In Ungarn hat der neue Staatspräsident Tamás Sulyok am Dienstag sein Amt angetreten. Der bisherige Präsident des Verfassungsgerichts tritt die Nachfolge von Katalin Novák an. Sie musste nach weniger als zwei Jahren im Amt zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass sie einen Straftäter begnadigt hatte, der wegen Beihilfe zu Pädophilie verurteilt worden war.

Ungarns neuer Präsident Sulyok vor der Nationalfahne.
Tamás Sulyok stolpert gleich mit einer falsch zusammengezimmerten Familienlegende ins Amt.
AP/Zoltan Mathe

Der 67-jährige Sulyok gilt als farbloser Jurist, der nicht dem Machtkreis um Partei- und Regierungschef Viktor Orbán angehört. Als Präsident des Höchstgerichts waltete er seit 2016 gleichwohl ganz nach dem Geschmack des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten, der alle wichtigen Personalien im Land allein bestimmt. Durch die Ernennung von botmäßigen Richtern, oft ohne ausreichende Qualifikation, hat der seit 2010 regierende Orbán das Verfassungsgericht zu einem willfährigen Instrument seiner Herrschaft gemacht.

Obwohl mehr als sieben Jahre als oberster Verfassungsrichter im Amt, erlangte Sulyok kaum Bekanntheit. So blieb es unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit, als er im August des Vorjahres in einem Interview mit der ungarischsprachigen Tageszeitung in Rumänien, "Krónika", behauptete, dass die kommunistische Justiz seinen Vater László als damals jungen Rechtsanwalt im Jahr 1946 in Abwesenheit zum Tod verurteilt hätte. Sein Vater habe sich deshalb zehn Jahre lang versteckt und habe in der Illegalität gelebt.

"Schlecht informiert oder lügt"

Erst seine Wahl zum Staatsoberhaupt lenkte die Aufmerksamkeit namhafter Historiker auf die etwas unwahrscheinliche Lebensgeschichte. Der Antisemitismusforscher László Karsai entlarvte sie als Erster als reine Legende. Den Rechtsanwalt László Sulyok habe niemand und schon gar kein kommunistisches Volksgericht zum Tod verurteilt, stellte Karsai nach Sichtung der Quellen fest. Vielmehr sei er als örtlicher Funktionär einer Kleinpartei, die mit den faschistischen Pfeilkreuzlern verbündet war, ein Nazimitläufer gewesen. "Sulyok ist entweder schlecht informiert, oder er lügt", so Karsai. Zur selben Schlussfolgerung gelangte der Historiker Krisztián Ungváry. Tatsächlich sei Sulyok senior wegen seinem Mitläufertum in der Nazizeit nach der kommunistischen Machtübernahme in Sorge um seine Person gewesen. Und es stimme, dass das kommunistisch kontrollierte Gericht 1949 seine Akte hervorgeholt hat – wegen der Geringfügigkeit der Verdachtsmomente wurde sie aber wieder geschlossen. In der Illegalität gelebt habe er nicht. Ungváry meint, dass der neue Präsident lüge, insofern er "über die kognitiven Fähigkeiten verfügt, die man bei einem Durchschnittsmenschen voraussetzen kann".

Sulyok reagierte bisher nicht auf die Entlarvung seiner falschen Familienlegende. Niemand in Ungarn geht davon aus, dass Orbán ihn deswegen fallen lässt.

Eine der ersten Amtshandlungen Sulyoks wird dennoch eine begrüßenswerte sein. Am Dienstag oder Mittwoch soll er – so sehen es die gesetzlichen Fristen vor – die vom Parlament gebilligten Ratifizierungsprotokolle für den Nato-Beitritt Schwedens gegenzeichnen. Damit kann das nordatlantische Bündnis die Aufnahmezeremonie des skandinavischen Landes auf die Tagesordnung setzen. Ungarn war das letzte Nato-Land, das den Beitritt ratifiziert hat. Orbán, der immer wieder eine Politik im Interesse Wladimir Putins betreibt, hatte den Vorgang bis zur Schmerzgrenze hinausgezogen. (Gregor Mayer, 5.3.2024)