Justizwachebeamte stehen rund um die Anklagebank im Großen Schwurgerichtssaal, auf der die vier Angeklagten sitzen.
Bis zu 15 Justizwachebeamte passten zum Auftakt des Verfahrens um den "Machetenmord" auf die vier Angeklagten auf.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – "Sie werden einen starken Magen brauchen", kündigt die Staatsanwältin den Laienrichterinnen und -richtern zu Beginn des Geschworenenprozesses unter Vorsitz von Daniel Rechenmacher an. Schließlich geht es um den medial als "Machetenmord" bekanntgewordenen Angriff auf einen 32-Jährigen, der bei der U-Bahn-Station Jägerstraße in Wien-Brigittenau so schwer verletzt wurde, dass er kurze Zeit später im Spital verblutete. Nun sitzen vier Männer im Alter von 21 bis 29 Jahren im Großen Schwurgerichtssaal, denen die Anklägerin vorwirft, in den ungewöhnlich grausamen Mord verwickelt zu sein. Was drei der Angeklagten gänzlich anders sehen, auch der grundsätzlich geständige Zweitangeklagte stellt die Situation eigentlich als eine ein wenig eskalierte Notwehr dar.

Aber der Reihe nach: Alle Angeklagten sind wie der Getötete Algerier aus der Großstadt Constantine beziehungsweise deren Umland, wo auch Literaturnobelpreisträger Albert Camus geboren wurde. Sisyphosarbeit verrichtete offenbar keiner der fünf, die vier unbescholtenen Angeklagten geben an, 2023 illegal in Österreich aufhältig und arbeitslos gewesen zu sein. Der Getötete soll der Vertreter einer algerischen Suchtmittelbande gewesen sein, der Zweitangeklagte gibt zu, für diesen "mit Drogen gearbeitet" zu haben, wie er übersetzen lässt.

Streit um Geld und Bruder

Die Anklägerin erzählt die Sache so: Zunächst habe der Zweitangeklagte für das Opfer Drogen verkauft und dafür 60 bis 70 Euro am Tag erhalten. Es kam zu Streitereien, schließlich soll der Bruder des Zweitangeklagten in Algerien von der kriminellen Vereinigung hereingelegt worden sein, als er aussteigen wollte. Rauschmittel wurden in seiner Wohnung platziert und die Polizei alarmiert, die Folgen waren zehn Jahre Haft für den Bruder. Der Streit zwischen dem Zweitangeklagten und dem Opfer eskalierte, Letzterer warf den 22-Jährigen aus der gemeinsamen Unterkunft und zahlte auch nicht mehr.

Die in Österreich tätige Gruppe hat sich aus Sicht der Staatsanwältin dann aufgespalten – auf einer Seite standen die vier Angeklagten, auf der anderen das Opfer und seine Freunde. Am 20. April 2023 habe das Quartett dem Opfer eine Falle gestellt, das Opfer angerufen und in einen Park gelockt. Als er dort mit einem Begleiter auftauchte, sei er zunächst vom Zweitangeklagten mit einer Machete attackiert worden, als er bereits verletzt am Boden lag, sei er mit Pfefferspray eingenebelt worden.

"In völliger Rage, in blinder Wut" habe der Zweitangeklagte den Wehrlosen "viele, viele Male" mit der Machete getroffen, so heftig, dass sogar ein Teil der Klinge im Sterbenden stecken blieb. Auch zwei Mitangeklagte sollen nach Überzeugung der Anklägerin dem 32-Jährigen lange Messer in den Brustbereich gerammt haben, ehe alle flüchteten.

"Wollte Freunde nur verteidigen"

Die Verteidigerinnen Anita Schattner, Elisabeth Mace und Nina Binder finden diese Version nur zum Teil plausibel. Erst-, Zweit- und Viertangeklagter hätten mit der ganzen Sache nichts zu tun und seien mehr oder weniger zufällig am Tatort gewesen, argumentieren sie. Auf einer sichergestellten Pfefferspraydose sei tatsächlich nur die DNA des Opfers und eines Bekannten gefunden worden. Der Zweitangeklagte sagt, er selbst und zwei der anderen seien im Vorfeld von der gegnerischen Gruppe ebenso mit Macheten bedroht worden, "ich wollte meine Freunde nur verteidigen".

