Nachbildung von Oscar-Statuetten auf einem Tisch.
Unter anderem einen nachgemachten bekannten US-Filmpreis soll ein Unbescholtener eingesetzt haben, um seinen Vater anzugreifen, da er ihn für einen bedrohlichen Doppelgänger hielt.
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Wien – Es ist ziemlich außergewöhnlich, wenn man von der Vorsitzenden eines Geschworenengerichts aufgefordert wird, sie anzuschreien. Nicole Baczak macht das beim 49-jährigen Herrn P., der als Betroffener vor ihr sitzt. "Sie können ruhig ein bissl schreien, wir nehmen das nicht persönlich", erklärt sie dem psychisch Kranken, der laut Staatsanwältin im vergangenen Sommer versucht haben soll, seinen 79 Jahre alten Vater zu ermorden. Der Grund für die Erlaubnis zur Lautstärkenerhöhung: Im Verhandlungssaal 25 gehen P.s Worte immer wieder im Baulärm unter, der bei der laufenden Renovierung des Landesgerichts entsteht.

"Es ist ein wahnsinnig tragischer Fall", sagt die Anklägerin in ihrem Eröffnungsplädoyer. "Es geht nicht darum, Herrn P. zu bestrafen, sondern darum, ihm zu helfen!", appelliert sie an die Laienrichterinnen und -richter, sich für die von ihr geforderte strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum zu entscheiden. Schließlich sei der Arbeitslose "brandgefährlich", wie die psychiatrische Gutachterin Sigrun Roßmanith in ihrem Gutachten festgestellt habe.

Austausch durch "galvanische Mafia"

P. leide an einer schizo-affektiven Störung, das Besondere an seinem Fall sei aber das Vorhandensein des Capgras-Syndroms, auch "Doppelgängerwahn" genannt. Sobald er seine Medikamente absetzte, begann der 49-Jährige zu glauben, dass sein Vater durch ein Double ersetzt worden sei. "Ich dachte, die galvanische Mafia hat ihn ausgetauscht", berichtet er Vorsitzender Baczak vom 20. August 2023. "Wie haben Sie das gemerkt?", fragt Baczak nach. "Er hatte andere Muttermale, und die Narbe auf seinem Bauch hat anders ausgeschaut." Von einem Punkt ist der Betroffene aber überzeugt: "Ich habe kein Capgras-Syndrom, ich habe geglaubt, dass mein Vater noch unten ist und der Doppelgänger in der Wohnung."

Seiner Überzeugung nach wäre der Vater wieder aufgetaucht, wenn er den "Doppelgänger" überwältigt hätte. "Er ist in der Küche gesessen und hat Damenfußball geschaut. Dann habe ich blöderweise den Fleischhammer genommen", gibt P. zu. "Ich wollte ihn nur betäuben", versichert er aber dem Gericht. Mit dem Holzhammer schlug er dem Vater auf den Kopf, der dadurch eine Schädelprellung und eine stark blutende Rissquetschwunde erlitt. Dass er seinen Verwandten aber auch mit einer Schere einen mindestens fünf Zentimeter tiefen Stich in die linke Brustseite versetzte, bestreitet der Betroffene dagegen. "Es ist nachher eine Schere herumgelegen, aber ich habe sie nicht benutzt. Ich kann es mir nur erklären, dass er sich die Schere selbst hineingestochen hat", mutmaßt der 49-Jährige.

Platzwunden durch Oscar-Statue

Nachdem der Verletzte ins Freie flüchten konnte und Rettung sowie Polizei verständigt wurden, stellte sich im Zuge der Ermittlungen heraus, dass es nicht der erste Angriff gewesen ist. Am 21. Mai 2021 erlitt der Vater zwei Platzwunden, eine über der Augenbraue, die andere am Kopf, da P. ihn mit dem Steinsockel einer Oscar-Nachbildung geschlagen haben soll. Auch daran erinnert sich der Betroffene anders: "Ich habe ihm die Statue nachgeworfen", behauptet der unbescholtene Österreicher. Auch damals glaubte er, sein Vater sei ermordet worden und ein anderer hätte seinen Platz eingenommen.

Seit 2019 war der Betroffene teils monatelang in psychiatrischen Abteilungen untergebracht, manchmal zu Unrecht, wie er findet. "Ich war ein paar Mal unnötig dort", beschwert sich der Akademiker. "Man kommt relativ leicht wieder hin bei einer Polizeikontrolle auf der Straße", schildert er. Vorsitzende Baczak scrollt im elektronischen Akt herum und liest die Berichte von den Krankenhausaufenthalten vor. 2019 glaubte P., der Bundespräsident zu sein, ein anderes Mal rief er selbst die Polizei, da er glaubte, mit Strychnin vergiftet worden zu sein, wieder ein anderes Mal soll er versucht haben, die Führerscheine von uniformierten Polizisten zu kontrollieren.

Mutter soll vergiftet worden sein

"Haben Sie eine psychische Erkrankung?", fragt die Vorsitzende ihn. Er überlegt kurz, dann sagt er: "Es kann sein, dass ich eine affektive Störung habe. Seit etwa fünf Jahren", bleibt P. vorsichtig. Der Tod der Mutter im Jahr 2017 scheint ihn endgültig aus der Bahn geworfen zu haben. "Woran starb sie?", wird der Betroffene vom Privatbeteiligtenvertreter gefragt. "Offiziell ist sie an Darmkrebs gestorben. Ich bin der Meinung, dass sie vergiftet worden ist", antwortet P. darauf. "Von wem?", interessiert Baczak. "Von den Leuten in dem Lokal im 12. Bezirk. Dem Altwiener Hof", äußert P. seinen Verdacht.

