Gefängnisse seien "der denkbar schlechteste Ort für Kinder", erklären Expertinnen und Experten. Das Strafrecht sei kein geeignetes Instrument, um auf Delikte zu reagieren, die unter 14-Jährige begangen haben.
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Wien – Das Netzwerk Kriminalpolitik, dem die Richtervereinigung, der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, der Bewährungshilfeverein Neustart, die Verbrechensopferhilfe Weißer Ring und namhafte Strafrechtlerinnen und Strafrechtler angehören, spricht sich gegen eine Senkung der Strafmündigkeit aus, die von der ÖVP gefordert wird. Die seit 1929 bestehende Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren hat sich für die Expertinnen und Experten bewährt.

"Das Strafrecht mit seinen auf Bestrafung orientierten Mitteln ist kein geeignetes Instrument, um auf Delikte zu reagieren, die unter 14-Jährige begangen haben", stellte das Gremium am Mittwoch in einer Erklärung klar. Das Strafverfahren sei ein formales Verfahren, in dem es um den Nachweis der Schuld geht: "Die Suche nach Sanktionsalternativen ist nicht das primäre Verfahrensziel. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat und der Lebenssituation von Kindern kann im Strafverfahren nicht geleistet werden." Genau das brauche es aber.

Ruf nach Härte

Gefängnisse halten die Expertinnen und Experten für "den denkbar schlechtesten Ort für Kinder". Diese Reaktion auf Devianz müsse für Kinder weiter ausgeschlossen bleiben, auch wenn besonders Aufsehen erregende Straftaten wie zuletzt der mutmaßliche Missbrauch einer Zwölfjährigen in Wien-Favoriten durch eine Gruppe von teils noch strafunmündigen Kindern und Jugendlichen Rufe nach Härte und Durchgreifen befördern. "Eine vernünftige Strafrechtspolitik analysiert jedoch sorgfältig nationale und internationale Entwicklungen und stützt Reformen auf Evidenzbasierung sowie wissenschaftliche und fachliche Expertisen", halten dem die mit der Materie vertrauten Institutionen entgegen.

Für das Netzwerk Kriminalpolitik gibt es keine belegbaren Nachweise, dass das Androhen von Haftstrafen generalpräventiv wirken und Kinder abschrecken könnte. Im Gegenteil, Kinder würden mögliche Konsequenzen ihrer Handlungen viel weniger als Erwachsene berücksichtigen: "Dementsprechend weisen kriminologische Studien auch nach, dass ein Absenken der Strafmündigkeit nicht zu einer Abnahme von Delikten junger Menschen führt." Zielführender sei stattdessen ein bundesweit einheitlicher Katalog an wirksamen Maßnahmen im Bereich der Jugendhilfe und des Zivilrechts für die Altersgruppe der Zehn- bis 13-Jährigen, insbesondere bei den Zwölf- und 13-Jährigen, den das Gremium unter Einbindung aller Bundesländer fordert.

Erzieherischer Ansatz

Das Netzwerk Kriminalpolitik weist darauf hin, dass die Grenze zur Strafmündigkeit in den meisten EU-Ländern ebenfalls bei 14 bis 15 Jahren liegt. Die Strafmündigkeit ab zehn Jahren in der Schweiz sei von einem konsequent erzieherischen Ansatz geprägt: Unterbringungen können in der Schweiz bei Einzelpersonen oder in sozialpädagogisch/therapeutischen Einrichtungen erfolgen, die den Charakter von Wohngemeinschaften haben: "Hier verfolgt die Justiz keinen Strafansatz, sondern einen pädagogisch-psychologischen Ansatz." Ähnliches gelte für die Niederlande, wo die Altersgrenze zwölf Jahre beträgt. Die Skepsis gegenüber Freiheitsentzug als Strafe für Kinder und Jugendliche zeige sich in der Schweiz auch daran, dass bei über 15-Jährigen der Freiheitsentzug maximal ein Jahr dauern darf, bei über 16-Jährigen höchstens vier Jahre. In Österreich sind es dagegen nach gegenwärtiger Rechtslage maximal zehn bzw. maximal 15 Jahre.

Deutlich mehr Anzeigen

Die Anzahl der angezeigten namentlich bekannten noch nicht 14-Jährigen ist laut polizeilicher Anzeigenstatistik seit 2012 von 6.203 auf 10.428 im Jahr 2022 gestiegen. Ob die angezeigten Unmündigen die ihnen angekreideten Taten tatsächlich begangen hätten, werde aber nicht überprüft, betont das Netzwerk Kriminalpolitik. Die Zahlen ließen daher nicht auf einen tatsächlichen Anstieg von schweren Straftaten bei strafunmündigen Kindern schließen.

Grundsätzlich würden die Anzeigen in allen Altersgruppen steigen, bei den Unmündigen lässt sich diese Entwicklung aus Sicht der Expertinnen und Experten aber gut erklären: Allein in Wien ist laut Statistik Austria die Bevölkerungsgruppe der Zehn- bis 13-Jährigen von 62.854 im Jahr 2013 auf 74.303 im Jahr 2023 angewachsen. Aufgrund von Sensibilisierung in Kindergärten, Schulen und Wohneinrichtungen hat sich die Anzeigenbereitschaft erhöht. Dazu kommt, dass Kinder und Jugendliche mit Mobiltelefonen und In-Ear-Kopfhörern im Alltag meist wertvollere Dinge bei sich haben als in früheren Zeiten. Kommen ihnen diese abhanden, ist eine Anzeige als Schadensmeldung erforderlich, um bei bestehenden Versicherungsverträgen Schadenersatz geltend zu machen. (APA, 3.4.2024)