Im speziell für Untersuchungsausschüsse errichteten Lokal 1 werden in Kürze zum ersten Mal Befragungen über die Bühne gehen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Direkt unter dem Plenarsaal im neu sanierten Parlament befindet sich das nach dem Physiker Erwin Schrödinger benannte Lokal 1 – in diesem speziell für Untersuchungsausschüsse errichteten Raum werden in einer Woche zum ersten Mal überhaupt Befragungen von Auskunftspersonen über die Bühne gehen. In den nächsten Wochen und Monaten werden wie berichtet gleich zwei U-Ausschüsse parallel stattfinden. Während nämlich Sozialdemokraten und Freiheitliche untersuchen wollen, ob der ÖVP nahestehende Unternehmer und Milliardäre bei der Vergabe von Corona-Geldern bevorzugt behandelt wurden, will die Volkspartei der Frage nachgehen, ob in einst von SPÖ und FPÖ geführten Ministerien Machtmissbrauch begangen wurde.

Beiden U-Ausschüssen stehen jeweils sechs Befragungstage zur Verfügung – angesichts der spätestens im Herbst anstehenden Nationalratswahlen deutlich weniger, als das sonst der Fall ist. Denn laut Verfahrensordnung müssen U-Ausschüsse 83 Tage vor dem Urnengang ihre Tätigkeit einstellen.

Wolfs Steuercausa und "System Kickl"

Mittlerweile haben sich die Fraktionen laut STANDARD-Informationen auch schon weitgehend darauf verständigt, welche Auskunftspersonen in den ersten Befragungstagen in den U-Ausschuss kommen sollen. So soll am 6. März etwa Wolfgang Peschorn, Leiter der Finanzprokuratur, im Cofag-U-Ausschuss aussagen und dafür auch schon zugesagt haben. Eine Zusage für denselben Tag gibt es außerdem von einer Beamtin aus dem Finanzministerium, die einst mit der Steuercausa Siegfried Wolf befasst war. Dem Unternehmer, der in einem Ermittlungsverfahren als Beschuldigter geführt wird, soll bekanntlich durch einen verbotenen Deal mit einer Finanzbeamtin ein Steuernachlass gewährt worden sein. Ebenfalls an diesem Tag geladen ist, aber noch nicht zugesagt hat eine Beamtin des Finanzamts, das bei Wolf eine Großbetriebsprüfung durchgeführt hatte.

Prominenteste Auskunftsperson tags darauf ist Cofag-Geschäftsführer Marc Schimpel, der ebenfalls schon für den Termin zugesagt haben soll. Eine Zusage für diesen Tag gibt es außerdem von einem Teamleiter des Finanzamts für Großbetriebe. Die Zusage eines Beamten, der sich geweigert hatte, der mittlerweile in die Pleite gerutschten Signa-Gruppe des Unternehmers René Benko einen Steuernachlass zu gewähren, ist noch ausständig.

ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos hatten sich außerdem am Dienstag informell getroffen, um darüber zu sprechen, welche Auskunftspersonen in den ersten beiden Tagen in den U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch", mit dem sich dieser Tage auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) beschäftigt, kommen sollen. Zum Start möchte man sich dort ganz auf das von der ÖVP titulierte "System Kickl" im Innenministerium – der FPÖ-Parteichef war dort einst Ressortchef – konzentrieren.

Für den 13. März soll bereits Peter Goldgruber, unter Kickl Generalsekretär im Innenressort, zugesagt haben. Noch geladen werden sollen für den 13. und 14. März dem Vernehmen nach außerdem auch in diesen U-Ausschuss Finanzprokuratur-Chef Peschorn, der Innenminister in der Übergangsregierung war, der einstige Leiter der Internen Revision im Innenministerium, Kickls ehemaliger Kommunikationsleiter und eine weitere einstige Kabinettsmitarbeiterin Kickls. Fixiert werden sollen diese Ladungen Mittwochabend im Geschäftsordnungsausschuss, der nach der Sitzung des Nationalrats zusammenkommen wird.

Stärkung von U-Ausschüssen

Erst vor wenigen Tagen wurde die Arbeit der Abgeordneten in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gestärkt. Freitagabend sprach Richter Michael Radasztics Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen Falschaussagen im U-Ausschuss schuldig. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, er wird dagegen berufen. Radasztics hatte damit ohne Zweifel klargestellt, dass Falschaussagen in U-Ausschüssen kein Kavaliersdelikt sind.

