÖ Steiermark, das Landhaus verlässt. Die nächste halbe Stunde wird er auf dem Rathausplatz immer wieder von Passanten angesprochen, diskutiert mit ihnen und scheint die Aufmerksamkeit zu genießen.

Ein Infostand der FPÖ Graz
Die FPÖ in Graz ist mit den aktuellen Umfragen ganz zufrieden ist und geht aktiv auf die Menschen zu.
J.J.Kucek

"Er ist ein Gössendorfer und da kein Unbekannter", sagt Gerald Wonner, SPÖ-Bürgermeister der besagten Gemeinde mit rund 4000 Einwohnern südlich von Graz. Wonner verfügt über eine Zwei-Drittel-Mehrheit und hofft wenig überraschend, dass "Toni Lang dazugewinnt. Er hat das Handwerk von der Pike auf gelernt, ist Vereinsmensch, weiß, was die Kommunen und Bürger brauchen." So weit, so absehbar. Doch dann sagt Wonner: "Das schafft aber auch der Mario Kunasek."

Kunasek, FPÖ-Spitzenkadidat bei der Landtagswahl, stammt ebenfalls aus Gössendorf. So lässt sich erklären, dass die Gemeinde mit der absoluten Mehrheit für die SPÖ bei der vergangenen Landtagswahl die einzige Gemeinde mit einer Mehrheit für die FPÖ war.

Gerald Wonner
Gerald Wonner ist SPÖ-Bürgermeister in Gössendorf, jenem Ort, aus dem die zwei Spitzenkandidaten Anton Lang (SPÖ) und Mario Kunasek (FPÖ) stammen. Er ist der Meinung, dass die beiden im Land gut zusammenarbeiten.
J.J.Kucek

Die ÖVP wird schon noch zulegen, ist Wonner überzeugt, "die wollen sich ihr Land nicht nehmen lassen". Am Ende werden aber alle drei Parteien gleichauf sein, schätzt er. Eine konstruktive Arbeit für die Steiermark "kann auch mit Kunasek funktionieren", glaubt er.

Im Büro von Elke Kahr

Während der blaue Gemeinderat aus Gössendorf, Peter Samt, auf die Schnelle keine Möglichkeit für ein Gespräch findet, sieht das bei Elke Kahr, KPÖ-Bürgermeisterin von Graz, anders aus. Bei ihr spaziert man regelrecht ins Büro wie bei einer langjährigen Kollegin. Auf dem Schreibtisch steht ein altes Röhrenradio, das gut zu den schmucklosen Möbeln passt. Sie hofft, dass die KPÖ stärker aus der Wahl hervorgehen wird, und bespricht am liebsten ihre eigenen Themen, wie "leistbares Wohnen, ein soziales Netz, von dem man aufgefangen wird, wenn es einmal notwendig ist, Löhne und Gehälter, von denen die Menschen leben können". Und es brauche eben eine Partei, die "nicht korrumpierbar ist".

Elke Kahr in ihrem Büro
Elke Kahr (KPÖ), Bürgermeisterin von Graz, ist überzeugt, dass die soziale Sicherheit im Land die Bevölkerung beschäftigt, auch wenn sie gestehen muss, dass viele Menschen, für die sie deswegen kämpft, bei der Landtagswahl gar nicht mitentscheiden dürfen.
J.J.Kucek

Warum die FPÖ in Umfragen dazugewinnt, die ÖVP verliert, das verfolge sie nicht so genau. "Die Politik wird auf Bundesebene mit vielen Verschlechterungen für arbeitende und sozial schwächere Menschen wahrgenommen", ist sie überzeugt. Die Mietpreisbremse wurde nicht eingeführt, die Einmalzahlungen waren nicht nachhaltig, und bei der Impfpflicht sei man zu spät zurückgerudert. "Das macht die Menschen für das Einedrahn vom Kickl anfällig", sagt sie, bevor sie wieder auf ihre Kernthemen schwenkt und daran erinnert, dass "ein Großteil der Leute, denen wir helfen, gar nicht wahlberechtigt sind".

Vor ihrem Büro ist eine Frau mit Kind eingetroffen. In wenigen Minuten wird sie mit der Bürgermeisterin sprechen, während sich das Kind vermutlich in der Spielecke im Büro der Bürgermeisterin die Zeit vertreiben wird. Unter ihrem Fenster hat Anton Lang das zufällige Bad in der Menge wieder beendet. Zwei Frauen freuen sich noch laut, dass er gerade mit ihnen gesprochen hat, und hoffen, dass das möglichst viele Leute bemerkt haben. Wenn sie wüssten, wie voll Langs Terminkalender an diesem Tag ist, wären sie noch stolzer. Es ist Ausschusstag im Landtag, an dem auch Sandra Krautwaschl, Spitzenkandidatin der Grünen, jede Minute Pause verplant hat.

