Mitte der Neunzigerjahre nahm Linux seinen ersten großen Anlauf, den Status quo der bis dahin von kommerzieller Software dominierten Computerwelt zu ändern. Immer mehr Distributionen tauchten auf, das auch mit dem erklärten Ziel, neue Nutzungsbereiche für die freie Software zu erschließen. Einer, der damals zunehmend in den Fokus rückte, war der Desktop: Zahlreiche Linux-Desktop-Projekte gehen auf diese Zeit zurück.

Eines der wichtigsten davon ist bis heute das 1996 gegründete KDE-Projekt. Gemeinsam mit Gnome bildete man seit Jahrzehnten so etwas wie die Speerspitze der Linux-Desktop-Entwicklung, das aber mit divergierenden Konzepten. Hier das auf sehr einfache Ausnutzung gelegte Gnome, dort das deutlich besser konfigurierbare und Windows-ähnlichere KDE – oder wie der von dem Projekt gelieferte Desktop seit einigen Jahren heißt: Plasma.

Plasma 6 ist da

Nun gibt es für das KDE-Unterfangen den ersten großen Generationssprung seit fast zehn Jahren. Auf das im Juli 2014 freigegebene Plasma 5 folgt also jetzt Plasma 6. Ein gar formidabler Grund, sich näher anzusehen, was es dabei Neues gibt, und vor allem zu erläutern, wie sich der große Versionssprung rechtfertigt.

KDE Plasma 6
Proschofsky / STANDARD

Wie so oft hinter einer neuen Generation eines Linux-Desktops ein Umbau an der Softwarebasis. In diesem Fall ist es der Wechsel auf Qt6 und damit die neueste Generation jenes Toolkits, das seit den Anfängen von KDE für die Erstellung der grafischen Oberfläche der eigenen Programme genutzt wird.

Vereinfacht gesprochen ist solch ein Toolkit eine Art Baukasten, aus dem Entwicklerinnen und Entwickler einzelne benötigte Elemente entnehmen können, um daraus dann die Oberfläche für ihre Programme zusammenzustellen. Die Wahl des Toolkits ist für einen Desktop also eine zentrale. Neben Qt gibt es in der Linux-Welt noch allerlei andere Angebote in diesem Bereich, allen voran das von Gnome oder auch Xfce genutzt Gtk.

Zeit für den großen Sprung

Nun muss erwähnt werden: Ganz neu ist Qt6 auch schon nicht mehr, die erste stabile Version wurde bereits Ende 2020 veröffentlicht, mittlerweile sind wir bei Version 6.6 angekommen. Dazwischen wurden viele Verfeinerungen und Fehlerbereinigungen vorgenommen, so dass für das KDE-Projekt nun die Zeit gekommen war, in einer konzertierten Aktion den gesamten Desktop auf Qt6 zu portieren.

Dabei geht es nicht nur um den Kerndesktop, sondern auch um andere Komponenten und Programme. Entsprechend wurden parallel zu Plasma 6 auch neue Generationen des KDE Frameworks, das zusätzliche grafische Widgets und Bibliotheken enthält, sowie der Programmsammlung KDE Gear veröffentlicht, die sich ebenfalls durch eine Umstellung auf Qt6 auszeichnen.

Wayland ist die Zukunft

Das ist jedoch nicht der einzige technologische Wechsel, den Plasma vornimmt. Mit Plasma 6 wird Wayland zur Default-Wahl für die Darstellung des Geschehens am Bildschirm. Zwar ist es auch weiterhin optional möglich, den alten X11-Grafikserver zu verwenden, das KDE-Projekt macht damit aber klar, worauf man sich in Zukunft konzentrieren wird.

Der Grund dafür ist bekannt: Der alte X-Server wird schon lange nicht mehr aktiv entwickelt und hat auch einige grundlegende Defizite. Mit dem Wechsel auf Wayland soll eine moderne Grundlage geschaffen werden, die nicht nur flotter, sondern auch sicherer ist und zusätzliche Funktionen ermöglicht.

HDR

Plasma 6 geht denn auch gleich einen wichtigen Schritt in diese Zukunft: So gibt es bei der Nutzung von Wayland nun eine frühe Unterstützung für die Darstellung von HDR-Inhalten, was bessere Farben und Kontraste im Zusammenspiel mit passenden Bildschirmen verspricht. Damit geht die Unterstützung für ICC-Profile zur Farbkalibrierung einher, was wiederum ermöglicht, dass nun auch unterschiedliche Filter zur Anpassung der Farbdarstellung für Menschen mit entsprechender Fehlsichtigkeit angeboten werden.

Derzeit ist das Ganze noch als experimentell anzusehen und selbst dann weitgehend auf den Kerndesktop beschränkt. Andere Programme müssen sich hingegen mit dem klassischen sRGB-Farbraum zufriedengeben. Mit etwas manueller Arbeit lassen sich aber selbst einzelne Spiele bereits dazu bringen, eine HDR-Darstellung zu verwenden.

