Jetzt wissen wir es also. Der französische Präsident boxt. Es ist in allen Kanälen, analog und online. Schwarz-Weiß-Bilder in Rocky-Balboa-Ästhetik.

Boxen Frankreich Macron Präsident
Emmanuel Macron ließ sich beim Boxen fotografieren.
Foto: Soazig de la Moissonniere/Presidence de la Republique

Man kann das natürlich als völlig irrelevantes Thema abtun, das in einer bildersatten Medienwelt für kurzzeitige Erregung sorgt, aber ansonsten keine tiefere Bedeutung hat. Doch diese Position unterschätzt die Wirkung von Körperbildern als Mittel der politischen Kommunikation. Allein dass die Fotos so breit rezipiert werden, dass sie so widersprüchliche Reaktionen auslösen, zeigt, dass sie eine weitreichende Bedeutung haben. Das war sicher auch das wichtigste Kalkül der Kommunikationsberater des französischen Präsidenten, und das ist aufgegangen. Emmanuel Macron und sein Körper haben die Aufmerksamkeit.

Die Reaktionen sind nicht nur stark und emotional, sie sind auch widersprüchlich. Sie variieren zwischen obszöner Inszenierung eines populistischen Virilismus bis Bewunderung für den mächtigen Macron'schen Bizeps. Die politische Wirkung wird aber von Beobachtern mitunter als desaströs eingeschätzt. Macron habe sich mit seiner Selbstdarstellung nicht zum ersten Mal selbst k. o. gesetzt, immer wieder komme ihm seine "narzisstisch-allmächtige Persönlichkeit in die Quere", meint etwa der Frankreich-Korrespondent des STANDARD, Stefan Brändle.

Der slim-fitte Politiker

Macron und seine politischen Berater folgen jedoch einem ganz einfachen Prinzip, nämlich dass Körper und Bewegungen immer etwas bedeuten. Körper können nicht nicht kommunizieren. Sie senden permanent Botschaften, Werte, Haltungen, Geschichten und Emotionen aus. Die Bilder von Körpern von Politikerinnen und Politikern bilden dieselben nicht nur ab, sondern sie kommunizieren Inhalte. Der slim-fitte österreichische Kanzler Sebastian Kurz wusste das genauso wie der "Medienkanzler" Bruno Kreisky, der sich in den 1970er-Jahren gerne beim populären Skifahren in Lech am Arlberg zeigte.

"Schon Karl der Große setzte das Schwimmen als Element seiner politischen Ikonologie ein."

Aber noch weitaus mächtigere Führer setzten ihre Körper zur politischen Kommunikation ein. Sofort tauchen die Bilder des mit nacktem Oberkörper posierenden Wladimir Putins auf. Aber auch Mao Tse-Tung stellte in schon fortgeschrittenem Alter in öffentlich inszenierten Schwimmaktionen, in denen er den Yangtse durchquerte, sein körperliches Potenzial vor den Augen von Millionen Menschen unter Beweis und demonstrierte damit seine Eignung zum politischen Führer. Es war dies kurz vor Beginn der Kulturrevolution. Wo diese hinführte, wissen wir. Der deutsche Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat darauf hingewiesen, dass auch schon Karl der Große das Schwimmen als Element seiner politischen Ikonologie einsetzte.

Legendär sind auch die inszenierten Sportfotos von Benito Mussolini mit bloßem Oberkörper am Strand oder beim Skifahren. Viele US-amerikanische Präsidenten demonstrierten ihre Sportlichkeit beim Laufen. Jimmy Carter etwa war ein legendärer Läufer, bis er im September 1979 beim Joggen einen Schwächeanfall erlitt, die Fotos des taumelnden Präsidenten von den Bildagenturen um die Welt gejagt wurden und in den USA eine Führungsdiskussion entfachten. Wie bedeutend die Körper, deren Alter, Gesundheit oder Geschlecht sind, zeigen eindrucksvoll die aktuellen Diskussionen um den Fitnessgrad der US-Präsidentschaftskandidaten. Donald Trumps öffentliche Golfaktionen werden ihm da auch nur bedingt weiterhelfen. Oder erinnern wir uns an die Zitterattacken der früheren deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die zu wilden Spekulationen führten.

Rastloses Symbol

Macron ist nicht der erste französische Präsident, der dahingehend analysiert wird. Der französische Soziologe und Historiker Georges Vigarello hat in seinem berühmten Aufsatz "Die Welt, in der man läuft" den joggenden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy als rastloses allgegenwärtiges Symbol von Effizienz und Geschwindigkeit beschrieben. In den Zeiten von Sarkozy, Carter oder Bill Clinton genügte es Politikern offensichtlich noch, gemütlich zu joggen.

Die Tatsache, dass sie sich nun als zähnefletschende Boxer ablichten lassen, bedeutet vermutlich nichts Gutes. Dass der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, der in seiner Freizeit ebenfalls boxt, (bisher zumindest) keine Fotos davon verbreitet, mag ein schwacher Trost sein, aber immerhin. (Rudolf Müllner, 25.3.2024)