An sich liebe er seinen Vater, die beiden wohnten auch zusammen in Wien-Meidling. Warum er ihn dann im vergangenen Sommer angegriffen hat? "Ich hatte große Angst, dass der Doppelgänger mir etwas antut!", verrät der Betroffene. Sein Vater bestätigt als Zeuge das gute Verhältnis: "Wir kommen sehr gut aus miteinand. Wir haben ein herrliches Verhältnis, solange er seine Medikamente nimmt", berichtet der 79-Jährige.

Der Pensionist versucht auch, seinen Sohn in Schutz zu nehmen. "Ich glaube, dass ich mich mit der Schere selbst verletzt habe", erklärt er. "Nachdem ich von hinten einen Schlag auf den Kopf bekommen habe, bin ich aufgestanden und habe sie in die Hand genommen. Dann habe ich ihn weggestoßen, vielleicht ist es dabei passiert", vermutet er. Wie sich herausstellt, kann seine Erinnerung aber kaum stimmen, da er von einem zehn bis zwölf Zentimeter langen Werkzeug spricht, sein Blut aber auf einer über 20 Zentimeter langen sehr spitzen Schere gefunden wurde. Warum im Anamnesebericht des AKH auch vermerkt ist, dass er von einer kurzen Bewusstlosigkeit und Amnesie berichtet hat, kann sich der 79-Jährige nicht erklären. Er glaubt, über eine durchgängige Erinnerung an den Vorfall zu verfügen.

Vater will nie Angst gehabt haben

Trotz zweier Gewalterfahrungen betont der Zeuge auf Nachfrage der Vorsitzenden: "Ich habe nie Angst vor ihm gehabt. Er tut mir ja nie was", teilt er dem Gericht mit. "Gut schaust aus!", sagt der Zeuge dann zu seinem Sohn. "Sieben Monate habe ich dich nicht gesehen." – "Lange, zu lange", antwortet der Betroffene. "Mir war fad zhaus", wird offenbar, dass der Vater den Sohn vermisst. "Nach Ägypten bin ich gfahren", berichtet er P. über die jüngsten Neuigkeiten. Gegenüber dem Gericht gibt der Vater auch an, der 1,95 Meter große Sohn habe den Holzhammer "nicht mit voller Wucht" geschwungen. Das Opfer glaubt daher nicht an einen Mordversuch.

Die psychiatrische Sachverständige Roßmanith kommt in ihrer Expertise zum Schluss, dass P. eine "anhaltend fehlende Krankheitseinsicht" aufweise, das Doppelgängersyndrom aber zu einem der gefährlichsten Phänomene der Psychiatrie gehöre. Unbehandelt haben Patienten ein vier- bis achtfach höheres Risiko als die Durchschnittsbevölkerung, eine schwere Gewalttat zu begehen, bei Tötungsdelikten sei die Gefahr sogar zehnmal höher. Die Gutachterin sieht auch ein Versagen der Psychiatrie, da Patienten wie P. längerfristig aufgenommen werden müssten, die Betroffenen aber oft wieder aus dem Spital heimgeschickt werden, wenn sie keine akute Fremd- oder Selbstgefährdung mehr aufweisen. "Die Angehörigen bleiben leider über", konstatiert sie und warnt vor einer Gefahr: "Die Angehörigen haben aus Liebe eine falsche Risikoeinschätzung", ist sie überzeugt. P. sei zu den Tatzeitpunkten jedenfalls zurechnungsunfähig gewesen, auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung liegen für Roßmanith vor.

Betroffener sieht sich als nicht gefährlich

Der Verteidiger des Betroffenen wünscht sich in seinem Schlussplädoyer von den Geschworenen dennoch, dass sie nur eine bedingte Einweisung aussprechen sollen. Sein Mandant sei bereit, in ein betreutes Zentrum zu gehen und eine ambulante Therapie zu machen. Auch an einen Mordversuch glaubt der Rechtsvertreter nicht: P. habe dafür der Vorsatz gefehlt, meint er. Der Betroffene selbst sagt in seinem Schlusswort, er sei nicht so schwer krank, wie Roßmanith gesagt habe, und sei auch nicht gefährlich. "Ich wollte meinen Vater nicht verletzen und erst recht nicht töten!", beteuert er.

Die Geschworenen glauben ihm das tatsächlich. Sie sehen einstimmig eine schwere Körperverletzung und statt des angeklagten Mordversuchs lediglich eine absichtliche schwere Körperverletzung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit. Als Konsequenz wird seine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum verfügt. "Wann kommt man dann wieder raus aus dem Zentrum?", will der Betroffene von der Vorsitzenden wissen. "Meiner Erfahrung nach durchschnittlich nach drei Jahren, vielleicht geht es bei Ihnen auch schneller", macht Baczak ihm Mut.

Während P. sich mit seinem Verteidiger vor dem Saal berät, ob man die Entscheidung akzeptieren soll, bedankt sich der im Zuseherraum verbliebene Vater beim Gericht. "Danke für die Verhandlung, ich war noch nie bei sowas", erklärt er. Mit der Entscheidung ist er einverstanden: "Hauptsache, es passiert etwas mit ihm", ist er froh, dass sein Sohn nun behandelt wird und er nicht mehr die volle Verantwortung trägt. "Es war schon erholsam die sieben Monate", gibt er noch zu. Als der Betroffene zurück in den Saal kommt, gibt sein Verteidiger bekannt, dass man sich drei Tage Bedenkzeit nehmen werde, die Staatsanwältin gibt einen Rechtsmittelverzicht ab, das Urteil ist nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.3.2024)