Die Grüne Ewa Ernst-Dziedzic bei der Regenbogenparade auf dem Rathausplatz. Ernst-Dziedzic war neun Jahre lang Sprecherin der Grünen Andersrum, und sie behauptet, in dieser Funktion die Position der Grünen maßgeblich mitbestimmt zu haben.
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"Wir sind als Lobbygruppe immer schon sehr stark und sehr laut gewesen", sagt Ewa Ernst-Dziedzic, die neun Jahre lang Bundessprecherin der Grünen Andersrum war und diese Funktion vergangene Woche abgegeben hat. Die Grünen Andersrum sind eine Teilorganisation der Grünen wie die Frauen, die Jugend oder die Bundesländer und innerhalb der Parteistrukturen besonders einflussreich. Prominente Vertreter sind eben die Abgeordnete Ernst-Dziedzic, der Abgeordnete David Stögmüller, der Ernst-Dziedzic in dieser Position nachfolgen wird, Marco Schreuder, der jahrelang selbst Sprecher war, oder Peter Kraus, Co-Chef der Wiener Grünen, der auf Landesebene auch die Agenden der Grünen Andersrum wahrnimmt. Das Hauptanliegen der grünen Teilorganisation ist es, Anliegen der LGBTIQ+-Community sichtbar zu machen und Diskriminierung zu bekämpfen.

Gegründet wurden die Grünen Andersrum 1996 von Ulrike Lunacek, die als erste offen lesbisch lebende Frau im Nationalrat saß. David Stögmüller, der neue Sprecher, ist der erste offen schwule Mann, der für die Grünen im Nationalrat sitzt.

Wie viel Mitglieder bei den Grünen Andersrum gemeldet sind, lässt sich schwer sagen, da nur die Landesorganisationen Mitglieder haben, nicht aber die Bundesorganisation. Stögmüller schätzt, dass es "ein paar hundert sind, vielleicht tausend". Eine Mitgliedschaft bei den Grünen ist keine Voraussetzung. Vertreten sind die Grünen Andersrum übrigens nur in sechs Bundesländern: Niederösterreich, Kärnten und das Burgenland sind nicht dabei. Das wurmt Stögmüller – zumindest Niederösterreich müsste aufgrund seiner Größe doch auch zu einem queeren Bekenntnis in der Lage sein.

Gut vernetzt

Innerhalb der Grünen gelten die queeren Vertreter als sehr einflussreich und gut vernetzt. Peter Kraus, erster queerer Stadtrat in Wien, betont vor allem die Mobilisierungsfähigkeit und die Stärke beim Kampagnisieren als herausragende Eigenschaft der Teilorganisation. Kraus: "Es sind sehr relevante Themen und eine sehr relevante Zielgruppe. Es geht darum, Community-Themen in die Grünen hinein und grüne Themen in die Community zu tragen. Das funktioniert perfekt." Innerhalb der Partei seien die Grünen Andersrum "sehr einflussreich, weil auch sehr erfolgreich", sagt Kraus.

David Stögmüller, erster bekennender schwuler Nationalratsabgeordneter der Grünen, will queere Politik sichtbarer machen. Als Zielgruppe sei die Community für die Grünen sehr relevant.
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Jüngste Erfolge seien die Eheöffnung, Fortschritte im Familienrecht, die Öffnung beim Blutspenden und ganz allgemein die Sichtbarkeit queerer Menschen im politischen Betrieb. "LGBTIQ+-Politik heißt auch, für Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu sorgen“, sagt Kraus: "Nicht über Schwule reden, sondern mit Schwulen reden." Ernst-Dziedzic betont, dass man nicht nur für die LGBTIQ+-Community stehe, sondern die Themen Menschenrechte und Gleichstellung forciert in die Grünen hineingetragen habe. "Wir sind in der Positionsfindung der Grünen sehr präsent", sagt Ernst-Dziedzic. Abgesehen davon sei gerade diese Community eine für die Grünen sehr relevante Wählergruppe.

Sichtbarkeit von queeren Personen

Für Stögmüller geht es darum, die Rahmenbedingungen für queere Menschen weiter zu verbessern und deren Themen in die politische Landschaft zu tragen. Das sei enorm wichtig, denn immerhin gehörten 17 bis 18 Prozent der Bevölkerung zur queeren Community, verweist Stögmüller auf eine aktuelle Studie. Da sei eben die Sichtbarkeit von Politikerinnen und Politikern, die queer sind, ganz wichtig.

Er selbst komme vom Land, erzählt Stögmüller. Aufgewachsen sei er in Braunau in Oberösterreich, da sei das Leben als schwuler Jugendlicher noch einmal viel härter als etwa in Wien. Für ihn sei das damals wie eine Erlösung gewesen, als er als kleiner schwuler Bauernbub nach Wien gekommen sei. Bei den Grünen sei er genau richtig. "Das Eintreten für Menschenrechte, für Sozialpolitik und Minderheitenrechte gehört zur DNA der Grünen", sagt Stögmüller, "da sind die Grünen Andersrum ein ganz wesentlicher Teil davon." Und möglicherweise auch ein Vorbild für andere Parteien. Bei der SPÖ gibt es die SoHo (ehemals „Schwusos“) als Interessengruppe der sozialdemokratischen LGBTIQ-Community, FPÖ und ÖVP haben bis jetzt keine eigene Vorfeldorganisation, in der sich ihre queeren Mitglieder wiederfinden könnten. (Michael Völker, 21.3.2024)