Elly Tanaka IMBA hält einen Behälter mit Wasser und einem rosa Axolotl
Elly Tanaka und ein weiblicher Axolotl.
Heribert Corn

Was sollten Menschen in Österreich unbedingt über Axolotl wissen? "Dass sie niedlich sind", lacht Elly Tanaka. Kurz zuvor, am Donnerstagmorgen, wurde bekanntgegeben, dass die Koryphäe auf dem Gebiet der Axolotl-Regenerationsfähigkeiten die neue Direktorin des renommierten Wiener Instituts für molekulare Biotechnologie (IMBA) wird (DER STANDARD berichtete). Wer die im Wasser lebenden Schwanzlurche erstmals sieht, ist wohl von ihrem skurrilen Erscheinungsbild fasziniert oder sogleich entzückt: Die meist rosafarbenen, weißen oder grauen Amphibien mit den markanten Kiemenästen sehen aus, als würden sie sanft lächeln.

Doch die Fähigkeiten der Axolotl verblüffen die Biochemikerin noch mehr. Die bis zu 25 Zentimeter langen und 25 Jahre alt werdenden Tiere sind in der Lage, amputierte Arme, Beine und sogar Teile ihres Gehirns nachwachsen zu lassen. Selbst andere Salamanderspezies, die ihre Schwänze teilweise abwerfen und regenerieren können, kommen nicht an das wundersame Wachstum der Axolotl heran. Das macht Biologinnen und Biologen höchst neugierig. Wie machen sie das? Woher wissen unterschiedliche Zelltypen, wann sie sich wo vermehren sollen? Wie entwickeln sich die verschiedenen Stammzellen? Warum passt der neue Fuß so gut zum Rest des Körpers und hängt am Ende nicht übergroß oder winzig am Bein?

Das interessiert Fachleute schon seit langem. Und das ist ein Aspekt, den man auch über Axolotl kennen sollte, sagt Tanaka: "Dieses Tier hat in der biologischen Forschung eine sehr lange Geschichte." Es gelte sogar als eines der ersten Tiermodelle, die in Labors untersucht wurden. 1804 brachte der berühmteste deutschsprachige Forschungsreisende, Alexander von Humboldt, ein Axolotl aus seinem natürlichen Lebensraum in Mexiko nach Europa. Nicht lebendig, sondern eingelegt in Alkohol. Fachsprachlich heißt es Ambystoma mexicanum, aber der Name "Axolotl" geht auf die aztekische Sprache Nahuatl zurück und beinhaltet den Namen der ungeheuerlichen Gottheit Xolotl. Sie wird mit Tod und Unglück in Verbindung gebracht. Kombiniert mit dem Begriff "atl" für Wasser ergibt sich die Bedeutung "Wassermonster".

Axolotl
Axolotl (wie dieses eineinhalbjährige ausgewachsene Exemplar) sind in der Forschungswelt bekannt für ihre spektakulären Selbstheilungskräfte.
Heribert Corn

Erst Jahrzehnte später wurden in Paris lebendige Exemplare erforscht. Sie sorgten für Erstaunen, weil diese Schwanzlurche ihr Leben lang quasi in Larvenform bleiben, ohne wie beispielsweise Frösche eine Metamorphose zu durchlaufen. Geschlechtsreif werden sie freilich trotzdem, sonst hätten sie sich nicht über mehr als 300 Millionen Jahre erhalten können.

Zum Fressen gern

Das dürfte aufgrund ihres Sozialverhaltens nicht ganz leicht gewesen sein. "Sie sind schon ziemlich gemein zueinander", formuliert es Tanaka. Die eher scheuen und einzelgängerischen Tiere knabbern Artgenossen häufig an. So gehen den Kannibalen daher in freier Wildbahn Gliedmaßen verloren. Ihre außergewöhnliche Regeneration dürfte also dabei geholfen haben, die anderen "hungrigen" Axolotl zu überleben.

Wichtige Beiträge leistete die deutsche Naturforscherin Marie von Chauvin 1874: Ihr gelang es, Axolotln durch Entzug von Wasser zu Metamorphose zu bringen. Um 1913 gelingt das in Prag mit dem Schilddrüsenhormon Thyroxin. In Wien wiederum wurde vor knapp 100 Jahren wichtige Regenerationsforschung betrieben, und zwar durch den jüdischen Biologen Paul Weiss an der Biologischen Versuchsanstalt im Prater. Wegen antisemitischer Anfeindungen wanderte Weiss, der das Nachwachsen von Gliedmaßen bei anderen Schwanzlurcharten untersuchte, 1929 in die Vereinigten Staaten aus. Dort setzte er seine ausgezeichnete Arbeit als Entwicklungsbiologe fort, die ihm mit der National Medal of Science den wichtigsten wissenschaftlichen Preis der USA einbrachte.

Junges Axolotl
Dieser Axolotl ist noch nicht ausgewachsen, sondern erst vier Monate alt.
Heribert Corn

Elly Tanaka wiederum wuchs in den USA auf, begann ihre steile Karriere an der Universität Harvard und kam nach Zwischenstationen in London und am Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik 2016 nach Wien. Sie dockte als Gruppenleiterin am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) an, das vom Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim getragen wird. Tanaka ist sowohl Mitglied der US-amerikanischen wie auch der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Letztere ist auch Trägerin des IMBA.

Vom Aussterben bedroht

Sie war die Erste, die transgene Axolotl züchtete, das heißt: Schwanzlurche, denen ein Gen einer anderen Art eingepflanzt wurde. Mittlerweile zählen mehr als 200 transgene Axolotl zu ihrer Kolonie, die zu Beginn sehr klein war, aber mittlerweile auf rund 3.000 Individuen kommt. Damit ist das die größte Axolotl-Kolonie außerhalb Mexikos.

