Brandschutztür im Landesgericht Wien, auf der ein Rauchverbotaufkleber zu sehen ist und ein Anschlag, wonach bei der heutigen Verhandlung Film- und Fotoaufnahmen verboten sind.
Allzu viel ist an diesem Dienstag im dritten Stock des Landesgerichts für Strafsachen nicht erlaubt, der Grund für das Bildverbot ist der Prozess gegen eine mutmaßliche Größe der Organisierten Kriminalität.
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Wien – Der dritte Stock im Verhandlungstrakt des Landesgerichts für Strafsachen Wien gleicht einem Heerlager: Uniformierte Polizistinnen und Polizisten, Kriminalbeamte, Vertreter der Wega, des Bundeskriminalamts und der Justizwache, teils martialisch vermummt und mit Sturmgewehr um den Hals, kontrollieren alle, die die Brandschutztüren passieren wollen, auf versteckte Waffen. Der Grund des Aufwands: der 30-jährige Herr S., genauer, ein Mobiltelefon, das bei einer Razzia in der Zelle des Untersuchungshäftlings gefunden wurde und auf dem eine Nachricht entdeckte wurde, aus der man eine mögliche Gefährdung eines Prozessbeteiligten herauslesen könnte.

Die Sicherheitsvorkehrungen setzen sich auch im Verhandlungssaal fort. Der unbescholtene serbisch-russische Doppelstaatsbürger trägt selbst auf dem Anklagestuhl eine Fußfessel, um die Hüfte hat er einen Gurt, von dem eine Leine in der Hand eines der vier Justizwachbeamten endet, die neben und direkt hinter ihm sitzen und stehen. S. soll die rechte Hand des bereits nicht rechtskräftig verurteilten Drogen-Capos "Dexter" gewesen sein und laut Staatsanwalt S. von seinem Exil Thailand aus die Lieferung und Distribution von 49 Kilogramm Heroin und 33 Kilogramm Kokain in Österreich organisiert haben.

Doch-nicht-abhörsichere Geräte

"Das ist überhaupt nicht richtig!", erklärt der Angeklagte zu diesen Vorwürfen. Sein Verteidiger David Jodlbauer geht aber noch einen Schritt weiter und stellt sich in seinem Eröffnungsvortrag vor dem Schöffengericht die Frage, ob die gesamte Anklage überhaupt rechtmäßig zustande gekommen ist. Basiert sie doch auf der Auswertung von Daten, die über Anom-Handys gewonnen wurden. Das waren modifizierte Mobiltelefone, die man im Paket mit einer Jabber Identification, quasi einer Mailadresse, für 1.500 Euro kaufen konnte und die angeblich mitlese- und ortungssicher waren. Was sie möglicherweise sogar gewesen wären, wenn sie nicht in Wahrheit von der US-amerikanischen Bundespolizeibehörde FBI in Umlauf gebracht und überwacht worden wären.

Sich in digitaler Sicherheit wiegende Verdächtige nutzten die Geräte, um sich untereinander auszutauschen – aus Sicht der Ermittler einerseits, um ungestört Rauschmittelgeschäfte zu tätigen, aber auch, um menschlichen Bedürfnissen wie der Übermittlung von Urlaubsbildern und Selfies an die "Kollegen" nachzukommen. Die Gen Z des Schwarzmarkts, sozusagen.

Verteidiger Jodlbauer sieht aber ein grundlegendes Problem: "Wir haben angeblich von amerikanischen Behörden Zugriff auf Chat-Nachrichten bekommen", prangert er an, dass die Mitglieder der "Arbeitsgruppe Achilles" des heimischen Bundeskriminalamts zwar Zugangsdaten für Server hatten, auf denen das FBI Anom-Botschaften aufbereitet und gespeichert hatte. Die Originaldaten würden die US-Behörden aber nicht aus der Hand geben, daher könne auch niemand bestätigen, ob die Chats überhaupt vollständig seien, kritisiert er. Unklar sei auch, ob das FBI die Daten selbst rechtskonform erlangt habe. Seinem Mandanten sei dadurch "das fundamentalste Recht genommen, sich zu verteidigen". Der Oberste Gerichtshof hat das bisher anders gesehen und die Verwertung der Chats für zulässig erklärt – allerdings gibt es in der EU auch Gerichte, die die Lage anders beurteilen, eine endgültige Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof in der Causa steht noch aus.

Eher bockiger Angeklagter

Der Angeklagte selbst macht recht deutlich, dass er nicht freiwillig hier ist. Als ihn der Vorsitzende zu Beginn nach seinem Namen fragt, lässt er "Sie wissen ja, wie ich heiße. Warum fragen Sie?" als Antwort übersetzen. "Damit wir sicher sind, wer Sie sind", erklärt ihm der Vorsitzende. "Sie wissen nicht, wer ich bin, und werfen mir etwas vor?", echauffiert S. sich daraufhin. In Thailand habe er in einer Pizzeria gearbeitet, verrät der vierfache Vater noch, sein Verdienst gehe den Vorsitzenden nichts an, da er kein österreichischer Staatsbürger sei, bescheidet er.