Neue Features

Die Neuerungen von Plasma 6 beschränken sich aber nicht auf die Basistechnologie, es gibt auch einige sofort sichtbare Verbesserungen. Dazu gehört ein neuer Overview-Effekt, in dem nicht nur alle gerade geöffneten Programme übersichtlich dargestellt werden, sondern auch sämtliche virtuellen Desktops zu sehen sind. Optisch erinnert das etwas an die entsprechende Ansicht von Gnome, was in dem Fall aber nicht stört, gut gelungen sind beide in dieser Hinsicht. Diese neue Overview-Ansicht ist sowohl über Touchpad-Gesten als auch Tastaturkürzel (Alt+W) einfach zu erreichen.

KDE Plasma 6
Compiz lässt grüßen: Der Cube ist wieder da!
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Apropos optische Spielereien: Wer auf Desktop-Bling steht, den dürfte freuen, dass jener Würfeleffekt, der vor vielen Jahren von Compiz populär gemacht wurde, wieder bei Plasma optional zur Verfügung steht. Der "Cube" wurde vor rund zwei Jahren im Zuge eines technischen Umbaus des Fenstermanagers Kwin entfernt, nun gibt er sein Comeback.

Floating Panel

Mit Plasma 6 ist das Panel des Desktops nun "schwebend", hebt sich also leicht vom Desktop ab, passend dazu gibt es einen neuen Schatteneffekt. Da diese Anordnung etwas mehr Pixel am unteren Bildschirmrand verbraucht als die klassische Positionierung, hat man sich noch etwas einfallen lassen: Braucht ein Fenster mehr Platz, wird das Panel automatisch an den Rand geschoben. Passend dazu gibt es einen neuen Einstellungsdialog, über den Positionierung und Verhalten des Panels im Detail festgelegt werden können.

Größere Umbauten gab es auch an der Desktopsuche Plasma Search. Das heißt vor allem einmal, dass diese nun in vielen Bereichen erheblich flotter agiert. Besonders deutlich wird das bei der Suche nach aktuellen Dokumenten, die laut dem KDE-Team nun mehr als 200 Prozent flotter ist. Aber auch sonst wurde die Performance erhöht – und damit auch der CPU-Verbrauch reduziert. Ein kleines neues Feature ist, dass direkt in der Suche zwischen Zeitzonen konvertiert werden kann.

Plasma 6
Die neuen Einstellung für das "Floating Panel".
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Einstellungen

Ein wichtiger Bereich jedes Desktops sind die Einstellungen. Für Plasma 6 wurden diese neu sortiert, das Ziel war vor allem, all das übersichtlicher und mit weniger verschachtelten Unterseiten darzubieten. Auch sonst wurde versucht, Dialoge übersichtlicher zu gestalten, etwa indem manche Knöpfe in die Toolbar gewandert sind.

Ganz neu ist die Möglichkeit, schnell das Sound-Theme für den Desktop anzupassen. Zudem gibt es jetzt ein neues Menü für den Bildschirmhintergrund sowie verbesserte Nachtlichteinstellungen, die wie von KDE gewohnt bis ins letzte Detail angepasst werden können. Sogar eine Vorschau anhand einer Weltkarte wird dabei geboten.

Zu den weiteren Neuerungen des Desktops gehört, dass beim Anstecken oder Entfernen eines USB-Sticks nun ein Ton ausgegeben wird. Zudem kann am Lockscreen nun parallel sowohl Passwort- als auch Fingerprinteingabe zur Autorisierung genutzt werden. Zudem gibt es ein neues Applet, das Akku- und Helligkeitseinstellungen trennt.

Eine Frage der Voreinstellung

"Defaults matter" – also "Voreinstellungen sind wichtig" – ist eine alte Erkenntnis der Softwareentwicklung. Dessen ist man sich auch beim KDE-Projekt bewusst, und hat für Plasma 6 einige Anpassungen in dieser Hinsicht vorgenommen. Mit einer davon passt man sich nach Jahrzehnten des Alleingangs nun anderen Desktops an.

Plasma 6
Die Systemeinstellungen wurden überarbeitet, so mancher Dialog kommt neu dazu.
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Dokumente oder Ordner werden nun auch bei Plasma von Haus aus mit einem Doppelklick statt wie bisher mit einem einzelnen geöffnet. Wer das alte Verhalten bevorzugt, kann dies aber natürlich weiterhin so konfigurieren.

Ebenfalls geändert: Der über Alt+Tab aufgerufene Task Switcher nutzt nun von Haus aus eine Ansicht, in der eine Vorschau der einzelnen Programme zu sehen ist. Tap-to-Click am Touchpad ist unter Wayland jetzt ebenfalls von Haus aus aktiviert, und wer in den leeren Bereich neben einem Scrollbalken klickt, springt nun an die jeweilige Stelle statt nur eine Seite weiter. Von Haus aus deaktiviert wurde, dass mit dem Scrollen über einen leeren Desktop auf die nächste virtuelle Oberfläche gewechselt wird.

Look

Passend zum Update auf Plasma 6 wurde auch das Desktop-Theme Breeze überarbeitet, es wurden einige Abstände angepasst. Dadurch wirkt die Oberfläche nun etwas schlanker, auch wenn sich die sichtbaren Unterschiede in einem kleinen Rahmen bewegen. Ein neuer Bildschirmhintergrund darf natürlich ebenfalls nicht fehlen.

