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Ein Geschworenengericht entscheidet in Wien darüber, wie man am besten mit einem jungen Mann mit mehreren psychischen Problemen umgehen soll.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – "Er ist trotz Autismus ein einfühlsamer Mensch, aber Alkohol und Drogen haben ihn verändert. Er hat ein gutes Herz", ist die Mutter des angeklagten Herrn K. von den inneren Werten ihres Sohnes überzeugt. Am Nachmittag des 27. November soll sich das in einem Telefonat noch anders angehört haben: "Schützen Sie die Menschheit vor meinem Sohn", soll sie eine Betreuerin des 23-Jährigen gebeten haben. Nachdem dieser zuvor der Mutter gestanden hatte, er habe am 27. kurz nach Mitternacht in seiner ehemaligen betreuten Wohngemeinschaft einen Brand gelegt, durch den eine Frau ums Leben gekommen ist.

Dass er mit seinem alten Türcode in die Wohnung in Wien-Liesing gekommen ist, bestreitet der vierfach vorbestrafte Angeklagte nicht. Ebenso wenig, dass er im Wohnzimmer eine Jacke auf einem Sessel angezündet hat und danach gegangen ist. Dass er aber damit den Tod der 68-jährigen WG-Bewohnerin verursachen wollte und so einen Mord begangen hat, wie ihm die Staatsanwältin vorwirft, streitet der Österreicher ab. Auch den angeklagten fünffachen Mordversuch an vier weiteren Betreuten und einem Betreuer durch die Brandstiftung leugnet er.

Das Strafverfahren ist auch ein Prozess um die Defizite in der Versorgung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Österreich, wie sich zeigt. Bei K.s Geburt kam es zu Komplikationen, zunächst wurde frühkindlicher Autismus diagnostiziert, später sahen die Medizinerinnen und Mediziner auch eine Persönlichkeitsstörung. Mit 15 Jahren war er laut einer Diagnose auf dem intellektuellen Niveau eines Vier- bis Fünfjährigen. Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann sieht vor allem eine "erhebliche Problematik mit der Intelligenzminderung", die auch schwere Impulskontrollstörungen bedingt, kombiniert mit exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum.

Schwierige Suche nach Betreuung

Eine spezielle Schule musste er nach gewalttätigen Zwischenfällen mit Lehrerinnen und Mitschülern verlassen, auch eine Beschäftigung bei Jugend am Werk wurde abgebrochen. Bis zum 18. Geburtstag wohnte er bei seiner Mutter, die schließlich auch überfordert war, sich nach einer geeigneten Betreuung umsah und einen Erwachsenenvertreter organisierte. "Unser Leben hat eigentlich nur aus Therapien bestanden", erzählt sie als Zeugin, die aus ihrer Sicht nichts an der Grundproblematik änderten: "Er ist zu gesund für beeinträchtigte Menschen, aber zu beeinträchtigt für Gesunde."

Lediglich der Verein Lok – die Abkürzung steht für Leben ohne Krankenhaus – erklärte sich bereit, dem Teenager Obdach zu gewähren, wohl wissend, dass die betreute Wohngemeinschaft in Wien-Liesing nicht ideal für ihn sei. Einerseits wegen der Altersstruktur der Bewohnerinnen und Bewohner, andererseits wegen derer deutlich stärker ausgeprägten psychischen Erkrankungen. Vor Gericht übt die Mutter Kritik: "Da ist sehr viel schiefgelaufen bei Lok", ist sie überzeugt. Trotz des eigentlich existierenden Alkoholverbots sei ihr Sohn dort mit Whiskeyflaschen ein- und ausgelaufen, die Spirituosengebinde seien sogar auf dem Boden seines Zimmers gelegen, was niemanden gekümmert habe.

Nach vier Jahren und mehreren Angriffen auf Betreuungspersonal und Konflikten mit Mitbewohnern sei K. dann in eine teilbetreute Wohnung gezogen. "Dort wurde aber weder die Betreuung für seine Arztbesuche übernommen, als er in die Wohnung kam, noch gab es dort Bettzeug", sagt die Mutter. Der Alkoholkonsum wurde noch schlimmer, im Sommer 2023 folgte ein Suizidversuch. Nach diesem wurde er stationär in einer psychiatrischen Anstalt aufgenommen, danach absolvierte er eine Alkoholentzugstherapie.

Stationäre Aufnahme verweigert

Die nur kurzfristig Erfolg hatte. Am 24. November, dem Freitag vor der angeklagten Tat, verletzte der 23-Jährige sich neuerlich selbst. In der Klinik Hietzing bat er um stationäre Aufnahme, die ihm verweigert wurde. Auch die Mutter telefonierte mit den Medizinern, schildert sie als Zeugin: "Ich wurde angerufen, dass man ihn heimschicken werde. Ich habe dringend gebeten, dass man ihn über das Wochenende dort behalten soll, da am Montag der ambulante Entzug begonnen hätte, da hätte ich ihn holen können. Sie haben ihn trotzdem heimgeschickt."

Der Angeklagte selbst sagt, es ging ihm an diesem Wochenende nicht gut, er habe mit jemandem reden wollen. Mit stationären Aufenthalten habe er schlechte Erfahrungen gemacht: "Die haben immer gesagt: 'Wir sind voll, wir können dich nicht aufnehmen.' Irgendwann bin ich dann nicht mehr hingegangen." Am Sonntagabend telefonierte er mit einem Betreuer seiner Ex-WG, danach wollte er in einen Club gehen, der habe aber geschlossen gehabt. Dann sei er nach Liesing gefahren. "Als ich dann drinnen war, haben die Stimmen gesagt: 'Zünd die Jacke an!'", behauptet K., der nach eigenen Angaben seit 2021 immer wieder Befehle von inneren Stimmen erhält.

Gerichtssachverständiger Hofmann sieht in diesen Stimmen aber keinen Beleg für eine Zurechnungsunfähigkeit. Derartige Halluzinationen könnten auch durch übermäßigen Alkoholkonsum entstehen, erklärt er den Geschworenen, warum er dennoch davon überzeugt ist, dass der Angeklagte in der Tatnacht wusste, was er tat. "Es gibt keine klassische schizophrene Entwicklung", meint Hofmann, die Gemengelage aus Intelligenzminderung, Persönlichkeitsstörung und Alkohol würde K. dennoch so gefährlich machen, dass er strafrechtlich in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht werden sollte. Auch wenn die Beweiswürdigung durch die Laienrichterinnen und -richter ergeben sollte, dass der Angeklagte psychotisch und daher zurechnungsunfähig gewesen sei, würden die medizinischen Voraussetzungen für eine Unterbringung bestehen, sagt der Experte auf Nachfrage.

Keine Mordverurteilung

Die Geschworenen schließen sich der Meinung Hofmanns an und sehen K. einstimmig als zurechnungsfähig. Ebenso glauben sie dem Angeklagten aber auch, dass er keine Tötungsabsicht hatte – die Vorwürfe des Mordes beziehungsweise des Mordversuchs werden ebenso einstimmig verneint. Ohne Gegenstimmen wird der 23-Jährige also wegen Brandstiftung mit einem Todesopfer und fünffacher versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt. Da sich der Strafrahmen aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen auf fünf bis 20 Jahre erhöht, entscheiden sich Berufs- und Laienrichter gemeinsam für ein Urteil von 13 Jahren Haft, zuvor wird der junge Mann aber in einem Zentrum therapiert werden. Er akzeptiert die Entscheidung, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 4.4.2024)