Flugzeug mit Kondensstreifen
In den Bereichen Verkehr, Energie- und Landwirtschaft entstehen besonders viele klimaschädliche Emissionen. Forschende suchen nach Möglichkeiten, diese zur Herstellung neuer Rohstoffe zu nutzen.
Christian Ohde/Imago

Eigentlich klingt es nach Science-Fiction, aber in den Laboren der synthetischen Biotechnologie wird schon seit langem daran geforscht. Und wenn man es sich näher ansieht, dann ist es gar nicht einmal so abenteuerlich, als es die verkürzte Darstellung vermuten lassen würde, dass man Fleisch aus Luft produzieren kann.

Das theoretische Rezept dafür: Man filtere CO2 aus der Luft, am besten dort, wo es in hohen Konzentrationen vorkommt, etwa in Rauchgas, spalte es mit Strom und Katalysatoren in Folgeprodukte ("C1-Produkte") auf und mache daraus einfache chemische Produkte, etwa Methanol und Ethanol, Essig- oder Ameisensäure (Formiat). Mit diesen Chemikalien füttere man dann speziell designte Mikroorganismen – etwa Hefen, Bakterien oder Pilze –, die daraus dann alles Mögliche produzieren: Flugbenzin, Plastik, Tierfutter oder Nahrungsmittel für den Menschen.

Produktive Mikroorganismen

Theoretisch wäre viel möglich, sagen Forschende aus den Bereichen Chemie und Biotechnologie. Denn es gibt eine ganze Reihe von Bioprozessen, mit denen sich auf mikrobiellem Weg Kohlenstoff fixieren lässt. Die sogenannten autotrophen Wege, bei denen Mikroorganismen CO2 direkt verstoffwechseln können, kämpfen noch mit technischen Herausforderungen. "Algen oder Cyanobakterien brauchen für den Prozess Licht, das aber nicht tief genug in die Bioreaktoren eindringen kann", sagt Diethard Mattanovich vom Institut für Mikrobiologie und mikrobielle Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur.

Unter den "Autotrophen" gelten die "Acetogenen" als interessant. Diese Mikroorganismen produzieren aus Synthesegas – einem Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, das durch die Elektrokatalyse von CO2 gewonnen werden kann – Ethanol und Essigsäure. Daraus können im industriellen Maßstab in weiterer Folge nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Biokraftstoffe für Verbrennungsmotoren gewonnen werden – ein Thema, das in Deutschland und Österreich derzeit hitzig diskutiert wird.

"Aus Perspektive der Energiebilanz macht das wenig Sinn", sagt Experte Mattanovich. Einerseits braucht es für die Aufspaltung von CO2-Molekülen grundsätzlich viel elektrische Energie, und andererseits kommen Verbrennungsmotoren gerade einmal auf einen Gesamtwirkungsgrad von 30 Prozent. "Da ist es klüger, den erneuerbaren Strom gleich direkt in Elektroautos zu stecken, weil man so einen Wirkungsgrad von 80 Prozent erreichen kann."

Kohlekraftwerk
Der Energiesektor, im Bild ein Braunkohlekraftwerk, zählt zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen.
IMAGO/Christoph Hardt

Mikrobiell erzeugtes Flugbenzin, also Kerosin, könnte Sinn machen. Aber auch hier gibt es das Erneuerbare-Energie-Problem: Würde man hypothetisch das gesamte Kerosin mikrobiell produzieren, könnte man damit eine Gigatonne CO2 pro Jahr einsparen. Für den Prozess würde man aber derzeit Strom in der Größenordnung von 10.000 Terawattstunden benötigen. Das entspricht rund einem Drittel der globalen Stromproduktion.

Mehr Potenzial zur Bekämpfung der Klimakrise hätte daher der Einsatz der mikrobiellen Biotechnologie auf anderen Gebieten, etwa in der Produktion von mikrobiellen Kunststoffen. Denn Mikroben können mit Kohlenstoff aus der Luft auch Plastik produzieren. Besonders dann, wenn diese Kunststoffe nachhaltig verwendet werden, könnten sie helfen, Kohlenstoffsenken aufzubauen.

