In einer ohnehin unrühmlichen Liste gelten die US-Midterm-Wahlen des Jahres 2022 als eine der größten Niederlagen der Meinungsforschung in den vergangenen Jahren. Umfragen hatten einen Erdrutschsieg der Republikaner vorhergesagt. Geworden ist aus der angekündigten Welle nur eine recht schwache Brandung: ein knapper Sieg im Repräsentantenhaus. Der Grund war damals schnell ausgemacht: Zwar hatten viele Wählerinnen und Wähler eigentlich die Republikaner bevorzugt, doch waren ihnen in ihren einzelnen Wahlkreisen die Kandidaten zu radikal.

Extremismus-Ausnahme

Für viele stand damals schnell fest: Donald Trump, der Sturm auf das Kapitol vom 6. Jänner 2021 und der Extremismus vieler seiner Anhänger hatten die Wählerinnen und Wähler verschreckt. Trump selbst aber kam zu einem anderen Schluss: Dass viele Republikaner nach dem Supreme-Court-Urteil 2022, mit dem das nationale Recht auf Abtreibung aufgehoben wurde, für strengstmögliche Verbote agitiert hatten, habe Wählerinnen verschreckt und die Partei den Sieg gekostet. Er selbst will diesen Fehler im Wahlkampf 2024 nicht wiederholen.

Das Resultat sieht folgendermaßen aus: Während der Ex-Präsident in vielen anderen Bereichen immer noch radikalisierter auftritt, bei Reden die US-Hymne als Gefangenenchor verurteilter 6.-Jänner-Putschisten spielt und diese "Geiseln" nennt, das Ende der Demokratie für den Fall eines neuen Biden-Sieges prophezeit, selbst "am ersten Tag ein Diktator" sein will, vielsagend von einem "Blutbad" in der US-Autoindustrie faselt und darüber sinniert, dass "nicht alle Einwanderer Menschen" seien, stimmt er beim Thema Abtreibung konziliante Töne an.

"Beide Seiten glücklich"

Er werde "sehr bald" einen Plan vorstellen, der "beide Seiten glücklich macht", sagte Trump jüngst in einer TV-Sendung von Fox News. Details dazu, wie dieser Plan aussehen wird, gehen unter der Hand schon seit Wochen durch die US-Medien. Trump, so heißt es, will einen Vorschlag des US-Senators Lindsey Graham aufgreifen, der einst unter dem Titel "Landesweites Abtreibungsverbot" ein Gesetz in den US-Senat eingebracht hatte.

Anders als der Titel, der um konservative Zustimmung buhlt, vermuten lässt, wäre ein solches Gesetz kein Totalverbot, sondern eine Fristenlösung. Abtreibungen sollen demnach ab der 15. Woche verboten sein, mit Ausnahmen für Inzest und Vergewaltigung, Lebensgefahr für die Mutter und schwere Schäden des Fötus. Davor sollen sie allerdings erlaubt sein. Und weil Trump gerne "schöne, runde Zahlen" hat, will er 16 Wochen, seiner Rechnung nach also vier Monate, als Frist vorsehen.

Auch wenn es bei Demonstrationen viele schon lange leid sind – das Thema Abtreibung wird auch im Wahlkampf 2024 eine Rolle spielen.
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In der Praxis würde das ein gemischtes Bild ergeben, weil seit dem Supreme-Court-Urteil, das die Verantwortung für Gesetze an die Bundesstaaten abgab, in den USA ein Fleckerlteppich an Regelungen existiert. Für etwas mehr als die Hälfte der Bundesstaaten, wo Schwangerschaftsabbrüche bisher auch zu späteren Zeitpunkten legal sind, wäre der Vorschlag eine Verschärfung. Für mehr als ein Dutzend Staaten aber, wo republikanische Mehrheiten seit dem Urteil 2022 Totalverbote oder stark restriktive Gesetze erlassen haben, würde Trumps Vorhaben eine Liberalisierung bedeuten.

Differenzierte Sicht

Im Wahlkampf könnte sich das durchaus als zugkräftig erweisen. Umfragen zeigen nämlich schon seit langem, dass die Menschen in den USA das Thema Abtreibung mehrheitlich differenziert betrachten. Zwar sagen in einer aktuellen Befragung des Instituts Yougov mehr als die Hälfte der Menschen, dass sie "Abtreibungsrechte" unterstützen – allerdings nicht ohne Limits. Trumps Vorschlag einer 16-Wochen-Frist sehen jeweils knapp mehr als 50 Prozent positiv, nur rund 30 Prozent lehnen ihn ab. Die Antworten sind davon unabhängig, ob Trumps Name in der Frage genannt wurde oder nicht – das Institut hat dies in je der Hälfte der Fälle getan bzw. unterlassen, der Unterschied in den Resultaten ist gering. Für die Demokraten könnte sich ihr Fokus auf möglichst breite Abreibungsrechte, mit denen sie zuletzt viele Wahlen gewonnen hatte, damit als Bumerang erweisen.

Dass Trump sein Versprechen im Fall eines Wahlsiegs auch umsetzen könnte, ist unwahrscheinlich. Das Gesetz müsste mit Mehrheiten im Kongress verabschiedet werden. Und auch wenn er sein Programm als "Abtreibungsverbot" verkauft – viele republikanische Politiker haben ihre Karriere auf viel strengere Regelungen aufgebaut, und vielen Demokraten wird sie zu restriktiv sein. Offen bleibt, ob Trump, der in seiner ersten Amtszeit möglichst abtreibungsfeindliche Richterinnen und Richter am Supreme Court platzierte, sein Versprechen aus dem Wahlkampf dann noch kümmert. (Manuel Escher, 19.3.2024)