Im Normalfall sind die US-amerikanischen Elite-Unis jenen im deutschsprachigen Raum einen Schritt voraus, im Guten wie im Schlechten. Viele der dortigen Trends landen meist früher oder später auch bei uns. In Sachen Plagiatsjagd scheint es eher umgekehrt zu sein: Hierzulande kam es sehr viel früher zu öffentlichkeitswirksamen und politisch folgenreichen Thematisierungen von akademischen Plagiaten – primus inter pares: der Fall des damaligen deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg 2011.

Die USA hat in den letzten Monaten aber mehr als nur nachgezogen. Dabei ist ein direkter Zusammenhang der Plagiatsjagd mit dem Kampf um die politische Hegemonie insbesondere an den Eliteuniversitäten schwerlich zu übersehen. Es geht gegen angebliche "Wokeness" und gegen Strategien der Unis für mehr Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion (diversity, equity, inclusion, kurz DEI), und dabei werden Plagiatsvorwürfe zur Waffe.

Claudine Gay
Die ehemalige Harvard-Präsidentin Claudine Gay bei ihrer Anhörung am Capitol Hill im Dezember 2023.
AP/Mark Schiefelbein

Der spektakulärste Fall war dabei jener der Politikwissenschafterin Claudine Gay, der mittlerweile zurückgetretenen Präsidentin der Harvard University. Ihr waren – so wie ihren beiden Amtskolleginnen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der University of Pennsylvania – nicht nur missverständliche Aussagen bei einer Anhörung vor dem US-Kongress zum Vorwurf gemacht worden, als es um Antisemitismus auf dem Campus ging und die drei Präsidentinnen von der republikanischen Politikerin Elise Stefanik, einer Harvard-Absolventin, rhetorisch überaus geschickt in eine Falle gelockt wurden.

Gay wurden aber auch rund 40 Plagiate vorgeworfen, die sie in ihrer Dissertation sowie drei weiteren Arbeiten begangen hatte. Gay musste einige Fehler eingestehen und erklärte zu Jahresbeginn ihren Rücktritt.

Gezielte rechte Kampagnen

Die Plagiatsvorwürfe waren Teil einer koordinierten und gut organisierten politischen Kampagne, wie der konservative Aktivist Christopher Rufo, der die Recherchen unterstützt und veröffentlicht hatte, gegenüber der US-Zeitung Politico ganz offen zugab: Der Fall habe gezeigt, wie eine erfolgreiche Strategie für die politische Rechte aussehen könne, "wie wir mit den Medien arbeiten, wie wir Druck ausüben und wie wir unsere Kampagnen führen müssen, um erfolgreich zu sein". Um Verbesserung der wissenschaftlichen Integrität geht es dabei bestenfalls als Kollateralschaden.

Seitdem hat der Kulturkampf mittels Plagiatsprüfung richtig Fahrt aufgenommen: Ende Jänner beispielsweise vermeldete das konservative Nachrichtenportal Washington Free Beacon, dass Sherri Ann Charleston, die Beauftragte für Vielfalt und Integration der Harvard University, mit Dutzenden von Plagiatsvorwürfen im Zusammenhang mit ihrer akademischen Arbeit konfrontiert sei. Die Polarisierung geht dabei längst so weit, dass fast ausschließlich rechte Medien darüber berichteten. Mitte Februar folgten dann anonym vorgebrachte Abschreibevorwürfe gegen Shirley R. Greene, eine andere afroamerikanische Harvard-Administratorin.

Ende Februar wurden Plagiatsvorwürfe gegen Alade McKen laut, der an der Columbia Medical School für DEI-Angelegenheiten zuständig ist. Er habe, so die anonym und abermals im Free Beacon vorgebrachten Vorwürfe, in seiner Dissertation unter anderem von Wikipedia abgeschrieben. Die Optik ist in allen drei Fällen natürlich fatal: Afroamerikanische Universitätsangehörige, die sich an ihren Hochschulen für Diversität und Inklusion einsetzen, haben abgeschrieben oder werden des Plagiierens bezichtigt.

Revanche für das MIT

Die Plagiatsproblematik scheint aber auch andere zu betreffen. Ein zentraler Strippenzieher der Anti-DEI-Kampagnen ist der Milliardär Bill Ackman, ein Harvard-Großspender, der sich damit auch politischen Einfluss auf die Uni erkaufen möchte. Quasi als Revanche für die Plagiatsvorwürfe gegen Claudine Gay wurden gegen Ackmans Frau – die Künstlerin, Architektin und ehemalige MIT-Professorin Neri Oxman, die 2010 auch am MIT promoviert hatte – Vorwürfe des Abschreibens in ihrer Dissertation laut, in dem Fall vorgebracht von der Nachrichten-Website "Business Insider" und ursprünglich auch von Oxman eingestanden.

Das führte prompt zur nächsten, noch heftigeren Gegenreaktion. Ackman kündigte daraufhin an, sämtliche wissenschaftlichen Arbeiten von Angehörigen des MIT auf Plagiate untersuchen lassen zu wollen, weil er Mitarbeiter dieser Universität hinter den Vorwürfen gegen seine Frau vermutete.

Die Ergebnisse dieser großangekündigten Prüfung stehen noch aus.

Um die Sache weiter eskalieren zu lassen, ließ Ackman Ende Februar 2024 ein 77-seitiges Aufforderungs- oder eher: Drohschreiben an den Axel-Springer-Verlag schicken, dem der Business Insider gehört. In Ackmans Begleit-Tweet heißt es unter anderem recht unmissverständlich: "Es wird nicht unbemerkt bleiben, dass sich das Aufforderungsschreiben in bemerkenswerter Weise ähnlich wie die Schriftsätze eines Gerichtsverfahrens liest." Zudem verweist er darauf, dass der Brief von Libby Locke von der Kanzlei Clare Locke LLP stammt, die in einem von Dominion Voting Systems angestrengten Verfahren gegen Fox News Network 787,5 Millionen Dollar für den Wahlcomputerhersteller erstritten hat. (tasch, 14.3.2024)