Bioreaktor ersetzt Ackerfläche

Das wirksamste Einsatzgebiet für die mikrobielle Biotechnologie aber wäre die Landwirtschaft. "Die Lebensmittelproduktion ist mittlerweile für 25 bis 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und stellt damit einen wesentlichen Treiber der Klimakrise dar", sagt Mikrobiologin Simone Bachleitner, die mit ihrer Kollegin Özge Ata und Diethard Mattanovich im November 2023 einen Artikel über das Potenzial mikrobieller Biotechnologie zur Bekämpfung der Klimakrise im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichte. Da die Weltbevölkerung konstant weiterwächst und im Jahr 2050 voraussichtlich 10,4 Milliarden Menschen zählen wird, steigt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln – und damit auch die Nachfrage nach Land, einer endlichen Ressource.

Hier könnten mikrobiell erzeugte Proteine für eine Entlastung sorgen: Derzeit wird die Hälfte der Agrarfläche verwendet, um Futtermittel für Tiere zu produzieren. Soja für die Tierfütterung könnte allerdings sukzessive durch mikrobielle Proteine ersetzt werden, die mit Kohlenstoff aus der Luft ernährt werden. Aber auch die Produktion von Palmöl könnte in Zukunft nicht an Land, sondern in Bioreaktoren stattfinden. Möglich ist es bereits. "Die Frage ist dann freilich, was die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Hauptproduktionsländer wie etwa Malaysia sein werden", sagt Mattanovich.

So wie man pflanzliche Proteine und Fette ohne Pflanzen potenziell mit Kohlenstoff aus der Atmosphäre erzeugen kann, kann man heute auch schon Milch, Eier und Fleisch ohne Tiere produzieren. Auch das wäre ein wertvoller Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise.

Anlage zur CO2-Abscheidung
Das isländische Start-up Carbfix ist der weltweit erste Betreiber eines CO2-Mineralspeichers, der das Treibhausgas durch Mischung mit Wasser und Einbringung in Basaltgestein dauerhaft speichert.
REUTERS/MARKO DJURICA

Viele Start-ups entwickeln heute bereits wohlschmeckende und völlig tierfrei produzierte Milch-, Ei- oder Fleischprodukte, deren Basis mikrobielle Proteine sind. Gentechnisch veränderte Mikroorganismen ermöglichen dabei die Produktion rekombinanter Proteine, die identische Versionen von Tierproteinen wie Milchkasein, Molkeprotein oder Ei-Ovalbumin darstellen. Das in Berlin ansässige Start-up Formo stellt damit mittlerweile Rührei aus mikrobiellem Eiweiß und mehrere Käsesorten, darunter Feta, Pizza- und Schimmelkäse, aus mikrobiellen Molkeproteinen her.

Hämoglobin auf Sojabasis

Ähnlich ist es beim Impossible Burger, der rein pflanzlichen Fleischalternative von dem amerikanischen Unternehmen Impossible Foods. Der metallische Fleischgeschmack wird dabei durch das eisenhaltige Molekül Hämoglobin verliehen, welches normalerweise in Blut, aber auch in Pflanzen vorkommt. In dieser speziellen Anwendung wird "Soja-Hämoglobin" mikrobiell produziert und der Fleischvariante zugesetzt. Das "Soja-Blut" ist in Europa noch nicht zugelassen, das Zulassungsverfahren läuft jedoch. Die wissenschaftliche Risikobewertung soll Mitte 2024 abgeschlossen sein.

Bislang wird das Mikrobenfutter für tier- und pflanzenlos produzierte Tierfutter- und Nahrungsmittel zwar noch nicht aus Kohlenstoff produziert, der aus der Luft abgeschieden wurde. "Möglich ist es aber", sagt Bachleitner. Carbon-Caputure-and-Utilization-Technologien, die das ermöglichen, werden gerade in die Höhe skaliert. Sehr wahrscheinlich werden diese neuen Methoden auch auf lange Sicht notwendig sein.

Denn die weltweite Fleischproduktion hat mittlerweile 350 Millionen Tonnen pro Jahr überschritten und ist zusammen mit der Milchproduktion für 14,5 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich – während sie nur 18 Prozent für die tägliche Kalorienaufnahme des Menschen liefert. Mikrobiell erzeugte Nahrungsmittel, für die es mittlerweile eine Fülle von Mikroorganismusplattformen gibt, könnten da für Entlastung sorgen. (Norbert Regitnig-Tillian, 13.3.2024)