Die Nutzerfreundlichkeit der Apps ist sehr unterschiedlich. Die Suchfunktionen sind oftmals störrisch in der Bedienung.
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"Lass uns einen Film schauen", sagt meine Frau nicht zum ersten Mal in dieser Woche zu mir. In meinem Bauch krampft sich etwas zusammen. Mittlerweile wissen wir beide, dass nach dem Kind-zu-Bett-Bringen sich auch nur dann ein Film ausgehen würde, wenn wir ohne weitere Verzögerung damit starten könnten. Aber dann tauchen die vielen Streaming-Apps auf dem TV-Gerät auf, und entscheidet man sich dann für Disney+, Apple TV+, Netflix, Sky, Amazon Prime Video oder die ARD-Mediathek, fängt dort erst recht das Suchen und Scrollen an.

Dieses Überangebot, so weiß man mittlerweile, ist überfordernd und schlägt sich auf die Gesundheit. Es wird also Zeit, sich Strategien zu überlegen, dieser Misere endlich mit Anstand und Taktik entgegenzutreten.

Drei-Apps-Problem

Macht man eine der zahlreichen Streaming-Apps auf, eröffnet sich die Welt des Schmerzes. Unendlich viele Kacheln in den unterschiedlichsten Formaten und mit bunten Bildern biedern sich dem Fernbedienungshalter an. Die gelangweilte Bewegung, nach unten zu scrollen, seitlich oder wohin auch immer, gehört zum Ritual bereits dazu. "Ah, das wollte ich schon länger sehen" oder "Ach, das gibt es jetzt auch im Angebot" lassen trotz der erfreuten Augen nicht innehalten. Man könnte ja was übersehen – da unten kommt sicher noch etwas, das noch spannender ist.

Das Scrollen wird auch deshalb begünstigt, weil alle Apps nicht wirklich übersichtlich sind mit all ihren Vorschlagslisten, die meistens sehr ähnliche Filme und Serien anbieten. Egal ob "Zuletzt hinzugefügt", "Von der Redaktion empfohlen" oder "Besonders beliebt", alle führen in etwa dasselbe Angebot des jeweiligen Anbieters. Bei Netflix kam man zuletzt etwa nicht an "3 Body Problem" vorbei, Disney propagiert ganz stark "Shogun". Wenn ein Teil des anwesenden Wohnzimmerpublikums aber eben nicht diese populären Sachen schauen mag, dann gilt es, in die Tiefe zu gehen. Die Suche nach Oscar-Filmen ist immer zu empfehlen, wären die Filme nicht alle zumindest zweieinhalb Stunden lang, siehe auch "Poor Things", derzeit auf Disney+ zu finden.

Am Ende fühlt es sich an, als wäre man in einem Supermarkt voller Süßigkeiten, wo man nicht genau weiß, ob man sie wirklich verträgt oder haben möchte. Aber sie riechen halt so gut. Das Schlimmste daran ist aber, dass das Angebot bei manchen Anbietern derzeit sogar noch um neue Medienformen wächst – Videospiele.

Alternative Videospiele

Seitdem Netflix Videospiele auch in der TV-App anbietet, ist der Wechsel zwischen Serien- und Spielestreaming noch übergangsloser als zuvor. Wer einen PC und die Plattform Steam nutzt, der kennt das Problem noch mehr als bei Netflix und Co. Neben der bereits vorhandenen Bibliothek sind dort nämlich vor allem Abverkäufe der große Hingucker, wenn man sich wieder mal langweilt. "Was, das Spiel wird heute für minus 60 Prozent angeboten?" Ich brauche es nicht, aber hey, 60 Prozent Rabatt! Was für andere der Sommer- oder Winterschlussverkauf, Black Friday oder Red Monday ist, gehört auf Spieleplattformen über das ganze Jahr zum guten Ton. Angebote, Abverkäufe, rabattierte Spielesammlungen – es ist alles immer und im Überfluss vorhanden.

Zuletzt habe ich mich sogar dabei ertappt, wie ich bei der Installation eines neuen Playstation-Spiels schon wieder im Store war, um zu schauen, was denn "Demnächst erscheint". Der Weg zwischen Suche und Kauf ist sehr kurz und sehr verführerisch. Am Ende aber auch weniger befriedigend als damals, als man noch ein wenig mehr Aufwand betreiben musste, um an das begehrte Game zu kommen.

Macht krank

Im Vorjahr hat eine Umfrage zur Mediennutzung in Großbritannien ergeben, dass sich viele Menschen mit dem Überangebot überfordert fühlen und deshalb Schwierigkeiten hätten, etwas zu finden, das sie anspricht. Im Gespräch mit der Schweizer Plattform "20min" erklärt der Psychologe Thomas Spielmann passend dazu: "Die Überforderung löst Stress aus und kann gesundheitsschädigend sein." Fachleute sind sich einig, dass es bei einer zu großen Auswahl für Nutzerinnen und Nutzer schwieriger ist, die für sich beste Entscheidung zu finden. Zudem steige die Erwartung, etwas "sehr Gutes" zu finden. Wird das nicht erfüllt, sei die Erfahrung mit der Plattform frustrierend.

Aber welche Strategien werden empfohlen? Auf die angesagte Marktkonsolidierung, die zumindest die Anzahl der Anbieter reduzieren soll, kann man wohl nicht warten. Als effektiv hat sich für mich herausgestellt, bestimmte Apps einfach nicht im Dauerabo zu behalten. Pausen bei Netflix, Apple TV+ oder Sky haben sich als reinigend erwiesen, zumindest in unserem Haushalt. Auch wenn alle im Umfeld schreien, dass man diese Serie – meist sind es Serien – gesehen haben muss, dann ist man als Fomo-Verweigerer sogar glücklich, diesen Dienst nicht abonniert zu haben. Eine Serie weniger, die am Abend zur Auswahl steht – perfekt gelaufen.

Zudem bieten aktuell Netflix und vielleicht sogar auch andere mit Services mit Features wie "Pick a movie" an, die Entscheidung selbst zu übernehmen. Dann wählt das System, basierend auf dem eigenen Schauverhalten, aus, welcher Film heute passen könnte. Praktischer mit Sicherheit, als sich im Netz die diversen "Movie Roulettes" rauszusuchen, die anbieten, basierend auf einer bis drei Entscheidungen, die man auf der Website treffen muss, einen Film für einen auszusuchen.

Und dann ist da noch der Vorstoß der großen Streaminganbieter ins lineare Fernsehen. Macht etwa die App bald wieder unser TV-Programm, wo wir um 20.15 Uhr vor dem Fernseher sitzen müssen, um ein Live-Special von Taylor Swift oder eine Sportdoku sehen zu können?

Fazit

Sie merken, auch wir sind noch nicht zu dem Punkt gekommen, eine finale Strategie ausformuliert zu haben. Mit den richtigen Schritten nähern wir uns allerdings an. Services für zumindest ein halbes Jahr abbestellen, "Schau ich später"-Listen regelmäßig ausmisten und eigentlich nur dann etwas starten, wenn man es wirklich sehen will, und nicht nur deshalb, weil man einfach eine Stunde Zeit totschlagen muss. Dann kann man nämlich auch zu einem Buch greifen. Am besten nicht zum Kindle oder ähnlichen E-Readern, denn da könnte man dann auch in die Versuchung kommen, nach einer Alternative zu suchen. Und diese Entscheidung kann fatal sein, denn der Bücherkatalog ist mindestens genauso lang wie jener rund um Filme und Serien bei Netflix. Glauben Sie mir, ich habe nachgesehen. (Alexander Amon, 7.4.2024)