Angst davor, blöd auszuschauen, darf man beim Face-Yoga nicht haben. Das denke ich mir, während ich vor einem Spiegel meine Lippen über die Zähne stülpe, den Mund zu einem – nun zahnlos wirkenden – Lächeln verziehe und die Wangen immer wieder ganz kurz nach hinten in Richtung meiner Ohren ziehe. Ganz wichtig: Die Augen bei all dem nur bloß nicht zusammenkneifen – sonst geht die Übung am Ende noch nach hinten los.

Bei vielen Übungen wird durch die Hände ein Widerstand erzeugt, gegen den die Gesichtsmuskulatur arbeitet.
Bei vielen Übungen wird durch die Hände ein Widerstand erzeugt, gegen den die Gesichtsmuskulatur arbeitet.
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Von diesem Fitnesstraining fürs Gesicht versprechen sich viele ein verjüngtes Antlitz ganz ohne Botox & Co – weshalb es mittlerweile unzählige Youtube-Tutorials und Apps gibt, die einen zu Hause vor dem Spiegel Grimassen schneiden lassen.

Die Idee hinter Face-Yoga: Durch gezieltes Training der mehr als 40 Muskeln in unserem Gesicht sollen sich diese – so wie das im Gym bei Bizeps und Trizeps ja auch der Fall ist – vergrößern und das mit dem Alter langsam erschlaffende Gesicht dadurch wieder voller wirken lassen. Das große Versprechen: Die Gesichtszüge werden definierter, das langsam beginnende Doppelkinn gestrafft. Und auch die Durchblutung im Gesicht soll durch das Training angeregt werden.

Reich und schön

Der große Haken am Gesichtsyoga: Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit fehlen, wie die Grazer Dermatologin Daisy Kopera betont – auch weil das Geld für die Beforschung einer solchen eher weniger lu­krativen Nische fehlt. Vermeintlich makellos schöne Testimonials gibt es dennoch viele. Promis wie Meghan Markle schwören darauf. An Tagen, an denen sie die Übungen für ihr Gesicht mache, seien Wangenknochen und Kieferpartie gleich viel definierter, verriet die mit Prinz Harry verheiratete Schauspielerin vor einiger Zeit in einem Interview. Ihre Kollegin Gwyneth Paltrow ist natürlich auch dabei, und die Reality-Größen der Kardashians sind bei Schönheitstrends ohnehin nie weit.

In Hollywood gibt es mittlerweile sogar eigene Face-Gyms für jene Menschen, die alle anderen Aspekte ihres Körpers offenbar bereits ausreichend optimiert haben und nun ihre Gesichtszüge stählen wollen. Auch in Wien ist Face-Yoga längst angekommen: In der "Hauswirtschaft", einem Baugruppenprojekt im Nordbahnviertel im zweiten Bezirk, bietet Ira Ganas in einem Praxisraum vor einem großen Spiegel Gesichtsyoga an. Bisher sind es vorrangig Einzeltrainings, die bei ihr gebucht werden. Demnächst will Ganas aber auch Gruppenkurse anbieten, denn die Nachfrage steigt.

Achtsamkeitstraining

Zwar kommen immer wieder auch Menschen, die unter verspannter Kiefermuskulatur und Migräne leiden und erst einmal das Lockerlassen ihrer Gesichtsmuskeln lernen müssen. Die allermeisten, die kommen, sind aber Frauen wie ich, die sich von der Gymnastik geglättete Falten erwarten.

Tiefe Falten werden auch durch die entspanntesten Gesichtsmuskeln nicht verschwinden.
Tiefe Falten werden auch durch die entspanntesten Gesichtsmuskeln nicht verschwinden.
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Zumindest in Hollywood kann man sich angeblich nur durch Face-Yoga (und nicht etwa, wie böse Zungen behaupten, durch Botox) schlagartig um Jahre verjüngen. Ganz so einfach ist es natürlich nicht: "Gesichtsyoga ist kein Quick Fix", sagt Ira Ganas. Sie sieht das Face-Yoga als Achtsamkeitstraining, bei dem es nicht nur um die Übungen für das Gesicht geht, sondern der Fokus auch auf Aspekte wie richtige Atmung, Haltung und Entlastung angespannter Gesichtspartien geht.

