An einer Türklinke hängt ein Schild mit der Aufschrift:
Bei der Einvernahme der jungen Zeugin wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
APA / HARALD SCHNEIDER

Wien – "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären", lässt Friedrich von Schiller in seinem "Wallenstein" eine Figur von sich geben, und mitunter kann man sich vor einem Strafgericht des Eindrucks nicht erwehren, dass der deutsche Dichter schon viel über soziale Prägungen und Erziehungstheorie wusste. Der Gedanke kommt einem zumindest beim Verfahren gegen den 16 Jahre alten Herrn M., der sich vor Richterin Martina Hahn wegen Körperverletzung, Nötigung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung verantworten muss.

Der Unbescholtene soll am Jahreswechsel seine ein halbes Jahr jüngere Freundin innerhalb von fünf Wochen geschlagen, bedroht und zwei Mal mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt haben, obwohl sie "Nein" gesagt hat, wirft ihm der Staatsanwaltschaft vor. Der in Wien geborene Serbe gibt nur die Körperverletzung zu: Bei einem Streit habe er dem Mädchen mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, wonach ihre Lippe blutete, und einen Faustschlag in den Bauch versetzt.

"Dann erzählen Sie einmal: Woher kennen Sie die Frau, wie sind Sie mit ihr zusammengekommen?", fordert die Richterin den Schulabbrecher, der derzeit einen Kurs besucht, auf, die Beziehungsgenese zu schildern. Die Antwort ist die übliche von Angehörigen der Generation Z: "Wir haben uns im Sommer 2022 durch Social Media kennengelernt", erklärt der Angeklagte. Im September 2022 kam man nach einigen Treffen dann zusammen, im Sommer 2023 wurde man erstmals intim, eineinviertel Jahre lang sei die Beziehung recht problemlos gewesen.

"Habe keinen anderen Ausweg gesehen"

"Ab Dezember gab es aber offenbar doch gröbere Streitigkeiten", leitet Hahn auf die angeklagten Vorfälle über. Zur Körperverletzung sagt der ruhig wirkende 16-Jährige mit gesenktem Kopf: "Ja, das stimmt." Eine Auseinandersetzung aus nichtigem Anlass sei von beiden Seiten eskaliert worden. "Ich habe mich schon unter Kontrolle, aber ich hab keinen anderen Ausweg gesehen", sagt er. Ganz genau könne er sich an den Ablauf nicht mehr erinnern, er sei jedenfalls ins Bett gegangen, um sich Tiktok-Videos zu Gemüte zu führen, danach habe sich das Paar ausgesprochen, ist M. überzeugt. "Sie hat mir verziehen."

Warum sie ihn dennoch bezichtigt, danach zwei Mal mit ihr geschlafen zu haben, obwohl sie das nicht wollte, kann er sich nicht erklären. Beim ersten Mal sei der Geschlechtsverkehr bereits einen Tag vorher vereinbart worden, er habe seine Freundin von der Schule abgeholt und man sei zu ihm gegangen. "Wir haben erst geplaudert", erzählt er. "Über den Sex?", fragt die Richterin nach. "Nein, über ihre Familie." Die beiden Mütter würden nämlich im Clinch liegen. Nachdem das Mädchen öfter später als vereinbart heimgekommen sei, habe es aufgeheizte Telefonate gegeben. Zu einem Streit sei es deshalb nicht gekommen, danach habe man "im Bett Netflix geschaut, dann ist es einfach passiert", behauptet der Angeklagte zu diesem Punkt.

Im zweiten Fall habe seine Freundin zunächst gesagt, sie menstruiere und wolle keinen Sex, worauf er wieder Tiktok konsumiert habe. Das wiederum verärgerte seiner Darstellung nach sie, es kam zu einer Szene, nach zwei Stunden Gespräch habe man sich wieder versöhnt, und sie wollte doch intim werden. Sie habe nie "Nein" gesagt oder ihm sonst irgendwie zu verstehen gegeben, dass sie nicht wollen würde, beteuert der Angeklagte.