In ihrem natürlichen Lebensraum sind diese Schwanzlurche beinahe ausgestorben: Die beiden Seen nahe Mexiko-Stadt, in denen sie hauptsächlich anzutreffen waren, sind stark verschmutzt. Die meisten Exemplare leben heute also in Gefangenschaft. Die genetische Vielfalt der Kolonie sichern die Biochemikerin und ihr Team, indem sie eher entfernt verwandte Individuen miteinander züchten.

Lange Suche nach neuer Leitung

Mit Tanaka übernimmt erstmals eine Frau die Leitung des 1999 gegründeten IMBA. Gründungsdirektor Josef Penninger leitete es 2002 bis 2018. Als der erfolgreiche Genetiker dann an die University of British Columbia in Kanada ging, "hat uns das durchaus enttäuscht", sagt Organoidforscher Jürgen Knoblich. Er war damals als stellvertretender wissenschaftlicher Direktor schon daran beteiligt, Forscherinnen und Forscher für das IMBA zu rekrutieren, und übernahm interimistisch die Leitung. 2022 wurde die Stelle neu ausgeschrieben, pandemiebedingt habe der Rekrutierungsprozess länger gedauert.

IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie), Jürgen Knoblich, Elly Tanaka, Heinz Faßmann, Axolotl.
ÖAW-Präsident Heinz Faßmann (rechts) bedankte sich für Jürgen Knoblichs Arbeit als Institutsdirektor und hieß Elly Tanaka am IMBA willkommen.
Heribert Corn

Beauftragt wurde ein unabhängiges Suchkomitee von Topwissenschaftern um den britischen Zellbiologen Anthony Hyman, einen der Direktoren am Dresdner Max-Planck-Institut. Es machte mit Elly Tanaka einen Besetzungsvorschlag, der von der ÖAW angenommen wurde. Auch Knoblich hatte sich beworben, sagte aber, dass er eine neue Leitung von außen für gut hielte, und schätzt Tanaka als Kollegin und langjährige Freundin. Penninger hat indes 2023 eine 25-Prozent-Professur für personalisierte Medizin an der Med-Uni Wien übernommen.

Ab 1. April wird Tanaka offiziell die Direktorin sein. Damit liegt der Frauenanteil der Institutsleitungen an der ÖAW bei 32 Prozent, das ist höher als jener bei den Professuren an Österreichs Universitäten (unter 30 Prozent).

Ein neues Bein in ein paar Monaten

Da Tanaka gleichzeitig ihrem Forschungsteam vom IMP ans IMBA wechselt, hat Letzteres dann insgesamt 13 Forschungsgruppen. Verbunden bleibt sie trotzdem – nicht nur architektonisch über die Glasbrücke, die die beiden Institute verknüpft. Von den 3.000 Axolotln bleiben die meisten im Gebäude des IMP, wo eigens Aquarien und Wasserversorgungsanlagen für die riesige Kolonie aufgebaut wurden. Nur jene Tiere, die Teil aktueller Experimente sind, werden übersiedelt.

Die bisherige Beobachtung der Schwanzlurche lässt darauf schließen, dass sie ein eingeschränktes Schmerzempfinden haben. Daran wird weiterhin geforscht. Sie scheinen quasi daran gewöhnt zu sein, dass Artgenossen ihnen in freier Natur "die Beine abfressen", sagt Tanaka. Wenn ihnen für Experimente Extremitäten amputiert werden, geschieht das unter Betäubung. Zum Nachwachsen neuer Gliedmaßen benötigen sie sechs Wochen bis mehrere Monate. Erst entsteht eine Art "Mini-Extremität", die dann größer und größer wird.

In Zukunft könnte auch die Medizin von diesen Eigenschaften und von Tanakas Forschungsarbeit lernen, etwa bei schlecht heilenden Knochenbrüchen. "Ihre Forschung macht vielen Menschen Hoffnung", sagt ÖAW-Präsident Heinz Faßmann. Allein im Vorjahr konnte die US-Amerikanerin mit zwei Projekten die renommierten Forschungsförderungen des Europäischen Forschungsrats ERC gewinnen: Zugesprochen wurden ihr ein Advanced Grant (2,5 Millionen Euro) und ein Synergy Grant (rund zehn Millionen Euro).

Kein Platz für Hirsche

Dabei geht es aber vor allem um Grundlagenforschung. Die Axolotl-Expertin und ihr Team wollen verstehen, welche Rolle verschiedene Gene, aktivierende Botenstoffe und Stammzellen einnehmen. Aber auch die genauen Unterschiede in der Regenerationsfähigkeit zwischen Axolotl und Mensch – oder anderen Arten – interessieren sie. Denn dass das Nachwachsen von Gewebe, geschweige denn Gliedmaßen, bei Menschen nicht so einfach funktioniert, dürfte verschiedene Gründe haben. Einer davon könnte das Immunsystem sein: Dieses ist bei Menschen so aktiv, dass es die Regeneration beeinträchtigen kann.

Spannende Erkenntnisse könnte auch die Erforschung von Rotwild liefern, immerhin sind Hirsche in der Lage, ihr Geweih abzuwerfen und neu aufzubauen. Das könnte man ebenfalls als besondere Regeneration von Extremitäten ansehen. Zudem sind Hirsche als Säugetiere enger mit Menschen verwandt als Amphibien. Einige Forschungsgruppen beschäftigen sich bereits mit diesem Modellorganismus. Tanaka bleibt eher bei den Axolotln: "Hirsche brauchen zu viel Platz." (Julia Sica, 16.3.2024)