Schild neben dem Eingang des Landesgericht für Strafsachen Wien.
Zum zweiten Mal muss sich ein Schöffengericht in Wien mit einer "grausamen, brutalen" Angelegenheit befassen.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – Sicher ist, dass ein Wiener Pensionist am 26. Jänner 2020 kurz vor 20.30 Uhr lebensgefährlich verletzt in Wien-Favoriten gefunden wurde. Im Spital wurden Serienrippenbrüche, ein Bruch des Dornfortsatzes, des Brust- und des Jochbeins diagnostiziert, zusätzlich hatte er eine Perforation des Mastdarms, was eine Sepsis auslöste. Nicht sicher ist, wer ihm diese Verletzungen zugefügt hat. Herr S., 44 Jahre alt, sowie seine Partnerin, die 41 Jahre alte Frau L., sind es aus Sicht der Staatsanwältin. Das Duo bestreitet diesen Vorwurf, ihre Verteidiger stellen in den Raum, dass die Mutter von S. die wahre Schuldige ist.

Die Causa wird bereits zum zweiten Mal verhandelt, diesmal ist ein Schöffensenat unter Vorsitz von Danja Petschniker verantwortlich. Im ersten Rechtsgang wurden die Angeklagten anklagekonform zu sieben und neun Jahren Haft verurteilt, der Oberste Gerichtshof sah allerdings einen Fehler bei der Belehrung der Mutter des Erstangeklagten und hob die Entscheidung auf.

Auch im neuen Verfahren bekennen sich die unbescholtenen Österreicher für "nicht schuldig". Sie hätten am fraglichen Tag zwar die Mutter von S. besucht und seien von 13 bis 20 Uhr in ihrer Wohnung gewesen, sagen beide, das Opfer hätten sie in der Zeit aber nicht zu Gesicht bekommen, beteuern sie. Warum der 63-jährige Bekannte der Wohnungsmieterin behauptet, S. habe ihn geschlagen, getreten, gezwungen, Katzenkot zu essen und schließlich mit einem Gegenstand penetriert, können sich die beiden nicht erklären. Die Zweitangeklagte bestreitet auch den Anklagepunkt der dauernden Sachentziehung – sie soll dem Opfer sein Handy weggenommen und die SIM-Karte zerschnitten haben.

Mutter unter Verdacht

Die beiden Notstandshilfebezieher haben eine andere Theorie: Die Mutter von S. müsse dem Pensionisten die Verletzungen vor ihrer Ankunft zugefügt haben. "Meine Mutter ist ein anderes Kaliber, sie tut auf unschuldig und reitet andere hinein!", hält der Erstangeklagte wenig vom vierten Gebot. "Ich trau das eher meine Mutter zu, dass sie so zuhaut", begründet S. seinen Verdacht. Die Zweitangeklagte vermutet eine Intrige der Schwiegermutter.

Das Opfer, das seit 2019 eine Erwachsenenvertreterin hat, machte es den Ermittlern tatsächlich nicht einfach. Nachdem Passanten in gefunden hatten, sagte er, zwei unbekannte Jugendliche hätten ihn überfallen und sein Handy geraubt. Nachdem ihn die Polizei damit konfrontierte, dass die Verletzungen nicht zu seiner Schilderungen passen, beschuldigte er seinen Stiefsohn, der deshalb auch mehrere Tage in Untersuchungshaft kam. Erst in seiner dritten Version beschuldigte er, wie auch in der auf Video aufgezeichneten kontradiktorischen Einvernahme vor Gericht, den Erstangeklagten massiv. Dessen Mutter belastete im ersten Verfahren nicht nur ihren Sohn, sondern auch die Zweitangeklagte, nun will sie nicht mehr aussagen.

Leicht manipulierbares Opfer

Die Frage, warum er seine Geschichte mehrmals geändert hat, meint die psychiatrische Sachverständige Sigrun Rosmanith damit beantworten zu können, dass der 63-Jährige eine leicht verminderte Intelligenz habe, sehr gutmütig und vor allem leicht manipulierbar sei. Auch seine Erwachsenenvertreterin schildert, wie gutmütig, aber auch ängstlich ihr Klient sei – er habe vor ihrer Bestellung mit seiner Pension offenbar die Mutter des Erstangeklagten ausgehalten, bis sein Konto leer war. Und das, obwohl auch diese Frau gewalttätig gegen ihn gewesen sei. Als sie ihn einmal fragte, warum er sich die Angriffe gefallen lasse, habe er mit: "Wahrscheinlich habe ich es verdient" geantwortet.

Der gerichtsmedizinische Sachverständige und TV-Star Christian Reiter erklärt dem Senat in seinem Gutachten, dass die Verletzungen im Laufe des fraglichen Nachmittags zugefügt worden sein müssen, mindestens zwei Stunden bevor das Opfer auf der Straße kollabiert ist. Also just in der Zeit, in der die beiden Angeklagten eingestandenermaßen in der Zweizimmerwohnung der Mutter gewesen sind. Die Verletzungsspuren ließen sich gut mit den Schilderungen des Pensionisten in Einklang bringen, meint Experte Reiter.

Verteidigung sieht Mangel an Beweisen

Die Verteidiger fordern dennoch Freisprüche aus Mangel an Beweisen und sehen die Mutter des Zweitangeklagten als plausible "alternative Verdächtige", sodass der Zweifelsgrundsatz zur Anwendung kommen müsse. Das Gericht sieht das nur zum Teil so: S. wird nach halbstündiger Beratung anklagekonform zu sieben Jahren unbedingter Haft verurteilt, L. dagegen nur wegen dauernder Sachentziehung zu drei Monaten bedingt.

Bei einem Strafmaß von fünf bis 15 Jahre beim Erstangeklagten sei angesichts des "außergewöhnlich hohen Maßes an Gewalt" nur eine unbedingte Strafe möglich, begründet die Vorsitzende die Entscheidung. "Es war grausam, brutal, empathielos, das kann man nur als Folter bezeichnen", erklärt sie dem ungerührten Erstangeklagten. Er legt ebenso wie seine Lebensgefährtin und die Staatsanwältin Rechtsmittel ein, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 13.3.2024)