Maryam Mehraban Pianistin
Die Pianistin Maryam Mehraban von den Kunstuniversitäten Graz und Hannover experimentiert mit Steinen im Klavier.
Maryam Mehraban

Das Klavier trat früh ins Leben von Maryam Mehraban. Schon mit vier Jahren griff die in der iranischen Hauptstadt Teheran geborene Pianistin das erste Mal in die Tasten. Den Weg in den Iran fand das Instrument dagegen vergleichsweise spät: Es war Napoleon, der 1806 dem persischen Herrscher Fath-Ali Shah Qajar das erste Klavier geschenkt haben soll.

Doch das gute Stück setzte lange Zeit als Dekogegenstand Staub an – zu unterschiedlich war etwa die Stimmung des Instruments, um ihm persische Klänge zu entlocken. Wie in so vielen Ländern der Welt feierte aber auch im Iran das Klavier letztlich seinen Durchbruch, eine Entwicklung, die wie andernorts mit der teilweisen Verdrängung lokaler Aufführungspraktiken einherging.

Globale Ausbreitung

Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Hegemonie der europäischen Kultur, die imperialistische Staaten global verbreiteten. "Die Kolonialmächte brachten nicht nur politische oder sozioökonomische Strukturen, sondern darüber hinaus kulturelle Elemente. Darunter war auch das Klavier", sagt Mehraban.

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Die Ausbreitungsgeschichte des Klaviers und deren Folgen auf lokale Musiktraditionen zu kartografieren ist Teil von Mehrabans Doktorat an den Kunstuniversitäten Graz und Hannover. Besonders interessiert sie sich dabei für Formen kultureller Hybridität: "In Teilen Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas haben Künstlerinnen und Künstler das Klavier in ihre Musik integriert, wobei sie lokale Skalen, Rhythmen und Spieltechniken verwendeten."

Es ist der kulturelle Austausch, der für Mehraban im Zentrum steht. Das ist naheliegend, hat Mehraban doch selbst neben Klavier auch das persische Instrument Setar studiert. Sie kennt also beide musikalischen Welten, die des Westens und die des Iran, seit Kindesbeinen. In ihrer künstlerischen Forschung sucht die Pianistin jetzt nach Klangräumen zwischen persischer und europäischer Musik.

Klangliche Zwischenwelten

Doch wie unterscheidet sich die iranische Musik überhaupt von der Europas? "Das betrifft vor allem die Mikrotonalität", erklärt Mehraban. "Die persische Musik kennt nicht nur Halb- oder Ganztonschritte, sondern auch Intervalle leicht darüber oder darunter. Es gibt zudem Unterschiede in der Phrasierung und der mitunter komplexen Rhythmik. Dadurch herrscht in der iranischen Musik eine ganz andere Atmosphäre."

Um das Klavier für diesen Klangraum zu öffnen, greift Mehraban mitunter zu unkonventionellen Mitteln: Gemeinsam mit der US-amerikanischen Komponistin Rachel C. Walker legte sie Steine und andere Gegenstände auf die Saiten ihres Klaviers – und plötzlich schnarrt und klirrt das vertraute Instrument, erhält eine gänzliche neue Klangfarbe, die irgendwo zwischen Orient und Okzident liegt.

Klavier der Pianistin Maryam Mehraban
Die Pianistin Maryam Mehraban präpiert ihr Klavier mit diversen Gegenständen.
Maryam Mehraban

Mit ihrer Forschung produziert Mehraban künstlerisches Wissen, das aus dem Berühren zweier Kulturen entsteht. Das führt zu einer Musik, die nicht Nachahmung ist, sondern Weiterentwicklung. Die Pianistin vergrößert somit den Rahmen des Spielbaren – und unterläuft identitätspolitische Debatten. Zu hören gibt es die Ergebnisse ihrer Doktorarbeit Mitte Mai beim Sonify-Festival der Kunstuni Graz. (Dorian Schiffer, 22.03.2024)