Kaja Kallas spricht, Kameras sind auf sie gerichtet, im Hintergrund EU-Flaggen
Estlands Premierministerin Kaja Kallas sprach sich beim EU-Gipfel in Brüssel für ein gemeinsames Ziel bei den Militärhilfen für die Ukraine aus. Jedes Land solle mindestens 0,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stellen.
Foto: APA / AFP / John Thys

Die üblichen Fernsehreportagen von der Eröffnung des Gipfeltreffens der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel fielen zeitlich mit den Berichten über die vernichtenden russischen Bomben-, Drohnen- und Raketenangriffe auf die Energieversorgung der Ukraine zusammen. Das Gruppenbild mit lächelnden oder freundlich nickenden Politikern bildete den bizarren Hintergrund zu den gleichzeitig ausgestrahlten Berichten über die Todesopfer und die zerstörten Gebäude und Anlagen in der Ukraine. Es ist mehr als verständlich, dass sich Präsident Wolodymyr Selenskyj immer offener über die unzureichende westliche Unterstützung für die Luftabwehr beschwert.

Zu zögernd, zu wenig und zu spät kommt die lebenswichtige Rüstungshilfe für die Ukraine im dritten Jahr des von Wladimir Putin entfesselten Angriffskriegs. Russland hat laut westlichen Schätzungen 300.000 bis 350.000 tote oder schwer verwundete Soldaten und zwei Drittel der Bestände an Panzern verloren. Aber Putins Diktatur erstickt jeden Widerstand im Keim, und die Rüstungsausgaben betragen bereits ein Drittel des Budgets. Mit massiven Lieferungen von Drohnen und Raketen aus dem Iran und Nordkorea verstärkt, gewinnt Russland im Stellungskrieg langsam an Boden. Für die heldenhaft kämpfenden ukrainischen Soldaten dürften die wortreichen Sympathieerklärungen und vagen Versprechungen aus Brüssel als Wortspenden von fast unerträglicher Heuchelei klingen.

Winzige Quote

Ist das eine journalistische Übertreibung? Keineswegs! Ein Beispiel: Im März 2023 beschlossen die EU-Verteidigungsminister, der Ukraine eine Million Stück Artilleriegranaten des Kalibers 155 Millimeter zu liefern. Das Beharren des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron auf Lieferungen nur aus EU-Beständen war der Grund dafür, dass bisher nicht einmal die Hälfte der versprochenen Menge angeschafft werden konnte. Die tschechische Regierung hat vor einigen Wochen die größeren EU-Partner beschämt: Auf Initiative des Präsidenten Petr Pavel, eines ehemaligen Nato-Generals, gelang es ihr durch weltweite Kontakte, 800.000 Granaten zu kaufen.

Die baltischen Staaten, geführt von Estland, sind in Pro-Kopf-Leistungen gerechnet die mit Abstand stärksten Waffenlieferanten für die Ukraine. Die 1,3 Millionen Esten, mit einem Anteil von 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Ukraine-Hilfe, sind die absolute Spitze in der EU. Der Vorschlag der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas, dass jedes Mitgliedsland mindestens 0,25 Prozent seines BIP für Militärhilfe verwenden sollte, bleibt ein Traum. Derzeit spendet Deutschland 0,6 Prozent. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien weisen eine im Vergleich winzige Quote von 0,07 Prozent laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft auf.

Halbherziger Kurs

Deutschland ist der stärkste Unterstützer der Ukraine in der EU. Aber Bundeskanzler Olaf Scholz distanziert sich nicht von dem über das "Einfrieren" des Krieges schwätzenden SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Scholz' halbherziger Kurs wird von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Putins treuestem Freund in Deutschland, öffentlich gelobt. Es fehlt in der EU also nicht nur an Waffen und Geld, sondern vor allem an politischer Führung. (Paul Lendvai, 25.3.2024)