"Halt dich fern von meiner Tochter"

Am Abend habe er noch mit ihr telefoniert, es sei wieder um die Familien gegangen, er habe dann frustriert aufgelegt, um die Angelegenheit am nächsten Tag zu bereden. Zu seiner Überraschung hatte sie ihn da bereits auf allen Kanälen blockiert, als er schließlich ihre Mutter anrief, habe diese gedroht: "Halt dich fern von meiner Tochter, sonst hetz ich Leute auf dich!", behauptet der 16-Jährige, dessen gesetzlicher Vertreter die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist. Dass er die Ex oder ihre Familie dann zwischen 1. und 11. Jänner bedroht haben soll, bestreitet M., er sei von dem von der Polizei ausgesprochenen Betretungsverbot überrascht gewesen.

Wie bereits in der Woche zuvor muss Richterin Hahn den Saal wechseln, da der Baulärm durch die Renovierung des "Grauen Hauses" ein Gespräch in zivilisierter Lautstärke unmöglich macht. Privatbeteiligtenvertreter Franz Paul beantragt im neuen Verhandlungsraum dann den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Vernehmung der 15-Jährigen, außerdem muss der Angeklagte in einem Nebenraum warten, damit ihn seine Ex-Partnerin nicht sehen muss. Nach fast einer Stunde kommt die Zeugin völlig aufgelöst und verstört aus dem Saal, Paul fordert für die psychischen Folgen der angeklagten Taten 3.000 Euro Schmerzensgeld.

Als Zuseherinnen und Zuseher wieder teilnehmen dürfen, wird dem Angeklagten noch eine ergänzende Frage gestellt: Ob er nämlich seiner Ex am 9. Jänner das Bild einer Faustfeuerwaffe geschickt habe? "Ja. Ich hatte die CO2-Pistole von einem Freund, der weggefahren ist, und sollte darauf aufpassen. Da habe ich sie fotografiert und vielen Leuten geschickt. Ich wollte einen auf Draufgänger machen, aber niemanden bedrohen", argumentiert er.

Angeklagter seit Jahren fremduntergebracht

Warum M. möglicherweise Probleme bei sozialen Interaktionen hat, lässt sich dann aus dem Bericht der Jugendgerichtshilfe erahnen. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er zwei Jahre alt war. Der neue Lebensgefährte seiner psychisch kranken Mutter schlug diese, weshalb er und seine Geschwister in der Obhut des Jugendamtes sind, seit er sieben Jahre alt ist. Vier Jahre lang absolvierte er eine Psychotherapie, da er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden soll. Dass er die Schule abgebrochen habe, bereue er mittlerweile, das lässt sich in den Jugenderhebungen finden. Ebenso ist vermerkt, dass er einer alten Dame, die er bestohlen hat, bei einer Kursentschädigung in Höhe von 460 Euro monatlich 50 Euro zurückzahlen muss. Eine weitere Psychotherapie wird ebenso wie Bewährungshilfe empfohlen, der Teenager ist mit beidem einverstanden.

Verteidigerin Anita Schattner verweist in ihrem Schlussplädoyer auf zahlreiche Widersprüche in der Aussage der jungen Zeugin, man wisse daher nicht, was genau passiert sei. Aus der Passage, dass die 15-Jährige "es über sich ergehen ließ", schließt die Rechtvertreterin, dass ihr Mandant subjektiv gar nicht wissen konnte, dass seine Freundin keinen Sex wollte. Schattner regt daher eine Diversion für die zugestandene Körperverletzung an, andernfalls ersucht sie um ein mildes Urteil – das M. rechtskräftig bekommt: Für die Körperverletzung und die Drohung durch das Pistolenbild verurteilt Hahn ihn zu sechs Wochen bedingter Haft, zusätzlich wird Bewährungshilfe und eine Psychotherapie angeordnet.

"Man kann nur verurteilen, wenn keinerlei Zweifel besteht", begründet die Richterin ihre Entscheidung. Die Zeugin habe bei ihren Aussagen sehr geschwankt, habe aber betont, dass beim massivsten angeklagten Delikt, der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, keine Gewalt angewendet worden sei. Es sei also zugunsten des Angeklagten zu entscheiden gewesen. (Michael Möseneder, 3.4.2024)