Kein Kanzlerbonus

"Ich habe das Gefühl", sagt sie, "dass die Dauerumfragen die Politik stärker beeinflussen als die Politik selbst." Ihr prognostiziert die aktuelle Umfrage nur acht Prozent. Einige Beobachter meinen, dass ÖVP und Grüne bei der Steiermark-Wahl für die Regierungsbeteiligung abgestraft werden. Dass die ÖVP dabei stärker verliert als die Grünen, liege aber weniger an der Performance von Krautwaschl als an jener von Drexler.

Sandra Krautwaschl auf einem Gang im Freien im Landhaus
Sandra Krautwaschl, Landessprecherin Grünen Steiermark, erinnert daran, wie falsch die Umfragen zu Wahlen in der Vergangenheit oft waren.
J.J.Kucek

Die grüne Spitzenpolitikerin macht für mögliche Verluste ihrer Partei auch einen "Rechtsruck" verantwortlich, "den es in ganz Europa gibt". Zwar thematisiere sie den Finanzskandal der steirischen FPÖ immer wieder, aber: "Das interessiert die Leute nicht." In ihrer Wahrnehmung seien Bodenverbrauch, Verkehrspolitik, Ernährungssicherheit, die Umstellung der Energiesysteme und der Personalmangel im Gesundheits- und Pflegebereich die dringendsten Themen im Wahlkampf. Es brauche einen Richtungswechsel, betont Krautwaschl. Sie will "dem inszenierten Landeshauptmann-Schaulauf etwas Glaubwürdiges entgegensetzen".

Davon kommt in der Obersteiermark wenig an. An einer Bar in Liezen wettert ein Gast, dass es die Grünen seien, die Geld veruntreuten, nicht die FPÖ, "weil Straßen, deren Bau schon beschlossen ist und in die schon Steuergeld floss, nicht gebaut werden". Der Finanzskandal der FPÖ indes sei keiner. "Es ist nichts bewiesen", sagt er, beginnt von Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider zu schwärmen und kommt auf Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu sprechen. Würde Doskozil kandidieren, würde er sofort rot wählen. Anton Lang sei nicht so ein Kaliber. Als die Rede auf Christopher Drexler kommt, folgt nur ein kurzes "Was willst denn mit dem?".

Engelbert Schaunitzer in seinem Büro
Lassings ÖVP-Bürgermeister Engelbert Schaunitzer ist einer der wenigen, die laut sagen, dass die ÖVP die Mehrheit halten werde.
Guido Gluschitsch

"Ergebnisse wie bei der letzten Wahl wird die ÖVP nicht mehr zusammenkriegen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich eine Mehrheit ausgehen wird", sagt Engelbert Schaunitzer, ÖVP-Bürgermeister von Lassing in der Obersteiermark. Die Gemeinde ist nicht nur wegen des Grubenunglücks im Juli 1998 bekannt, sondern auch, weil Schaunitzer der einzige Bürgermeister in der Steiermark ist, der bei der vergangenen Wahl 100 Prozent der gültigen Stimmen erhalten hat. In manchen Häusern in Lassing hängen heute noch Plakate von Sebastian Kurz. "Er war der Richtige, sagen die Menschen im Ort, aber er hat sich mit den falschen Leuten umgeben. Er war eine Symbolfigur. Drexler bemüht sich sehr", aber in sein Amt als Landeshauptmann, der mit der Bevölkerung auf Augenhöhe spreche, "muss er erst hineinwachsen". Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Leitspital, die vor allem die ÖVP Stimmen zu kosten scheint.

Das Leid mit dem Leitspital

In der Obersteiermark gibt es Krankenhäuser in Rottenmann, Bad Aussee und Schladming, die durch ein Leitspital in Steinach-Pürgg ersetzt werden sollen. Damit hat in der Umgebung kaum jemand Freude, "aber ich glaube, wir können uns drei Krankenhäuser in der Region nicht leisten", sagt Schaunitzer. "Das nützen die anderen Parteien aus." Auch Liezens SPÖ-Bürgermeisterin Andrea Heinrich fürchtet, dass das Leitspital Stammwähler vertreiben könnte. Nicht klar von ihr angesprochen, aber gemeint ist da die FPÖ.

Wahlplakate von ÖVP, FPÖ und SPÖ
Wahlplakate, wie hier in einem Hinterhof in Liezen, muss man in der Steiermark regelrecht suchen. Einen richtigen Wahlkampf findet man nicht. Es wirkt, als warte jede der drei großen Parteien, ob nicht die anderen gar auf die anstehende Wahl vergessen haben.
Guido Gluschitsch

Ein Gemeinderat der FPÖ spricht in seinem Nachbarort Bad Waltersdorf vom "Boot, das voll ist", er schimpft über Kopftücher und fühlt sich ausgeschlossen, weil beim Preisschnapsen keiner mit ihm spielt. Während des Interviews trinkt er ein Bier. Ein Murauer, mit gelbem Etikett. In der Bierdeckellogik der Runde aus Gralla wäre das dann wohl eine symbolische Hinwendung des blauen Gemeinderats zur AfD in Deutschland. (Guido Gluschitsch, 25.2.2024)