Die Äthiopierin Fatuma G. vor einem Amt in Addis Abeba, wo sie die Formalitäten für ihre Ausreise nach Saudi-Arabien erledigen muss.
Die Äthiopierin Fatuma G. vor einem Amt in Addis Abeba, wo sie die Formalitäten für ihre Ausreise nach Saudi-Arabien erledigen muss. Hunderttausende wollen dort wie sie als Haushaltshilfen arbeiten – eine wichtige Devisenquelle für Äthiopiens Regierung und die Banken.
Christian Putsch

Es herrscht reger Betrieb vor dem Bürgeramt in Addis Abeba. Scharen junger Frauen stehen an, um sich für ein Regierungsprogramm anzumelden, das gleich Hunderttausende als Haushaltshilfen nach Saudi-Arabien vermitteln soll. Äthiopiens Regierung hatte die Migration lange verboten, weil es verstörende Berichte über katastrophale Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen gab. Doch nun wittert sie ihre Chance auf dringend benötigte Devisen.

Der Deal sieht vor, dass die Gehälter für die Frauen in Höhe von umgerechnet rund 250 Euro monatlich in Saudi-Riyal gezahlt werden, einer der stabilsten Währungen am Golf. Die Auszahlung an die Arbeiterinnen erfolgt wiederum in Birr, der Landeswährung Äthiopiens, die von einer 30-prozentigen Inflationsrate geschwächt wird. Für die klamme Regierung in Addis Abeba, vom 28 Milliarden Dollar teuren Tigray-Krieg an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben, ist das ein gutes Geschäft. Und für die Banken auch. Dutzende Mitarbeiter wuseln um die wartenden Frauen herum und lassen sie auf Tablets Verträge für Bankkonten unterschreiben.

In äthiopischen Regierungsstatements werden in diesen Tagen angesichts des Programms die "starken diplomatischen Bande" beider Länder gelobt. Keine Rede mehr von dem Rekrutierungsverbot für Haushaltshilfen, das von dem Land noch bis vor einem Jahr aufrechterhalten worden war. Oder von der eiligen Rückkehrunterstützung für 130.000 rabiat ausgewiesene Migrantinnen und Migranten aus Saudi-Arabien – in vielen Fällen erfolgte der Rauswurf trotz gültiger Papiere. Oder von den hunderten Äthiopiern, die nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch allein zwischen März 2022 und Juni 2023 an der Grenze zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien getötet wurden. Die Zahl der Menschen, die sich an der illegalen Reise versuchen, ist weiter hoch.

Kaum Schutz vor Ausbeutung

Die neue Rekrutierung der Haushaltshilfen zeigt das Dilemma, in dem sich viele Entwicklungsländer gegenüber den Golfstaaten befinden. Äthiopiens Wirtschaft hängt zu fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts von Rücküberweisungen aus der Diaspora ab, in den Philippinen sind es gar zehn Prozent. Die Golfstaaten, wo besonders der Privatsektor zu 80 Prozent von ausländischen Arbeitskräften abhängt, gehören dabei zu den wichtigsten Zielländern beider Staaten. Für äthiopische Migranten ist die Region, im Volksmund "Ostkorridor" genannt, Ziel Nummer eins, übrigens weit vor Europa, wohin die weite Reise seit dem Sudan-Krieg noch gefährlicher geworden ist.

Formelle Arbeitsgenehmigungen und damit Visa für Haushaltshilfen sind in Saudi-Arabien deutlich leichter zu beschaffen. Doch der Schutz vor Ausbeutung ist denkbar gering. Kaum ein Entwicklungsland traut sich, das "Kafala"-System offen zu kritisieren: Für die Gastarbeiter gilt das Arbeitsrecht nur in geringem Umfang, innerhalb Saudi-Arabiens gibt es kaum Bewegungsfreiheit. Die Arbeitgeber – oft Familien der Mittelschicht – behalten die Pässe ein, kommen selbst bei Misshandlungen immer wieder straffrei davon. Menschenrechtsorganisationen sprechen von moderner Sklaverei.

Doch angesichts der wirtschaftlichen Nöte Äthiopiens und Massenarbeitslosigkeit sind auch jüngst zugesagte Investitionen Saudi-Arabiens äußerst willkommen, kritische Töne dagegen selten geworden. Denn der mit 37 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste arabische Golfstaat setzt verstärkt auf Äthiopien. Auf der Suche nach billiger Arbeitskraft – und um seine Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren. Besonders seit Beginn des Krieges im Sudan, wo Saudi-Arabien Milliarden in den Agrarsektor investiert hatte.

