Die Partei von Aleksandar Vučić wird kritisiert.
Die Partei von Aleksandar Vučić wird kritisiert.
AP/Darko Vojinovic

Das Resumé lautet: Systematische Vorteile der regierenden Fortschrittspartei hätten zu ungerechten Bedingungen geführt. Diese Woche wurde endlich der Bericht der europäischen Wahlbeobachtermission (ODIHR) zu den umstrittenen Wahlen in Serbien am 17. Dezember vergangenen Jahres veröffentlicht.

Die Wahlbeobachter hatten bereits im Dezember kritisiert, dass die Wahlen "durch das entscheidende Engagement des Präsidenten dominiert wurden". Tatsächlich regiert Präsident Aleksandar Vučić in Serbien autokratisch, sämtliche Institutionen des Landes sind von seiner Fortschrittspartei dominiert. Und obwohl im Dezember gar keine Präsidentschaftswahlen – sondern Lokalwahlen und Parlamentswahlen – stattfanden, war in den Wahlkampagnen und Medien vor allem Vučić zu sehen und zu hören.

ODIHR kritisierte auch, dass Vučić mittlerweile alle ein bis drei Jahre neu wählen lässt. Die vorgezogenen Wahlen würden das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Funktionieren demokratischer Institutionen weiter schwächen. Es gäbe zu wenig politischen Willen für Reformen. Durch harte Rhetorik, Voreingenommenheit in den Medien, Druck auf Mitarbeiter des öffentlichen Sektors und den Missbrauch öffentlicher Ressourcen sei die Wahlfreiheit beeinträchtigt worden. Am Wahltag sei es zu "zahlreiche Verfahrensmängeln", aber auch "Verstößen gegen das Wahlgeheimnis und zahlreichen Fällen von Gruppenabstimmungen" gekommen.

Fehlender politischer Wille

Die Wettbewerbsbedingungen für die Opposition seien schlechter gewesen und "die Grenze zwischen Staat und Partei" verwischt worden, im Widerspruch zu internationalen Standards, heißt es weiter. Empfohlen werden von ODIHR daher Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch öffentlicher Ämter und staatlicher Ressourcen, die Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten und wirksame Mechanismen zur Verhinderung von Einschüchterung und Druck auf Wähler, einschließlich Stimmenkauf. Es wird allerdings auf den fehlenden politischen Willen, sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, hingewiesen. So sei auch die Empfehlung, das Wählerregister zu prüfen, nicht durchgeführt worden.

Der Wahlkampf sei "von Verhärtung und Polarisierung, aggressiver Rhetorik, persönlicher Diskreditierung, verbalem Missbrauch und hetzerischer Sprache geprägt" gewesen, so die Wahlbeobachter.„Es kam vereinzelt zu tätlichen Angriffen und Einschüchterungen von Wahlbeobachtern aus der Zivilgesellschaft“, so der Bericht. Auch Stimmenkauf und Verletzungen des Wahlgeheimnisses wurden beobachtet. "Beobachter stellten zahlreiche Fälle von Gruppenabstimmungen fest, einige Fälle von unzulässiger Einflussnahme und unbefugte Verfolgung von Wählern sowie das Fotografieren von Stimmzetteln."

Erwähnt werden in dem Bericht auch die organisierten Busreisen, in denen Bürger aus Nachbarstaaten etwa aus Bosnien-Herzegowina nach Belgrad zum Wählen gekarrt worden waren. Die Europäische Kommission und das US-Außenministerium forderten Serbien nach der Veröffentlichung des Berichts auf, unverzüglich mit der Umsetzung der Empfehlungen der Wahlbeobachter zu beginnen. "Der Wahlprozess in Serbien erfordert konkrete Verbesserungen und eine ordnungsgemäße Reform, da das Funktionieren der demokratischen Institutionen in Serbien den Kern des serbischen EU-Integrationsprozesses darstellt", sagte EU-Sprecher Peter Stano. "Wir erwarten, dass alle glaubwürdigen Meldungen über Unregelmäßigkeiten von den zuständigen nationalen Behörden auf sehr transparente Weise weiterverfolgt werden", fügte er hinzu.