Von Anom habe er erst in der Untersuchungshaft erfahren, behauptet der 30-Jährige. Er habe dort unter keinem der drei angeklagten Nutzernamen wie "Funnynative" oder "Aladdin" kommuniziert, beteuert er. Wie dann Selbstporträts von ihm unter diesen Namen an andere Anom-User übermittelt wurden? S. kann es sich nicht erklären. Er habe mit seinem iPhone Bilder gemacht und die auf sozialen Medien gepostet, fällt ihm dann ein.

Der federführende Ermittler des Bundeskriminalamts erklärt als Zeuge, wie man durch den Datenwust zu S. gefunden hat. Man habe "die kriminalpolizeilichen Hausaufgaben erledigt", gibt der Beamte sich sicher. Man habe aus den Botschaften herausdestilliert, dass der Sender sich auf der Insel Phuket befinden müsse, anhand einzelner Puzzlesteine – etwa dem Muster eines Hotelpools – habe man die Örtlichkeit immer weiter eingrenzen können. Als schließlich der Vater des Verdächtigen von Belgrad über die arabische Halbinsel nach Thailand flog, habe man diesen observieren lassen, was schließlich zur Festnahme des Verdächtigen führte.

Privatjet für den "Hochkaräter"

Auf Nachfrage von Staatsanwalt S. schildert der Ermittler, wie der "Hochkaräter", als den er den Angeklagten bezeichnet, von Südostasien nach Österreich gekommen ist. Nach einem Tötungsdelikt in Serbien war S. im Jahr 2017 nach Thailand migriert, sein Aufenthaltstitel sowie sein Pass zum Zeitpunkt der Festnahme abgelaufen. Ein erster Auslieferungsversuch sei gescheitert, da sich der Serbe derart massiv dagegen gewehrt habe, dass der Pilot einer Verkehrsmaschine die Mitnahme verweigerte. Die Republik griff in die Tasche der Steuerzahlenden: Beamte des Einsatzkommando Cobra samt einer Amtsärztin flogen mit einem Privatjet nach Thailand, um S. abzuholen. Damit schien er leben zu können – auf dem Rückflug genoss er als Reiselektüre die Biografie eines bekannten südamerikanischen Drogenpaten.

Eine Besonderheit ist auch die Zeugenaussage von Herrn D. alias "Dexter", dem mutmaßlichen Statthalter des montenegrinisch-serbischen Kavac-Clans in Österreich. Der 35-Jährige wurde wegen seiner Rolle in der Organisation im Dezember nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt, sitzt derzeit aber noch in der Justizanstalt Josefstadt ein. Die ist eigentlich direkt mit dem Gebäude des Landesgerichts verbunden, dennoch wird eine Videokonferenz über die ungefähr 400-Meter-Distanz durchgeführt.

Zunächst muss dafür der Verhandlungssaal gewechselt werden, da diese Art der Einvernahme in den während der Umbauarbeiten temporär eingerichteten Sälen nicht möglich ist. Zur allgemeinen Überraschung gibt es dann keine technischen Probleme mit der Verbindung: Auf dem Monitor erscheint ein Justizwachebeamter. Dafür gibt es organisatorische Schwierigkeiten: "Wir sind noch nicht startklar!", offenbart der Beamte dem Schöffensenat. "Wie lange dauert es denn?", will der Vorsitzende wissen. "Da muss ich die Kommandantin fragen", entgegnet der Beamte und entfernt sich. "In Kürze", verrät er unbestimmt, als er wieder auftaucht. "Wann ist das?", lässt der Vorsitzende nicht locker. "In fünf Minuten ... bis zehn", lautet die vage Antwort.

Virtueller Rundruf in Haftanstalten

Als der von der Verteidigung beantragte Zeuge D. schließlich im grauen Jogger erscheint, muss nun er warten, da der Vorsitzende noch mit Verlesungen beschäftigt ist. Die eigentliche Vernehmung ist dann rasch erledigt. "Kennen Sie den Angeklagten?", will Jodlbauer von D. wissen. "Nein", antwortet dieser und wird zurück in seine Zelle gebracht. Das Spiel wiederholt sich bei anderen österreichweit einsitzenden mutmaßlichen Mitgliedern des in ganz Europa aktiven Drogenclans.

Der Verteidiger bleibt in seinem Schlussplädoyers dabei: Bis auf die Chats, in denen Organisation, Ablieferung und Zahlung des Stoffs penibel dokumentiert sind, gebe es keine belastenden Beweise gegen S., und diese Chats dürfe man nicht verwerten, will Jodlbauer einen Freispruch. Der Angeklagte bleibt dabei: Er habe nie etwas Illegales gemacht und nie ein Anom-Handy besessen.

Der Senat sieht das anders und verurteilt S. anklagekonform, aber nicht rechtskräftig, zu elf Jahren Haft. Die justiz- und rechtspolitisch wichtige Frage, ob und wie Daten aus dem Ausland verwendet werden dürfen, bleibt bis zu einem Urteil durch den Europäischen Gerichtshof aktuell. Auch beim 20. heimischen StrafverteidigerInnentag im April in Graz wird dieses Thema diskutiert werden. (Michael Möseneder, 12.3.2024)