Vampire Weekend sind und bleiben Nerds, aber ganz deppert sind sie nicht.
Vampire Weekend sind und bleiben Nerds, aber ganz deppert sind sie nicht.
Michael Schmelling

Der Name des Albums hat etwas von einem religiösen Erweckungserlebnis: Only God Was Above Us. Da riecht es fast nach Weih und Rauch. Tatsächlich ist der Titel einem Foto entnommen, das jemanden zeigt, der in der New Yorker U-Bahn die Daily News liest. Auf der Vorderseite der Zeitung steht der Satz als Headline: Nur Gott war über uns. Es ist das Zitat eines Passagiers, der in einem Flugzeug nach Hawaii saß, als sich Teile des Dachs des Fliegers lösten und vertschüssten. Das war 1988.

In Hinsicht auf die Band Vampire Weekend ist das als Wink zu deuten. Die ursprünglich aus New York stammende Band tauchte in den Nullerjahren auf und erinnerte mit ihrer zappeligen Mischung aus New Wave und afrikanischer Popmusik an die Pionierarbeit der Talking Heads. Und ein wenig an die Feelies.

Elitär, weiß, mucho dinero

Wie diese Altvorderen waren Vampire Weekend schlaue Typen, anders als die Heads mussten sie nichts selber erfinden, sondern erwiesen sich als sympathische Schnösel, die pophistorisch nicht unbeleckt waren. Die Schnösel-Zuschreibung holten sie sich bereitwillig selbst ab, indem sie sich einer Ästhetik bedienten, wie sie mit noblen Universitäten der US-amerikanischen Ostküste in Zusammenhang gebracht wird, der sogenannten Ivy-League: elitär, weiß, mucho dinero.

Vampire Weekend – Classical (Official Video)
Vampire Weekend

In dem Zusammenhang gab es den einzigen überlieferten "Skandal" der Bandgeschichte, weil jene Frau die Bildrechte eingeklagt hatte, die das Cover des zweiten Albums der Band zierte: Contra hieß das Werk, und das Cover zeigte eine blonde junge Dame, brav frisiert und aufgeräumt im Ralph-Lauren-Polo. Das Polaroid des Models aus den 1980ern hatte die Band im Netz gefunden. Am Ende verständigte man sich außergerichtlich.

Anders als andere Gruppen, die sich damals bei der New und No Wave bedienten, erweisen sich Vampire Weekend als langlebig, wenngleich das neue Album erst ihr fünftes in 18 Jahren ist. Bereits das 2019 veröffentlichte Father of the Bride zeigte die Verschleißspuren von erwachsener werdenden Leuten. Heute, mit 40, sind Ezra Koenig und seine Mitstreiter Kandidaten für eine sich am Horizont abzeichnende Midlifecrisis. Vaterschaft, Zukunftsängste und Sinnfragen – all das ließ sich schon 2019 nicht mehr wegtanzen.

Man kann sich vom Ungemach des Daseins in einer unperfekten Welt natürlich den Tag verderben lassen, jeden Tag sogar, doch wem nützt das? Also nähern sich Vampire Weekend, mittlerweile nach Kalifornien übersiedelt, dem Leben auf eher befürwortende Weise. Gleichzeitig wird der musikalische Horizont größer.

Ein Song wie Classical zeigt gar eine Öffnung hin zum Jazz, wenngleich daraus kein slicker Yachtrock wird. Steely Dan sind Vampire Weekend keine, selbst die lässige Attitüde in Songs wie dem der neuen Heimat geschuldeten The Surfer wirkt wie von langer Hand vorbereitet, aus allen Perspektiven betrachtet und ausgedacht. Genieverdacht kommt da keiner auf.

Taugliches Trägermedium

Doch der feingliedrige, von Gitarren getriebene Rock taugt immer noch als Trägermedium, Kunstgriffe aus der Trickkiste – die Auslassung oder der Überfrachtung – sorgen für Abwechslung. Wobei: Die Schultern der Vampire sind schmal, weshalb die Überfrachtung nie wirklich eine solche wird. Lieber bleibt man beweglich – selbst wenn Bläser eingesetzt werden, wird daraus kein Bombast, sondern es wirkt, als würde ein Komet vorbeirauschen. Oder ein Betrunkener im Cabrio den Mullholland Drive rauf.

Vampire Weekend - Hope (Official Visualizer)
VampireWeekendVEVO

Die Balance aus edler Anmutung, herrlichen Melodien, konterkariert von Zweifeln und einer hart erarbeiteten Gelassenheit, ergibt einen besonderen Charme. Zumal Koenig und Co keine abgebrühten Auskenner sein wollen. So weit haben selbst zehn Millionen verkaufte Alben die Egos der Band nicht gebracht. Lieber singen sie verschrobene Lieder über Galeristinnen, als irgendwem Tipps zu geben. Wobei, das stimmt nicht ganz. Am Ende lehnen sie sich doch raus und singen im Lied Hope darüber, dass sie hoffen, jemand möge sich für das Richtige entscheiden. In dem Fall heißt es "I hope you let it go".

Ein schönes Stück Musik, fast acht Minuten lang, mit einer Botschaft, die um mehr Gelassenheit wirbt. Eine Haltung, die seltener wird, weil sich jede und jeder über jeden Schas aufregt. Was dabei übersehen wird: Die Zahl der Schase wird deshalb nicht weniger, nur der Umgang damit immer bescheuerter. Tja. So ist das mit den Nerds. Sie mögen seltsame Figuren sein, aber ganz deppert sind sie nicht. (Karl Fluch, 9.4.2024)