Tiefe Falten werden auch durch die entspanntesten Gesichtsmuskeln nicht verschwinden. Was durch das Gesichtsyoga laut Ganas aber innerhalb kurzer Zeit schon möglich ist: ein frischerer Teint und eine veränderte Ausstrahlung. Man will es ihr mit Blick auf ihr strahlendes Gesicht tatsächlich glauben.

Bei mir bemerkt Ira Ganas jedenfalls auf den ersten Blick meine angespannte Stirnpartie, weshalb wir uns nach dem Aufwärmen – Schulterkreisen, Atemübungen – zur stets gerunzelten Stirn vorarbeiten: Sie wird erst mit den Fingerknöcheln glattgestrichen, dann muss ich mit meinen Fingern ganz leicht auf die Stirn trommeln.

Ein schnelles Wow!

Dabei sitzen wir beide vor einem Spiegel, Ira Ganas zeigt vor, ich mache nach. Dann kommen die Übungen. Die sehen zum Beispiel so aus: Wir spitzen die Lippen und öffnen Augen und Mund so weit wie möglich, als würden wir zu unserem Spiegelbild "Wow" sagen.

Oder wir strecken die Zunge aus dem Mund in Richtung Nasenspitze, bewegen sie dann rechts Richtung Mundwinkel und wieder zurück. Die gute Nachricht: Dass man vor dem Spiegel sitzt, macht das koordinativ einfacher. Die schlechte Nachricht: Man muss sich unweigerlich selbst dabei anschauen. Im Spiegel sehe ich aus wie ein Salamander mit höchst unkoordinierten Gesichtszügen. Meine Stirn runzelt sich schon wieder bedrohlich. "Super", lobt Ira Ganas mich trotzdem. Ich sage nichts – wie denn auch, jetzt muss ich meine Zunge in den anderen Mundwinkel manövrieren und dort in die Höhe ziehen. Aber Übung macht die Meisterin. Denn so wie in anderen Bereichen der Fitness lautet das Zauberwort wohl auch bei Face-Yoga: Regelmäßigkeit.

Ira Ganas empfiehlt, die Übungen für das Gesicht über den ganzen Tag zu verteilen – einige lassen sich zum Beispiel in der Früh schon beim Liegen im Bett oder in einer Bildschirmpause im Büro erledigen. Einen Muskelkater bekommt man vom Gesichtsyoga in der Regel nicht; dass man die Muskulatur in höchst ungewöhnlicher Weise beansprucht hat, merkt man aber schon.

Was wirklich hilft

Wunder sollte man sich davon allerdings keine erwarten. Auch weil die Hautalterung weitaus komplexer ist, wie Dermatologin Kopera betont: "Das Gesicht besteht nicht nur aus Muskulatur, sondern auch aus subkutanem Fettgewebe und Haut. Und die Hautalterung spielt sich nicht in der Muskulatur ab – sondern in der Haut."

Mimikfältchen würden zudem aus einer Überbeanspruchung der Muskulatur an bestimmten Stellen – also etwa rund um den Mund und die Augen – entstehen. Dass man diesen durch noch mehr Training der Muskulatur zu Leibe rückt, hält die Expertin daher auch für ziemlich unwahrscheinlich.

Wer es nicht übertreibt, kann aber auch nicht viel falsch machen. Menschen mit Rosazea, einer chronischen Hauterkrankung, rät die Wiener Dermatologin Leila Arfaian aber zum Beispiel davon ab, sich zu viel ins Gesicht zu greifen, weil die Haut damit zu sehr gereizt wird. Sie betont: "Die Haut im Gesicht ist etwas ganz Besonderes." Und die meisten Menschen würden ihre Haut im Gesicht, angespornt durch Werbung, ohnehin schon mit zu viel Pflege überlasten.

Was gegen Falten tatsächlich hilft: die Vorbeugung. Hautalterung wird vor allem durch die Einwirkung von UV-Licht beschleunigt. "Deshalb ist die Anwendung einer Pflegecreme mit Lichtschutzfaktor jeden Morgen mindestens so wichtig wie Zähneputzen", sagt Kopera.

Und was zwar nicht gegen die Falten, aber vielleicht zumindest gegen allzu viele Sorgen über das Altern hilft: sich selbst und seine angespannte Stirn nicht immer so ernst zu nehmen. Und sich beim Blick in den Spiegel ruhig auch mal die Zunge rauszustrecken. (Franziska Zoidl, 5.4.2024)