Rückenansicht eines uniformierten Polizeibeamten.
Zwei Blöcke voller Strafzettel stellte ein angeklagter Polizist an Verkehrssünder aus – das Geld behielt er sich.
Daniel Scharinger / picturedesk.

Wien – "Das war leider so, dazu steh ich auch", redet der angeklagte Herr G. vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Christian Noe nicht um den hochtemperierten Brei herum. Ja, er habe in seiner Funktion als Polizist Organstrafmandate kassiert und das Bußgeld in die eigene Tasche gesteckt, bekennt sich der 38-Jährige zur von Staatsanwältin Anna Rust vertretenen Anklage wegen Amtsmissbrauchs schuldig. Das Motiv für seine Malversationen: Er wollte seine Leidenschaft für Fußballwetten vor seiner Ehefrau geheim halten.

2019 kam der unbescholtene Familienvater in die Polizeischule, 2021 wurde er als uniformierter Exekutivbeamter angelobt. Und dann kam Ende 2022 die Fußballweltmeisterschaft der Herren in Katar. "Wir hatten in der Polizeiinspektion ein internes Turnier, jeder Tipp hat 20 Euro gekostet, die besten vier haben gewonnen", erzählt der Angeklagte über die Teambuildingmaßnahmen bei der Wiener Polizei. "Da war ich nicht so schlecht", lobt G. sich.

Gattin als Herrin der Finanzen

Sein erstes Problem: "Die Frau ist so gegens Spielen", verrät er dem Senat, ein Ex-Freund der Gattin hatte einen extremen Hang zum Automatenglückspiel. Sein zweites Problem: In der Ehe gibt es ein gemeinsames Konto, das die Ehefrau im Blick hat. Also konnte er ohne Erklärungsbedarf von dort kein Geld für Onlinewetten abzweigen. Stattdessen borgte er sich zunächst von einem Kollegen Bares aus und verwendete auch dessen Konto, um im Internet Tipps abzugeben. Was im internen Bewerb noch gut funktioniert hatte, änderte sich gemäß den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit. Fortuna kehrte ihm nicht nur den Rücken zu, sondern machte dazu auch noch eine unschöne Geste mit ihrem Mittelfinger.

"Das Geld, das ich mir ausgeborgt habe, wollte ich unbedingt zurückgeben", gibt G. zu. "Dann bin ich in den Schlendrian gekommen", verharmlost er seine Lösungsstrategie. Zunächst stahl er einem Kollegen den Organmandatsblock mit 20 Strafzetteln, den der auf einem Pult liegengelassen hatte. Den nutzte er bei Verkehrskontrollen, "weil bei uns nicht so viel los ist", erklärt er. Lenkerinnen und Lenker, die die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit überschritten, mussten jeweils 30 Euro zahlen, die er dann nicht ablieferte.

Straferhöhung führte zur Enttarnung

Als der Block aufgebraucht war, meldete er seinen eigenen als verloren und hatte damit weitere 20 Stück zur Verfügung, die er ab und an bei Handysündern zur Anwendung brachte und jeweils 50 Euro von ihnen kassierte. Aufgeflogen ist er offenbar aufgrund einer Gesetzesänderung – als die Strafe für das Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung auf 100 Euro angehoben wurde und ein Delinquent nur 50 Euro dabeihatte, schrieb der Angeklagte über diesen Betrag einen Strafzettel und trug dem Lenker auf, den Rest bei einer Polizeiinspektion zu begleichen, wo dann auffiel, dass mit dem Block etwas nicht stimmte.

Als ihn seine Kollegen mit dem Vorwurf konfrontierten, sei sein Mandant sofort geständig gewesen, betont Verteidiger Thomas Preisinger. Mittlerweile habe er der Landespolizeidirektion Wien auch 1.700 Euro überwiesen und damit den Schaden gutgemacht. Nach seiner Suspendierung kam G. auch einem Disziplinarverfahren zuvor und quittierte den Dienst, seither ist er arbeitslos, da er zunächst den Ausgang des Strafverfahrens abwarten wollte.

Gesellschaftliche Konsequenzen

"Ist das Problem vielleicht doch größer, als Sie jetzt sagen?", will Vorsitzender Noe vom Angeklagten wissen. G., der noch einen offenen Kredit in Höhe von 330.000 Euro für das Eigenheim hat, beharrt aber darauf, nicht spielsüchtig zu sein. Er habe eine Beratungsstelle aufgesucht, dort sei ihm attestiert worden, dass er sich noch in einer Vorstufe zur Abhängigkeit befindet. Dass er seinen krisensicheren Job leichtfertig verloren hat, ist ihm bewusst. "Ich selber muss eh damit leben, das weiß ich. Aber ich komme aus einem kleinen Dorf, die Leute zeigen mit dem Finger auf mich und meine Familie", was das älteste Kind bereits mitbekomme, schildert er die Konsequenzen.

Staatsanwältin Rust kann sich noch immer nicht ganz erklären, was den Ex-Beamten zum Gesetzesbruch bewogen hat. "Okay, Sie sagen, Ihre Frau hatte die Kontoführung inne. Aber dass Sie zu irgendeiner Bank gehen und ein eigenes Konto eröffnen, war keine Überlegung?" – "Nein. Ich weiß, dass es dumm war", lautet die Antwort. "Sie sprechen nur von einer Vorstufe der Spielsucht. Glauben Sie nicht, dass eine Therapie sinnvoll wäre?", interessiert die Anklägerin auch noch. Würde ihm eine angeordnet, würde er sie machen, aber bei seinen Erkundigungen hieß es, dass er keinen Bedarf dafür habe, sagt der Angeklagte.

Spätkapitalistische Prioritätensetzung

Im Schlussplädoyer zählt die Staatsanwältin die zahlreichen Milderungsgründe auf und findet nur zwei erschwerende Punkte: die Vielzahl von Angriffen über mehrere Monate und die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Kollegen, dessen Block er gestohlen hat. Verteidiger Preisinger bittet in seinen Schlussworten um ein mildes Urteil und zählt die Gründe für diesen Wunsch in einer interessanten Reihenfolge auf: "Das Wichtigste ist, dass ihm seine Zukunft nicht verbaut wird, er das Haus behält, die Frau und die Kinder."

Der Senat berät überraschend lange und verkündet schließlich das Urteil: G. wird anklagekonform schuldig gesprochen, allerdings wird vom außerordentlichen Milderungsrecht Gebrauch gemacht, und der 38-Jährige wird nur zu drei Monaten bedingt verurteilt, die in einer Strafregisterbescheinigung nicht aufscheinen. "Auf den ersten Blick kommt es bei so einem Delikt eigentlich nicht in Betracht", begründet Noe die Entscheidung, "aber letztlich überwiegen die Milderungsgründe bei Ihnen beträchtlich. Auch die Auswirkungen sind zu berücksichtigen, und Sie haben ja bereits mehrfach gravierende Nachteile erfahren", sieht der Vorsitzende Spielraum für Milde.

Der Angeklagte akzeptiert die Strafe, auch die Staatsanwältin gibt einen Rechtsmittelverzicht ab. Außer Protokoll hat Rust G. aber noch etwas zu sagen: "Ich ersuche Sie eindringlich, sich diesem Thema zu widmen. Tun Sie es nicht als Vorstufe ab, nehmen Sie das Urteil als Schuss vor den Bug!", mahnt sie den Verurteilten. "Viel Glück" wünscht ihm der Vorsitzende möglicherweise bewusst nicht, stattdessen verabschiedet Noe den Delinquenten mit "Alles Gute für Ihre Zukunft!". (Michael Möseneder, 28.2.2024)