Kind in Schulbibliothek
Angebot in einer Schulbibliothek: Nicht alle Kinder profitieren in gleichem Maße von den Segnungen des Bildungssystems.
IMAGO/Zoonar.com/Przemek Klos

Niemand kann behaupten, man habe es nicht gewusst: Wieder und wieder lässt sich aus Studien herauslesen, dass ein Schulerfolg in Österreich maßgeblich vom Wohlstand der Eltern abhängt. Auch beim jüngsten von der OECD durchgeführten Pisa-Test schnitten Schülerinnen und Schüler aus gutem Haus deutlich besser ab als sozial schlechter situierte Altersgenossen. Weil Letztere weiter abgefallen sind, hat sich die Kluft in Lesen und Naturwissenschaft im Vergleich zu 2018 sogar noch deutlich vergrößert.

Die Folgen sind bitter. Mit 20 Prozent ist die Arbeitslosenquote bei jenen Menschen mit Abstand am höchsten, die nicht mehr als einen Pflichtschulabschluss vorweisen können. Wem es an Bildung mangelt, ist häufiger krank und arm – was sich wieder auf die schulischen Chancen der eigenen Kinder niederschlägt. Und so weiter.

Wie diesen Teufelskreis durchbrechen? Manches, was Fachleute empfehlen, scheiterte bislang am ideologischen Patt in der Bildungspolitik. So sträubt sich die ÖVP, seit 1987 in jeder Koalitionsregierung vertreten, gegen die Einführung einer für alle verpflichtenden Ganztagsschule. Doch die Armutskonferenz propagiert vor ihrer Tagung am 15. bis 17. April in Salzburg nun ein Modell, das weniger Ablehnungsreflexe auslösen sollte: Ein "Chancenindex" soll jenen Schulen mehr Möglichkeiten bieten, die diese am dringendsten brauchten.

Kein Geld für Nachhilfe

Es heiße, die Schule sei hierzulande gratis, sagt Martin Schenk, doch das sei ein Irrtum. Der Sprecher der Armutskonferenz zitiert die Schulkostenstudie des einstigen Sora-Instituts von 2021: Von Heften, Handarbeitszeug und Malfarben bis zu Kopierkosten, Milchgeld und Wandertage beliefen sich die Ausgaben der Eltern pro Kind und Jahr in der Volksschule auf 1.400 Euro. In der Oberstufe waren es 1.690 Euro.

Da bleibt vielen nicht mehr genug Spielraum, um den Sprösslingen beim Lernen unter die Arme greifen zu lassen. In 40 Prozent aller Fälle, in denen sich Eltern Nachhilfe für ihre Kinder gewünscht haben, ist der Plan im Jahr 2022 an den finanziellen Möglichkeiten gescheitert – das betrifft 195.000 Schülerinnen und Schüler. Ob die Väter und Mütter selbst einspringen können, hängt dann wieder vom eigenen Bildungsniveau ab. Fast die Hälfte der Pflichtschulabgänger findet es schwierig, beim Lernen zu helfen. Unter den Akademikern sind es nur elf Prozent.

Regierung kleckert

Da kommt der Chancenindex ins Spiel. An sämtlichen Schulen sollen Einkommen und Bildungsniveau der Eltern erfasst werden. Je schwieriger die Lage, desto mehr Geld habe in der Folge zu fließen – etwa um einen besseren Förderunterricht zu finanzieren. 17 Prozent der Pflichtschulen hätten hohen und sehr hohen Bedarf, kalkuliert die Armutskonferenz unter Berufung auf die Statistik Austria. Das sind rund 1.100 Standorte.

Der Bundesregierung ist die Idee nicht fremd, sie findet sich im gemeinsamen Koalitionspakt. Allerdings legen ÖVP und Grüne ihr "Pilotprojekt" deutlich bescheidener an. Lediglich 100 Schulen sind umfasst – viel zu wenige, wie Schenk meint. Aus Städten wie London, Toronto und Berlin wisse man, wie ein derartiges System funktionieren könne: "Wir brauchen keine Pilotprojekte mehr. Man soll das endlich machen."

Damit andere Schulen nicht kürzertreten müssen, werde es 200 bis 300 Millionen zusätzlich brauchen, rechnet Schenk vor. Die begünstigten Standorte müssten aber schon schlüssige Konzepte entwickeln, ehe Geld überwiesen wird.

Im Kampf gegen Tiktok

Einen weiteren Schlüssel sehen die Aktivisten im Ausbau der Kinderbetreuung – auch abseits der klassischen, institutionellen Kinderkrippen und Kindergärten, auf die sich die Regierung aktuell stark konzentriert. Gerade alleinstehende Mütter – so der Regelfall – bräuchten mehr Unterstützung, um den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu schaffen, sagt Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende: beispielsweise Abhol- oder Bringdienste oder Betreuung an Wochenenden, für Nachtdienste und den Fall, dass kleine Kinder einfach nicht auf Anhieb 40 Stunden die Woche in der für sie stressigen Krippe durchhalten. Andernfalls wird ein Vollzeitjob schwierig – womit die Gefahr von Geldsorgen steigt.

Für entscheidend halten die Armutsbekämpfer überdies gute Bildung in Sachen Finanz- und Wirtschaftskompetenz an den Schulen. Herbert Pichler, Lehrer und Fachdidaktiker für Geografie und wirtschaftliche Bildung an der Uni Wien, sieht Österreich mit dem neuen Unterstufenlehrplan grundsätzlich auf einem guten Weg, warnt aber vor den Plänen von Minister Martin Polaschek zur Verkürzung des Lehramtsstudiums: Dass künftig weniger Schulpraxis, Didaktik und Pädagogik vorgesehen sei, diene der Sache nicht.

Man habe gegen einen schier übermächtigen Gegner anzutreten, merkt Pichler an. Während die Schulen ein bis zwei Stunden Unterricht pro Woche bieten könnten, um dem Tappen in die Schuldenfalle vorzubeugen, seien Jugendliche bis zu zehn Stunden täglich in den sozialen Medien unterwegs – und bekämen auf Tiktok in zehn Sekunden erklärt, wie man mit Pyramidenspielen reich werde: "Da sind wir ein bissl auf der verlorenen Seite." (Gerald John, 3.4.2024)