Treppenaufgang in einem Freibad mit einem Schild, dass auf Saison- und Tageskabinen verweist. 
Mit einem Raub in einer Umkleidekabine begann im vergangenen Juni die kriminelle Karriere eines Minderjährigen, die rasch gewalttätiger wurde.
APA/BARBARA GINDL

Wien – 150 Euro Taschengeld bekommt der mittlerweile 15-jährige Mehmet (Name geändert, Anm.) von seinen Eltern im Monat. "Das hat Ihnen nicht gereicht, offensichtlich", merkt Daniela Zwangsleitner, Vorsitzende des Schöffengerichts, an. Denn am 19. Juni des Vorjahres begann der damals 14-Jährige mit der Beteiligung an einem Raub – der eine Beute von fünf Euro brachte – eine Deliktsserie mit ständig zunehmender Gewalt, die in einem Bauchstich gipfelte. Bis zu fünf Jahre Haft drohen dem unbescholtenen Schüler nun.

Im vergangenen Sommer war der in Wien geborene Österreicher mit drei strafunmündigen Bekannten in einem Freibad. Er sagt, einer der drei anderen Burschen unter 14 hätte in einer Umkleidekabine andere um Geld gefragt. Zu viert sei man drohend um die beiden jungen Opfer gestanden, die hätten schließlich 4,20 Euro sowie 80 Cent herausgegeben. "Das hat sich ausgezahlt, hm?", fragt die Vorsitzende. "Mhmm. Ich meine, nein!", korrigiert sich der deutlich älter aussehende Angeklagte. Zunächst versuchte er mit seinen Komplizen, die Opfer noch zu nötigen, vorerst in der Kabine zu bleiben, die hielten sich aber nicht daran.

"Ich war einfach zu dumm dafür"

Man traf sich bei der Busstation wieder. Einer der Beraubten filmte die Gruppe, Mehmet ging hin. "Ich habe ihn so gehalten und gesagt: 'Lösch Foto!', ein anderer hat ihn dann geschubst", erzählt er. Das Opfer löschte das Beweismittel dann tatsächlich. "Was denken Sie sich dabei?", will Zwangsleitner wissen. "Ich war einfach zu dumm dafür", versucht der grundsätzlich geständige Angeklagte eine Erklärung zu liefern. Die angesichts seiner weiteren Handlungen aber nicht verfängt. "Offensichtlich haben Sie ein großes Gewaltproblem!", glaubt die Vorsitzende nicht an die pubertär bedingte hormonelle Intelligenzminderung.

Am 26. September ging es nämlich weiter mit einer Körperverletzung: Er schlug einen Mitschüler und trat ihm mit den Knie gegen den Kopf, sodass dieser eine Schädelprellung erlitt. "Warum?", interessiert die Vorsitzende auch hier. "Ein Freund hat mir erzählt, dass er Scheiße erzählt. Über meine Mutter!", rechtfertigt der 15-Jährige sich. "Haben Sie nachgefragt, ob das stimmt?" – "Nein, ich habe ihn geschubst, Watschen gegeben, dann Fäuste gegeben." – "Stimmt das mit dem Knie auch?" – "Ja", gibt Mehmet zu.

Einen Monat später wurde ein weiterer Jugendlicher zum Opfer des Angeklagten, der privat ein Boxtraining besucht. Er sei mit einem Freund unterwegs gewesen, als aus einer anderen Gruppe jemand lautstark die Vermutung aufstellte, Mehmets Vater und Mutter hätten sich nur während des bezahlten Zeugungsaktes gekannt. "Da bin ich ausgerastet und habe gefragt, warum er mich Hurensohn schimpft!", ärgert der Angeklagte sich immer noch. "Da hat mich der andere geschubst und dabei an der Lippe verletzt, da habe ich ihm zwei Fäuste gegeben!"

Messer von Bekanntem geborgt

Der gravierendste Vorfall ereignete sich dann am 11. Dezember. "Warum haben Sie ein Messer mit, wenn Sie fortgehen?", merkt man anhand der Tonalität der langjährigen Jugendrichterin Zwangsleitner an, dass sie diese Frage schon zu oft stellen musste. "Das gehört nicht mir", verteidigt der Angeklagte sich. Und erklärt, er habe es damals von einem Freund bekommen, der angeblich von einem Erwachsenen bedroht worden sei. "Warum hat er Ihnen das Messer gegeben?" – "Damit ich den anderen bedrohen kann!"

Das sei auch seine Absicht gewesen, beteuert er. Allein: "Ich weiß nicht, was passiert ist, dann ist das Messer reingegangen!" In den Bauch des Opfers nämlich, wo glücklicherweise keine lebenswichtigen Organe verletzt wurden. "Das ist nicht einfach 'reingegangen', das Opfer ist auch nicht auf Sie zugekommen, das war ein bewusster Stich!", hält die Vorsitzende Mehmet vor. "Ich wollte es nicht!", wiederholt er. Nach seiner Festnahme attackierte er in einer Polizeiinspektion noch eine Polizistin, die sich dabei eine Knieprellung zuzog.

Lehre und Familiengründung als Zukunftsplan

Einen Monat saß der Angeklagte darauf in Untersuchungshaft, dort habe er gelernt, dass Freiheit und die Familie das Wichtigste seien, betont er. "Was ist Ihr Plan für die Zukunft?", fragt Zwangsleitner. "Mein Plan ist, ich will bei meinem Vater eine Kfz-Lehre machen, dann will ich eine Familie gründen." – "Vielleicht sollte man mit der Familiengründung noch warten", hat die Vorsitzende einen wohlmeinenden Rat zur Hand. Im Semesterzeugnis habe er aber keine negative Note, auch die Termine bei der Bewährungshilfe und der Männerberatung halte er ein, kann Mehmet berichten.

Wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung wird der 15-Jährige schließlich rechtskräftig zu 20 Monaten teilbedingt verurteilt – den einen Monat unbedingt hat er bereits in der Untersuchungshaft verbüßt. "Das große Glück, das Sie haben, ist, dass Sie in der Familie gut eingebunden sind und die hinter Ihnen steht!", ermahnt die Vorsitzende in Anwesenheit der Mutter den Angeklagten. "Sie haben ein Aggressionsproblem, das löst sich nicht in drei oder vier Monaten auf!", appelliert Zwangsleitner an den Delinquenten. "Beim nächsten Mal, wenn Sie jemanden stechen, kommen Sie mindestens eineinhalb Jahre in den Häfn", warnt die Vorsitzende noch. (Michael Möseneder, 4.3.2024)