Vor kurzem war der zweite Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine durch Wladimir Putins Russland – des wohl finstersten Ereignisses der jüngeren europäischen Geschichte. Mit dem Fall von Awdijiwka und den Berichten über mangelnden Nachschub für die Ukraine ist die Kriegslage düster.

Zerstörung allerorts: Eine Aufnahme aus Borodianka im Nordwesten von Kiew Anfang April 2022.
Zerstörung allerorts: Eine Aufnahme aus Borodianka im Nordwesten von Kiew Anfang April 2022.
AFP / Sergei Supinsky

Daher ist es jetzt auch für Österreich an der Zeit, Bilanz zu ziehen – nicht nur über den Mut und das Elend der Ukrainer, sondern auch das Russland Putins.

Putins fester Würgegriff

Zwei zwar nicht unbedingt überraschende, jedoch besorgniserregende Nachrichten macht dies noch dringlicher. Mitte Februar berichtete eine regionale russische Gefängnisverwaltung, Alexej Nawalny, Russlands prominentester politischer Gefangener, sei in der arktischen Strafkolonie gestorben, in der er gefangen gehalten wurde. Die Umstände sind unklar, die Behörden sprachen vage von einem "plötzlichen Todessyndrom". Was auch immer auf dem Totenschein steht und wer auch immer den konkreten Befehl gab: Nawalny wurde von Putin getötet. Als unerschrockener, bestens informierter Oppositionsführer ist er schwer zu ersetzen. Viele andere Oppositionelle sind tot oder im Gefängnis. Putins Würgegriff ist fester denn je.

Die zweite beunruhigende Nachricht war eine Bemerkung Donald Trumps, des ehemaligen und vielleicht künftigen Präsidenten der USA. Trump erklärte in einer Rede, er habe dem Regierungschef eines Nato-Landes gesagt, bei einem Angriff Russlands auf dieses Land werde er nicht zu Hilfe eilen, falls dieses das Nato-Ziel für Verteidigungsausgaben (zwei Prozent des BIP) nicht erfüllt. "Ich würde Russland sogar ermutigen, zu tun, was sie wollen", sagte Trump.

Was Trump sagt

Man weiß nie, ob Trump meint, was er sagt – oder ob er überhaupt etwas meint. Aber sein Einfluss auf die Republikaner im Kongress, die jede weitere Hilfe für die Ukraine blockieren, ist offensichtlich. Europäische Nato-Länder täten gut daran, dies zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin mehr als die Hälfte der Bündnisländer erreichen das Ziel bereits, Polen liegt sogar bei vier Prozent. Das Geld ist aber nicht das Wesentliche: Trump entkernt das Erfolgsrezept der Nato, deren Mitglieder wegen der Abschreckungswirkung des gegenseitigen Beistands – vor allem des Beistands der USA bei Angriffen auf Europa – noch nie angegriffen wurden. Trump zersetzt diese Abschreckung: Egal, was er gemeint hat, ist das Gesagte eine Einladung an Putin, die Nato zu testen, mit kleinen, begrenzten Angriffen auf ein Bündnisland.

Europa ist weit davon entfernt, sich allein gegen einen russischen Angriff verteidigen zu können. Im "Naturzustand" internationaler Beziehungen wird Schwäche immer bestraft. Wir haben schwierige Zeiten vor uns.

Nationale Lebenslüge

Das gilt in besonderem Maße für Österreich. Wir müssen endlich mit der nationalen Lebenslüge aufräumen, die Nato werde uns im Angriffsfall zu Hilfe eilen. Das war nie sicher, inzwischen ist es unwahrscheinlich. Wer Schutz will, muss Mitglied sein. Das gilt bei einer Hausversicherung ebenso wie beim erfolgreichsten demokratischen Bündnis der Geschichte.

Wir sollten nicht weiter blind durch die Geschichte taumeln, bis wir vor der Wahl stehen: hoffnungsloser Widerstand oder Unterwerfung. Das hatten wir schon einmal, und es endete nicht gut. (Veit Dengler, 11.3.2024)