Als alle vier auf einer Parkbank saßen und rauchten, seien plötzlich das Opfer und ein weiterer Mann mit Pfefferspray und einem "Schwert" angerannt gekommen. Das Opfer habe dann versucht, ihn zu verletzen. Er habe ausweichen können und seine eigene Waffe gezogen.

"Wo haben Sie die Machete hergehabt?", will Beisitzerin Martina Frank wissen. "Aus der Wohnung." – "Die wachst dort ja nicht!" – "Ich habe sie dort gefunden." – "Wem kann die gehören?" – "Ich weiß es nicht." Seinen Angaben nach muss die Wohnung des Drittangeklagten ein Arsenal gewesen sein. Auch dieser habe demnach "ein kleineres Messer" – der Zweitangeklagte zeigt mit den Händen eine Waffe mit 40 bis 50 Zentimetern – von dort mitgenommen. Als Vorsitzender Rechenmacher ihm Fotos von Kleidungsstücken zeigt, von denen der Zweitangeklagte nur einen Teil als seine identifiziert, drängt sich die nächste Frage auf: "Warum gibt es so viel blutige Kleidung, die nicht Ihnen gehört, in dieser Wohnung?" Auch hier kann der Zweitangeklagte nicht weiterhelfen.

"Schwarz vor Augen"

Er wisse auch nicht, ob und was die Mitangeklagten beim Angriff selbst gemacht haben. "Während des Zuschlagens war mir schwarz vor Augen", erklärt er der Staatsanwältin auf eine entsprechende Frage. "Sie haben das Opfer aber ziemlich gut getroffen", mag diese nicht an eine temporäre Blindheit glauben. "Ich hatte einen Schleier und nur verschwommen gesehen", modifiziert der Zweitangeklagte. Er wisse nur noch, dass die anderen drei plötzlich hinter ihm gewesen wären und "Die Polizei, die Polizei!" gerufen hätten und weggelaufen wären. Auch er flüchtete, dabei entsorgte er die Tatwaffe im Donaukanal. "Es tut mir sehr leid!", betont der Zweitangeklagte am Ende seiner Aussage noch.

Wie sein Verhältnis zum Opfer gewesen sei, will seine Verteidigerin Elisabeth Mace wissen. Schlecht, berichtet der Zweitangeklagte. Der 32-Jährige habe immer wieder seine Mutter beleidigt, ihn beschimpft und mit dem Umbringen bedroht. Er bringt ein Beispiel: Als er einmal eine Drogenlieferung zu spät beim Kunden abgegeben hatte, habe das Opfer am Telefon gesagt: "Ich ficke deine Mutter, ich werde dich töten, du Arschloch!" Überhaupt sei das Opfer ein "gefährlicher Verbrecher" gewesen. "Warum?", will Mace wissen. "Er hat mit Drogen gedealt und andere Leute angegriffen und das gefilmt!", erklärt der Zweitangeklagte. Auch die Mitangeklagten habe der Getötete bedroht.

Verteidigerin vermutet Gefangenendilemma

Nina Binder, Verteidigerin des Drittangeklagten, findet das interessant. Denn bei seiner ersten Einvernahme durch die Polizei hatte der Zweitangeklagte aus ihrer Sicht praktisch noch gesagt, ihr Mandant sei nicht involviert und habe auch kein Motiv für einen Mord. Im Gegenteil, der Drittangeklagte habe immer gesagt, er sei auch mit dem Opfer befreundet gewesen. Auch Telefonatdaten würden nicht zur Erzählung des Zweitangeklagten passen. "Kann es sein, dass Sie erst danach erfahren haben, was die anderen ausgesagt haben?", sieht sie eine reale Ausformung des Gefangenendilemmas und vermutet, dass der Zweitangeklagte sich mit der Belastung nun rächen möchte. Wirkliche Antwort erhält sie keine.

Das Verfahren ist auf mindestens vier Tage angesetzt, am kommenden Freitag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 8.3.2024)