Das ungleiche Kräfteverhältnis ist offensichtlich – und birgt Gefahren. "Die äthiopische Regierung hat sich zur Ausbildung der Haushalthilfen vor der Entsendung verpflichtet", sagt Rakeb Messele von der nationalen Menschenrechtsinstitution Ethiopian Human Rights Commission (EHRC) in Addis. "Wir hoffen, dass auch der Einsatz für Menschenrechte Teil des Abkommens ist und alle Elemente bis zur geordneten Rückkehr nach Ablauf des Vertrages klar geregelt sind. Das war bisher eher nicht der Fall." Wer sich gegen inhumane Arbeitsbedingungen wehre und den Arbeitgeber verlasse, werde automatisch zum illegalen Migranten. "Dann beginnen die Probleme."

Buhlen um Ostafrika

Zumindest diplomatisch beginnt sich der Deal für Saudi-Arabien jedenfalls auszuzahlen. Im November schlug Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed bei seinem Staatsbesuch in Riad gegenüber Kronprinz Mohammed bin Salman ausschließlich positive Töne an. "Wir sehen Synergien mit den Bestrebungen der saudi-arabischen Landwirtschaft und schlagen vor, die Zusammenarbeit bei der Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität zu vertiefen", sagte der Premierminister.

Für die Golfstaaten geht es bei den Beziehungen mit einflussreichen afrikanischen Ländern wie Äthiopien auch darum, den Einfluss regionaler Rivalen zurückzudrängen. Das viele Jahre lang gute Verhältnis Saudi-Arabiens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten offenbarte sich zuletzt als wechselhaft genug, um Riad als Schwachstelle erkennen zu lassen, dass man nicht in vergleichbarem Maß in Afrika investierte.

Denn die Emirate sind für einige der größten Investitionen in Ostafrika der jüngeren Vergangenheit verantwortlich. Darunter ist etwa der Bau des Berbera-Hafens in Somaliland, den der Binnenstaat Äthiopien demnächst für seine Exporte und Importe sowie für eine Militärbasis nutzen möchte. Hartnäckig halten sich auch Gerüchte, dass die Emirate einen neuen Palast für Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed mitfinanzieren. Auch in Tansania fällt das Land mit Großinvestitionen auf, tausende afrikanische Firmen haben zudem einen Sitz im Steuerparadies Dubai eröffnet. Im Sudan-Konflikt hat das ambitionierte Land über die Unterstützung der RSF-Miliz eine aktive Rolle, während Saudi-Arabien in dem geopolitisch so unterschätzten Krieg mit mäßigem Erfolg als Vermittler auftritt.

Mit den lange feindlich gestimmten Ländern Katar und Iran mag Saudi-Arabien derweil eine Politik der Annäherung pflegen, aber auch hier führt sich die geopolitische Rivalität am Horn von Afrika fort. Im Jahr 2021 öffnete Saudi-Arabien erstmals seit drei Jahrzehnten eine Botschaft in Somalia. Dort hat bislang Katar deutlich mehr Einfluss, das über die ausführliche Afrika-Berichterstattung von Al Jazeera auch mit Soft Power auf dem Kontinent punktet und ebenfalls Zielort für Migranten aus Ostafrika ist.

"Einige haben Glück"

Im vergangenen August verbuchte Saudi-Arabien mit der Aufnahme in den Staatenbund Brics einen großen Erfolg. Sie wurde von Gipfelgastgeber Südafrika unterstützt, einem Meinungsführer in Afrika. Südafrika hatte sich dagegen intern gegen die Aufnahme des Iran ausgesprochen. Sie kam letztlich auf den Druck des Brics-Dominators China zustande, sehr zum Verdruss der Saudis.

Und so sind die jungen Frauen vor dem äthiopischen Bürgeramt auch ein wenig Akteurinnen der großen Geopolitik. Fatuma zum Beispiel. Acht Stunden ist die Farmarbeiterin aus der Amhara-Region mit dem Bus nach Addis Abeba angereist, in der Hoffnung auf einen Job in Saudi-Arabien. In Facebook-Anzeigen wurde um Arbeitskräfte wie sie geworben, auf großflächigen Werbetafeln in den Städten oder gleich direkt am Telefon.

Angst habe sie nicht, sagt Fatuma. Man hat ihr ein Vielfaches ihres bisherigen Verdiensts versprochen. Fünf Monate hat sie auf die Verlängerung ihres Passes gewartet. Jetzt fehlen nur noch wenige Formalitäten, dann will sie los. "Einige haben Glück, andere nicht", so ihre lapidare Antwort zu den Berichten über Ausbeutung. Auch sie hat davon gehört. "Ich nehme, was sie mir geben", sagt sie. "Ich hoffe, dass ich zu denen gehöre, die Glück haben." (Christian Putsch aus Addis Abeba, 15.3.2024)