Zwei Meldungsblöcke dieser Tage signalisieren zwei Tragödien:

Die UN veröffentlichte einen offiziellen Bericht, wonach es "berechtigten Grund zur Annahme" gebe, dass es am 7. Oktober des Vorjahres zu Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen von israelischen Frauen (und einigen Männern) durch Hamas-"Kämpfer" gekommen sei. Außerdem gebe es "überzeugende Informationen, dass sexualisierte Gewalt auch gegen verschleppte Geiseln verübt worden sei und dies momentan im Gazastreifen weiter andauern könnte".

Die Sprache dieser Verlautbarung wird den entsetzlichen Vorgängen nicht gerecht. Inzwischen gibt es genügend abgesicherte Berichte (und Fotos und Videos), die belegen, dass von der Hamas Taten begangen wurden, die mit "bestialisch" nur unzureichend beschrieben werden. Denn Bestien, also wilde Tiere, sind nicht systematisch und erniedrigend grausam. Im Übrigen sind die meisten der Vergewaltigungsopfer anschließend ermordet worden.

Von Flugzeugen werden Hilfsgüter über Gaza abgeworfen.
Von Flugzeugen werden Hilfsgüter über Gaza abgeworfen.
EPA/ATEF SAFADI

Der zweite Meldungsblock betrifft die palästinensischen Zivilisten, die zum Opfer der israelischen Kriegsführung gegen die Hamas in Gaza nach dem 7. Oktober wurden. Gut die Hälfte der Gebäude in dem Gebiet, das etwa so groß ist wie Wien, sind zerstört oder beschädigt. Rund 30.000 Tote sind zu beklagen. Überdies droht nach übereinstimmender Aussage von hochrangigen UN-und EU-Vertretern eine humanitäre Katastrophe in Gaza, besonders für Kinder. US-Präsident Joe Biden lässt Nahrung mit dem Fallschirm abwerfen und will einen schwimmenden Hafen bauen, um die Versorgung sicherzustellen, die Israel im Krieg nicht gewährleistet.

Zwei Tragödien – und die Betroffenen auf beiden Seiten (sowie ihre Sympathisanten) scheinen nicht in der Lage zu sein, die Lage des jeweils anderen auch nur zur Kenntnis zu nehmen.

Realistisches Licht

In Israel blenden sogar sehr viele Linke und Liberale, die Benjamin Netanjahu und die rechtsextremen Siedler massiv ablehnen, das Schicksal der Palästinenser (im Westjordanland und in Gaza) aus. Und umgekehrt ist bei den betroffenen Palästinensern so gut wie keine Empathie für die Opfer der Gräueltaten der Hamas zu spüren. Der weltbekannte israelische Schriftsteller David Grossman (Eine Frau flieht vor einer Nachricht) hat in einem New York Times-Essay (Israel fällt in einen Abgrund) den Punkt getroffen: "Ein anderer Gedanke über die beiden gequälten Völker: Das Trauma, zu Flüchtlingen zu werden, ist fundamental und ursprünglich sowohl für die Israelis wie die Palästinenser, und doch ist keine Seite fähig, die Tragödie der anderen mit einem Funken Verstehen zu betrachten – ganz zu schweigen von Mitleid."

Ähnlich die Haltung vieler im Westen. Die Ikone der "progressiven Linken", die Literaturwissenschafterin Judith Butler, hat soeben das Hamas-Massaker als "bewaffneten Freiheitskampf" bezeichnet – ein Höhepunkt "antiimperialistischer" Idiotie, die Israel als "Kolonialmacht" denunziert. Viele Israel-Unterstützer weigern sich aber auch, Kriegsführung und Besatzung in realistischem Licht zu sehen.

Ist gegenseitige Empathie unmöglich? Es gibt Stimmen, die dies versuchen. Es wäre die Voraussetzung für den Anfang eines Versuchs einer Möglichkeit, zu einer halbwegs tragbaren Lösung zu kommen (die unlängst hier von Ariel Muzicant in einem Gastkommentar, Die Zweistaatenlösung ist ein Langzeitprojekt, skizziert wurde). Vielleicht haben beide Seiten einmal genug vom ewigen Krieg? Vielleicht erkennt man einmal auf beiden Seiten den wahren Feind? Nämlich die Extremisten auf beiden Seiten, deren Ziel nur Vernichtung und Vertreibung ist? (Hans Rauscher, 8.3.2024)