Ein Mann behebt Bargeld aus einem Bankomaten
Kolleginnen und Nachbarn wissen es nicht: Wie viel verdiene ich?
IMAGO/Rolf Poss

"Vielleicht sind wir zu feig für Transparenz?“, antwortet Martin Mayer, Eigentümer der Personalberatung Iventa, mit einer Gegenfrage. Warum tun wir uns in Österreich so schwer damit, über Gagen und Einkommen Klartext zu reden, war die eigentliche Ursprungsfrage. In seinem 120-Mitarbeiter-Unternehmen sei es transparent, wer welches Grundgehalt und welchen Bonus wofür erhalte. Das ist nicht überall so, ganz im Gegenteil. Einkommen sind abseits minimaler gesetzlicher Transparenzvorschriften meistens ein gut gehütetes Geheimnis.

Krasse Unterschiede

Personalberater Mayer rät dazu, was manche Unternehmen ohnedies schon machen, nämlich Gehaltstransparenz je Jobfamilie einzuziehen und sichtbar zu machen, wo manche mehr oder weniger verdienen. Der Personalexperte erhofft sich davon auch eine "Diskussion über Leistung". Neiddebatten könnten sich Firmen solcherart auch ersparen. "Was es nicht löst, ist, dass manche Berufe, etwa in der Pädagogik, besser bezahlt werden sollten."

Mayer versteht die Aufregung, wenn wie aktuell bekannt wird, dass ein Radiomoderator im ORF mit 445.000 Euro brutto im Jahr zehnmal so viel verdient wie etwa eine Krankenpflegerin oder ein Krankenpfleger. Denn da werde es mit der Argumentation des Lohns als Zeichen der Wertschätzung, eines Mehrwerts für die Gesellschaft schwierig.

Wie entsteht Einstufung?

Stellenausschreibungen müssen in Österreich mit Gehaltsangaben versehen sein. Meistens steht die kollektivvertragliche Einstufung dort und eine "Bereitschaft zur Überzahlung". Auf den Punkt genau ist diese Information selten.

Aber wie entsteht überhaupt gehaltliche Einstufung? Wie erklären sich enorme Unterschiede in der Entlohnung, wie werden Gehälter festgesetzt? Da antwortet Mayer in der Sprache der Personalberater: "Das sind Marktmechanismen."

Diese unsichtbare Hand ist in kleineren Unternehmen die Geschäftsführung. In größeren Firmen werden Vergütungsexperten wie Conrad Pramböck herangezogen, um bezüglich Gehaltsbändern in der Branche zu beraten und die jeweiligen Mitarbeiter dann einstufen zu können. Dazu kommen noch individuelles Verhandlungsgeschick und geldwerte spezielle Expertise.

Fat Cat Day

Für den Vorstandsbereich ist der Vergütungsausschuss im Aufsichtsrat mit diesen Agenden befasst – Executive Searcher, Compensation-&-Benefits-Berater wirken beim Marktwert eines Vorstands oder einer Vorständin mit. So entstehen auch Spitzengagen.

Abgesehen von "ein paar Handvoll auserlesenen Personen, etwa Vorstände in ATX-Unternehmen", sieht Gehaltsexperte Pramböck die Spreizung (also den Abstand in der Entlohnung zwischen ganz oben und ganz unten) in Österreich nicht als aufregenswert: "Realistische Zahlen über die durchschnittliche Spreizung zwischen Gehältern von Geschäftsführern und den schlecht bezahlten Kräften über alle Unternehmensgrößen hinweg liegen in Österreich bei 5:1 und 7:1", berichtet er aus seinen Marktdaten. Und: In kleinen Unternehmen verdiene die Geschäftsführung kaum mehr als die bestbezahlten Mitarbeitenden und etwa das Drei- bis Vierfache der Niedrigstbezahlten.

In Konzernen liege diese Spreizung rund beim 50-Fachen. Allerdings sorgt zumindest der Fat Cat Day für saisonale Aufregung – also jener Tag, an dem die Vorstandsvorsitzende der Firmen im Leitindex ATX (durchschnittlich 2,7 Millionen Euro) so viel verdient haben wie Arbeitende im ganzen Jahr. Heuer war das der 8. Jänner. Auch Ausreißer wie etwa Bawag-Boss Anas Abuzaakouk mit zuletzt mehr als neun Millionen Euro Jahresgage im Vergleich zu Essensauslieferern mit zwölf Euro Stundenlohn garantieren Empörung.

Wer die Topverdiener sind

Zu den konkreten Zahlen sagt Pramböck: "Ab 150.000 Euro Jahresbrutto zählt man in Österreich zu den Topverdienern." Das sind dann Führungskräfte in mittleren und großen Unternehmen oder Eigentümer. Auf 80.000 bis 120.000 Euro brutto kämen hierzulande spezielle Experten, Vertriebsleute und das Mittelmanagement.

Zum Berufsstart berechnet Pramböck für Bachelors aktuell rund 40.000 Euro Jahresbruttogage, für Masters etwa 5.000 Euro mehr. Bei rund 80.000 Euro macht er im Verlauf der Karriere eine gläserne Einkommensdecke bei Akademikern fest. Bei Nichtakademikern liege diese bei rund 60.000 Euro.

In der Verteilung der Einkommen liegen laut Steuerdaten jene in den obersten zehn Prozent, die ab 5.000 Euro brutto monatlich verdienen. Der Median der Einkommen in Österreich bei Vollzeitbeschäftigung dürfte jetzt, nach den jüngsten Kollektivvertragsrunden, knapp unter 3.000 Euro liegen (50 Prozent liegen darunter, 50 darüber).

Welche Transparenz?

Was genau ist, was wäre eine sinnvolle Transparenz? Könnte alles besser sein mit bloßer Transparenz? Kienbaum-Vergütungsexperte Alfred Berger sagt dazu: "Grundsätzlich Transparenz gerne, aber für die, die es was angeht: Eigentümer, Investoren, Kollegen." Bloße Zahlenveröffentlichung zu Einzelpersonen sei seiner Meinung nach keine Transparenz.

Und wo liegen die Widerstände gegen einsehbare Korridore, welche von der EU-Lohntransparenzrichtlinie demnächst ohnedies gefordert sind, um die geschlechtergerechte Entlohnung sicherzustellen? Wettbewerbsnachteile und auch internen Konflikte und Spannungen, die entstehen können, sind oft genannte Gründe gegen Transparenz in Bandbreiten, berichtet Berger.

Aber: "Innerhalb einer Organisation kann es durchaus Sinn machen, Transparenz in Bandbreiten darzustellen, wenn die Zuordnung zu Gruppen klar definiert ist. Dann gilt es aber auch, Leistung zu definieren und diese nach transparenten Kriterien zu vergüten. Wenn Vergütung zur Steuerung von Verhalten oder Erwartungen dient, wie in Aktiengesellschaften bei Vorständen, macht ein Vergütungsbericht und eine transparente Darstellung im Sinne der Wahrnehmung von Eigentümerinteressen durchaus Sinn."

Kaffeemaschinentest

Gehaltsexperte Pramböck hat zu Fairness und Transparenz einen praktischen Vorschlag: "Um sicherzustellen, dass die Gehälter fair sind, empfehle ich Personalabteilungen den Kaffeemaschinentest: Nehmen wir an, dass zwei beliebige Mitarbeiter im Unternehmen miteinander bei der Kaffeemaschine über das Thema Gehalt sprechen. Können Sie als Personalabteilung dann die Unterschiede mit sachlichen Argumenten begründen?" (Karin Bauer, 4.4.2024)