Lange Zeit galt der Blauwal unangefochten als größtes und schwerstes Tier der Erdgeschichte, gewaltiger noch als jeder Dinosaurier. Doch dann entdeckte ein internationales Forschungsteam im Süden Perus die fossilen Überreste eines urzeitlichen Tiers, das zu Lebzeiten, vor 39 Millionen Jahren, bis zu 340 Tonnen auf die Waage gebracht haben soll. Perucetus colossus, so der lateinische Name des Ungetüms, hätte den Blauwal damit gewichtsmäßig um das Doppelte geschlagen.

Das Wesen verblüffte nicht nur die Wissenschafter, es stellte auch bisherige Annahmen infrage, die davon ausgingen, dass Gigantismus erst viel später in der Walevolution einsetzte. Nun aber scheint in der Walwelt wieder alles im Lot: Nach einer neuerlichen Analyse der erhaltenen Knochen kommt ein anderes Team zu dem Schluss, dass Perucetus colossus eher in der gleichen Gewichtsklasse wie moderne Wale spielte und vermutlich im Schnitt viel kleiner war als die größten bekannten Blauwale.

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Größenvergleich zwischen einem modernen Blauwal (hinten) und dem ausgestorbenen Perucetus colossus. Laut der neuen Schätzung dürfte dieser urzeitliche Meeressäuger deutlich kleiner und leichter gewesen sein; vermutlich war er eher im Bereich heutiger Pottwale angesiedelt.
Illustr.: Cullen Townsend

Schwere Knochen

Knochen von Säugetieren haben normalerweise eine feste Außenseite und sind im Inneren von zahlreichen Hohlräumen durchsetzt. Doch es gibt auch einige Tiere, deren Knochen annähernd durchgehend massiv sind, was sie dicht und schwer macht. Bei im Wasser lebenden Säugetieren können solche buchstäblich schweren Knochen den Auftrieb durch Körperfett und Speck ausgleichen.

Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass die Knochen von Perucetus ebenfalls ziemlich dicht sind. Die fossilen Walgebeine weisen sowohl umfangreiche Einlagerungen als auch ein zusätzliches Knochenwachstum an der Außenseite auf, ein Zustand, der als Pachyostose bezeichnet wird und auch bei einigen modernen Wassersäugetieren, wie beispielsweise Seekühen, vorkommt.

Geht man freilich von der anfangs vorgeschlagenen Größe aus, wäre das dichte Skelett des Urzeitwals in Summe unglaublich schwer, wie nun Paläontologen um Ryosuke Motani von der University of California, Davis, im Fachjournal "PeerJ" berichten. "Es wäre für den Wal sehr schwierig gewesen, an der Oberfläche zu bleiben oder gar den Meeresboden zu verlassen – er hätte ständig gegen die Schwerkraft anschwimmen müssen", sagte Motani.

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Weil man von Perucetus colossus bisher weder Schädel noch Zähne gefunden hat, sind Rekonstruktionen wie diese mit vielen Unsicherheiten behaftet.
Illustr.: REUTERS/ALBERTO GENNARI

Falsche Schlüsse

Daher rekonstruierten die Forschenden um Montani und Nick Pyenson vom Smithsonian Institute in Washington, D.C., das Aussehen von Perucetus colossus noch einmal auf Basis der vorhandenen Fossilien. Das erste Problem besteht darin, dass für die ursprünglichen Masseangaben durch ein Team um Giovanni Bianucci von der Universität Pisa, Italien, vom Gewicht des Skeletts anhand der fossilen Knochen direkt auf das Gewicht des gesamten Tieres geschlossen wurde.

Dabei sei man davon ausgegangen, dass die Masse des Skeletts und die Masse des restlichen Körpers ohne Knochen mit zunehmender Körpergröße in gleichem Ausmaß zunehmen würden, erklären die Forschenden. Messungen an anderen Tieren zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall ist, argumentieren Motani und Pyenson.

Leichter als der Blauwal

In den ersten Schätzungen wurde auch überbewertet, wie stark die Gesamtkörpermasse infolge der Pachyostose zunimmt. Die Daten von Seekühen zeigen jedoch, dass ihre Körper im Verhältnis zu ihrer Skelettmasse relativ leicht sind. Motani und seine Kolleginnen und Kollegen gehen daher davon aus, dass der 17 Meter lange Perucetus nur 60 bis 70 Tonnen wog – und damit deutlich weniger als viele bekannte Blauwalexemplare.

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Die riesigen Rippen- und Wirbelknochen von Perucetus colossus wurden von Forschenden der Nationalen Universität von San Marcos in der Ocucaje-Wüste im Süden Perus ausgegraben.
Foto: AFP/National University of San M

Ein 20 Meter langes Perucetus-Individuum könnte demnach vielleicht über 110 Tonnen wiegen, aber auch das wäre noch unter dem Gewicht der größten Blauwale, das bei 270 Tonnen liegt. "Das neu berechnete Gewicht ermöglicht es dem Wal, an die Oberfläche zu kommen und dort zu bleiben, während er atmet und sich von einem Tauchgang erholt, wie es die meisten Wale tun", erkläre Motani.

Rätsel um Ernährung

Wovon sich Perucetus colossus ernährt hat, bleibt dagegen weiterhin ein Rätsel. Bisher konnten weder Schädel noch Zähne dieser Art gefunden werden, die etwas über seinen Speiseplan hätten verraten können. Klar ist freilich: Um einen solchen immer noch riesigen Körper am Leben zu erhalten, braucht es eine Menge Nahrung.

Bianucci und andere Forschende vermuten, dass sich Perucetus von Fischen und Schalentieren nahe der Küste oder von Kadavern anderer Meeressäuger ernährt haben könnte. Nach der neuen, abgespeckten Schätzung liegt Perucetus in einer ähnlichen Größenkategorie wie moderne Pottwale (80 Tonnen, 20 Meter lang), die großen Beutetieren wie Riesenkalmaren hinterherjagen. (tberg, 29.2.2024)