Angesichts des Schuldspruchs für ihn deutete Kurz daraufhin in mehreren Interviews an, dass die Justiz damit U-Ausschüssen einen Bärendienst erwiesen habe. Er würde sogar darauf wetten, dass sich künftig viele Auskunftspersonen in U-Ausschüssen entschlagen oder an nichts mehr erinnern werden – aus Angst vor Strafverfolgung.

Kurz "Beispiel der Nichtkooperation"

Die Fraktionsführerinnen und Fraktionsführer üben sich diesbezüglich im Vorfeld der Befragungen jedenfalls in Zuversicht. Kai Jan Krainer, roter Fraktionschef im Cofag-U-Ausschuss, glaubt, dass das Urteil gegen Kurz im Gegenteil dazu führen werde, "dass der eine oder andere die Befragung ernster nimmt". Der bereits seit dem Jahr 2007 in U-Ausschüssen tätige Krainer meint aber auch, dass es in der Vergangenheit immer wieder Auskunftspersonen gegeben habe, "die möglichst wenig sagen wollten, und welche, die kooperativ waren – das war immer so und wird auch in Zukunft so sein". Kurz sei ein "Beispiel der Nichtkooperation" gewesen, 35-mal habe sich dieser Krainer zufolge im Rahmen seiner Aussage nicht erinnern können.

Krainers rotes Pendant im U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch", Eva-Maria Holzleitner, sieht das ähnlich: "Ich denke nicht, dass sich deshalb Befragungen künftiger schwieriger gestalten", Erinnerungslücken habe es "immer wieder" gegeben. Holzleitner, in vergangenen U-Ausschüssen bereits Mitglied der roten Fraktion, betont aber auch: "Grundsätzlich sind viele Auskunftspersonen bemüht, alle Fragen entsprechend zu beantworten."

FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker ist der Meinung, dass das Urteil "keinerlei Auswirkungen auf den Untersuchungsausschuss" haben werde, schließlich seien "Entschlagungsrechte ohnehin umfassend und unverändert geregelt". Das Urteil würde außerdem "die Wichtigkeit des stärksten Kontrollinstruments im Parlament" bekräftigen.

Ähnlich sieht das Nina Tomaselli, Grünen-Fraktionsführerin im Cofag-U-Ausschuss: Das Urteil gegen Kurz sei ihrer Meinung nach "sogar eine Stärkung des U-Ausschuss-Rechts, weil es die Bedeutung der Kontrollfunktion des Parlaments unterstreicht". Und: "Wahrheitsgetreu, vollständig und bestmöglich der eigenen Erinnerung entsprechend" auszusagen stelle ohnehin "für die meisten Auskunftspersonen kein Hindernis dar". Ihre Parteikollegin Meri Disoski, Fraktionsführerin im U-Ausschuss der ÖVP, setzt deshalb „voraus, dass Auskunftspersonen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht Antworten so formulieren, dass sie klar, deutlich und vor allem vollständig sind“.

Yannick Shetty, Neos-Fraktionsführer in beiden U-Ausschüssen, rechnet ebenfalls nicht damit, dass Zeugen künftig weniger auskunftsbereit sein werden. Schließlich würden Erinnerungslücken "bei tatsächlicher Erinnerung auch eine strafbare Falschaussage darstellen, und darauf werden wir auch hinweisen".

Ganz anders sieht das Andreas Hanger, der ebenfalls in beiden U-Ausschüssen als ÖVP-Fraktionschef fungiert. Er rechnet fest damit, dass sich nach dem Schuldspruch gegen Kurz Befragungen noch schwieriger gestalten werden: "Davon gehe ich aus." Wie schwierig, hänge Hanger zufolge "aber auch von den Abgeordneten ab", ob diese "seriöse Kontrollarbeit" leisten oder "Auskunftspersonen in eine Falschaussage hineinmanövrieren" wollen.

Fest steht: Erinnerungslücken und Entschlagungsorgien prägen seit jeher Befragungen in U-Ausschüssen. Ob sich diese angesichts des Urteils gegen Kurz künftig noch schwieriger gestalten werden, wird sich schon in Kürze zeigen. (Sandra Schieder, 28.2.2024)