Dazu sei nur am Rande erwähnt, dass auch die mobile Variante von Plasma – also für Smartphones – einige Verbesserungen erfahren hat. Dazu gehören ein neuer Einrichtungsdialog beim Start sowie zusätzliche Möglichkeiten zum Anpassen des Homescreens.

Die Programme

Einen wichtigen Teil eines Desktops machen aber natürlich die mitgelieferten Anwendungen aus. Und auch hier gibt es einiges an Neuem zu berichten. So wurde der Dateimanager Dolphin nicht nur auf Basis von Qt6 generalüberholt, es wurde dabei auch gleich der Einstellungsdialog neu sortiert. Zudem gibt es bei einem Rechtsklick auf ein Verzeichnis nun die Möglichkeit, dieses in einer geteilten Ansicht aufzumachen, also neben dem aktuellen Fenster.

Beim Screenshot-Tool Spectacle können jetzt gezielt Bildschirmbereiche ausgewählt werden, zudem gibt es neue Tastaturkürzel. Bei der Aufnahme von Screencasts wird nun ein passendes Icon im Panel angezeigt, zudem können diese via VP9 optimaler kodiert werden.

Die Terminal-Anwendung Konsole wurde auf Qt6 portiert, ist nun generell flotter, die Einstellungen wurden ebenfalls aufgeräumt. KClock pausiert jetzt automatisch gerade abgespielte Medien, wenn ein Wecker läutet oder der Timer abläuft.

Die schöne Welt der Linux-Anwendungen

Bei der Softwarezentrale Discover gab es zahlreiche Fehlerbereinigungen, zudem wurde die Anwendungssuche im Sidebar deutlich beschleunigt. Sind Flatpaks oder Snaps als Quellen konfiguriert, zeigt Discover jetzt aktualisierte oder neue Apps prominent an, um diesen mehr Bekanntheit zu verschaffen und so zu zeigen, was sich in der Linux-Welt gerade alles tut.

KDE Plasma 6
Discover ist die Softwarezentrale von Plasma, wer will kann hier auch direkt nach Flatpaks suchen und sie installieren.
Proschofsky / STANDARD

Die KDE-Groupware-Lösung Kontact kann unter anderem mit einem verbesserten Werbe- und Tracker-Blocker in der Mail-Anwendung Kmail aufwarten. Zudem werden von KMail nun KI-Tools, die offline – also direkt am Rechner – laufen können, unterstützt. Dazu gehören Bergamot für Übersetzungen oder vosk-api für das Verwandeln von Sprache in Text. Angemerkt sei, dass all diese KI-Funktionen von Haus aus deaktiviert sind.

Einige Verbesserungen gibt es beim Thema Verschlüsselung. So kann das GPG-Frontend Kleopatra direkt aus anderen Programmen kopierte und verschlüsselte Nachrichten anzeigen. Zudem gibt es bei KMail zusätzliche Details zum Status von OpenPGP-Schlüsseln, und KOrganizer kann verschlüsselte und signierte Einladungen verschicken.

Noch mehr Programme

Das Videoschnitt-Tools Kdenlive kann jetzt Audio- und Video-Clips in der Timeline direkt ersetzen. Das ist vor allem im Zusammenspiel mit anderen Programmen interessant: So lässt sich damit ein Clip an ein anderes Tool schicken, dort bearbeiten und dann direkt wieder in Kdenlive reimportieren. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit, mehrere Untertitel in ein Video zu integrieren.

KDE Plasma 6
Der Text-Editor Kate.
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Auch sonst wurden viele Tools, die zum weiteren KDE-Kreis gehören, überarbeitet, darunter der Matrix-Client Neochat oder auch die Mastodon-App Tokodon. Die diversen Tools der KDE-Education-Sammlung für den Bildungsbereich wurden ebenfalls überarbeitet, um moderne KDE-Standards zu unterstützen.

Verfügbarkeit

Plasma 6 ist ab sofort verfügbar. Wer die Linux-Welt kennt, weiß aber: Das heißt zunächst einmal in Form des Quellcodes. Allerdings kann die neue Version bereits mithilfe von KDE Neon direkt über einen USB-Stick ausprobiert werden. Alternativ dazu kann man auch zur Linux-Distribution KaOS 24.01 greifen, wo bereits seit Wochen eine Vorversion von Plasma 6 genutzt wird. Und natürlich wird Plasma 6 in die nächsten Versionen vieler anderer Distributionen einfließen.

Fazit

Mit der neuen Version mag KDE den Desktop nicht neu erfinden, das wäre im Jahr 2024 allerdings auch etwas viel verlangt. Mit der Aktualisierung auf Qt6 und dem Wechsel auf Wayland als Default-Wahl setzt man aber strukturell sehr wichtige Schritte in die Zukunft. Dass man dabei einen sehr guten, reifen Desktop abliefert, zeigt auch, wie stark sich die freie Softwarewelt in dieser Hinsicht über die Jahre verbessert hat. (Andreas Proschofsky, 28.2.2024)