"Ungerechte Bedingungen"

Das deutsche Außenamt verlautete, der Abschlussbericht der Wahlbeobachter sei eindeutig: "Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Serbien fehlten gleiche Wettbewerbsbedingungen und es herrschten ungerechte Bedingungen für die Kandidaten. Jetzt kommt es darauf an, alle Empfehlungen vollständig umzusetzen."

Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Berichts verbreitete Premierministerin Ana Brnabić auch gleich das Gegennarrativ zu der Kritik an dem serbischen Regime. Sie meinte, dass der Bericht der Wahlbeobachter zeige, dass die Wahlen "ordnungsgemäß" verlaufen seien und "Behauptungen über Wahldiebstahl nichts weiter als offensichtliche Lügen" seien. Die Medien, die das serbische Regime unterstützen, titulierten einmal mehr die Opposition als "Verräter", während Präsident Vučić als Opfer und Held dargestellt wird.

Der Zweck hinter dem behaupteten Wahldiebstahl bestehe darin, gezielten Druck auf Serbien und Vučić auszuüben, der sich "entschieden weigert, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen", behauptete Brnabić. Die Premierministerin warf auch dem deutschen Auswärtigen Amt vor, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen.

Whataboutismus

Abgesehen davon verwendete sie die Taktik des Whataboutismus, indem sie Deutschland aufforderte, seinerseits die Empfehlungen der europäischen Wahlbeobachter umzusetzen. Die Zeitung Kurir, die der Regierung nahe steht, kritisierte die Wahlbeobachter selbst: "Das Europäische Parlament schürt nur das Feuer, die Wahrheit ist ihnen egal!"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, der Sozialdemokrat Michael Roth, twitterte, dass der Bericht der Wahlbeobachter "große Unregelmäßigkeiten", eine "organisierte Korrektur des Wählerverzeichnisses" sowie "die Überstellung von Phantomwählern" vollständig bestätigt habe. „Die Wahlen waren weder fair noch frei. So funktioniert eine funktionierende Demokratie nicht, Herr Vučić!", schrieb er.

Vučić attackierte darauf Roth mit den folgenden Worten:"Er ist kein Gentleman. Ich kenne ihn gut. Er ist immer gegen die Serben gewesen und der größte Serbenhasser in Deutschland“. Die Behauptung, dass Kritiker des serbischen Regimes und der fehlenden demokratischen Standards in Serbien etwas gegen Serben oder Serbinnen selbst hätten, ist eine alte Taktik, die bereits in den 1990ern angewendet wurde, um einen Schulterschluss der Bevölkerung mit dem Regime zu erreichen. Diese Taktik von Politikern hat dazu geführt, dass es tatsächlich Menschen in Serbien gibt, die glauben, Ausländer würden "Serbenhasser" sein.

Klare Sprache für das Regime

Roth konterte Vučić: "'L’état c’est moi!' Das gilt schon lange nicht mehr in Europa. Sie sind nicht Serbien, Herr Präsident! Ich kritisiere Sie, Ihre russlandfreundliche und autoritäre Politik. Das serbische Volk hingegen mag ich. Sie sind das größte Hindernis für einen EU-Beitritt Ihres Landes.“ Roth ist einer der wenigen westlichen Politiker, der eine klare Sprache für das Regime in Serbien findet. Die allermeisten US-amerikanischen und europäischen Politiker und Diplomaten machen gegenüber Vučić eine Beschwichtigungspolitik – auch aus wirtschaftlichen Interessen.

Der ehemalige Verteidigungsminister und Geheimdienst-Chef, Aleksandar Vulin, der dem Kreml sehr nahe steht, behauptete indes, dass die Oppositionsparteien "Nato-Quislinge" – also Kollaborateure und Verräter – seien. Der frühere Parlamentspräsident Vladimir Orlić meinte, dass der Bericht der europäischen Wahlbeobachter für Oppositionspolitikerin Marinika Tepić zu schwierig sei und sie sie sich "stattdessen mit Kinderbüchern befassen" sollte. (Adelheid Wölfl, 3.3.2023)