Wieder Frühlingsbeginn? Der nicht wirklich geliebte Winter, der heuer erst im langen Jänner begann, ist er vorbei? Eiskalt hat er etliches erfrieren lassen. Kalt auch der Blick im Nebel der täglichen Kriegsberichte und die Kälte im Rücken: Nichts hat sich geändert, nicht der Ansatz zu einem Gespräch, das Wort Frieden erstickt von Rache, das ist real, ist legal und ist logisch – die tradierte Logik der Menschheitsgeschichte?

Verdrängen kann man, ausklicken, weg: Was geht’s mich an. Nützt aber nichts. Von Flächenbränden ist zu lesen, und gelesen muss werden. Wie viele Tote? Und mit Nuklearwaffen drohen? Schreien kann man, nützt aber nichts. Aber hat nicht auch Rilke nach Engeln gerufen: "Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?" Über den Konfliktherden schwebende Engel, die Ordnung schaffen, Friedensengel, gern könnten es auch Friedensdrohnen sein. Aber die Frage Rilkes impliziert auch die Antwort. Man kann an Engel glauben, muss aber nicht.

Paul Klees
Paul Klees "Angelus Novus" (1920).
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Neuer Mensch

Unerheblich, warum Paul Klee, der seine Engel gern lächelnd darstellt, dem Engel der Geschichte ein eher verzagtes Lächeln ins Gesicht drückt, quasi: Hab ich versagt? Hingegen greift Walter Benjamin in seiner Dialektik diesen Engel auf: Weg von der tradierten Hasslogik, hin zur Erlösung des Menschen, der Menschheitsgeschichte. Zu einer (neuen) Sprache finden "über die Sprache des Menschen" hin zur Korrektur, zu neuen Denkbildern.

Wie reden wir über die Zeit, was bedeutet es, das Wort Zeit: Abfolgen von Vergangenem? Ansporn für morgen, für die Zukunft? Um zu sein. Seinsaussichten? Visionen? Panta rhei, sagt Heraklit, alles ist in Bewegung, nichts bleibt. Diderot formuliert härter: "Alles geht zunichte, alles geht vorbei, nur die Welt bleibt, nur die Zeit ist von Dauer." Also zunichte zwischen bits und bytes mit kalten Laptopaugen, auch der Intellekt, die Sichtweisen, das geglaubte Menschenbild? Glauben kann man, muss aber / besser verdrängen, vergessen. Wir vergessen gern, aus Angst, Scham, Schuld(gefühlen).

Das inside bloß nicht zu sehr belasten, sonst droht die Psyche, sonst Therapie oder der Fakt auf der Waage: die Sache Über. Gewicht. Und ja, mit der Zeit verliert sich das (innere) Gleichgewicht. "Also die Frist des Daseins hinzubringen", konstatiert Rilke in einer der Elegien. Manch Ältere griffe gern nach einem Lotsen durch den Computerdatendschungel, wir hätten es in der Hand noch, und verirren uns doch. Das Hirn weiß nicht so recht, es befiehlt der Hand, die Hand tut, als wüsste sie. Und wie, KI, Künstliche Intelligenz? Der Engel beginnt die gedachte Ordnung zu stören? Und "ein jeder Engel ist schrecklich", hat Rilke geklagt. Nach wie vor böte sich Benjamins Dialektik mit diesem als Wegweiser an: Reden, zur Sprache finden. Nur die Kunst kann uns – kann die Welt retten, heißt es. Literaturen, Musiken, der Satz ist ein Wegweiser, an ihn darf man glauben.

Unerheblich die Zeit. Ewigkeit bis zum Tod – eines tödlich Verletzten: Kindes in Charkiw, in Gaza. Eines Verschütteten im türkischen Osten. Eines Außer-sich-Stehenden. Jugendliche, sogar Kinder. Keine Hand, kein Trost und der Schutzengel, wo? Und das Wort Trost gehöre zum Wortstamm trauen, Treue? "Angesichts des Todes ist alles lächerlich", hat einer gesagt, "naturgemäß". Und jetzt auch noch diese Steigerungsform: Die Zeit sei auf Dauer vereinnahmt von ChatGPT? Hört sich lächerlich an. Ein relativ neuer Begriff, riecht nach – was, Vereinnahmung. Lächerlich. Vergiftung? Was geschieht mit uns, über uns in den U-Bahnen.

Dine Petrik
Veröffentlichte 2023 ihren achten Lyrikband: Schriftstellerin Dine Petrik.
Heribert CORN, corn@corn.at

Gegenwartskriege

Die (City) Überwachung angedroht und schon da, vereinnahmt auf Dauer der Ordnung wegen ... Was bedeutet Zeit in der Ukra¬ine, in Gaza. Wegen der grausamen Vergangenheit hoffen wir auf die Zukunft. Eine Zukunft, eine repressionsfreie Zukunft, heißt es hier wie dort. Hier wie dort die Hoffnung auf – sich schuldig fühlen. Lächerlich. An der Logik der gewesenen Kriege, die Väter, die Brüder. Verdrängen. Die Gegenwartskriege. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so trau – ein Lied, Kindheit, ein Märchen aus – Dichtung, die rettende Kunst, die neue Diskurse geriert, Alternativen, Kontraste.

In den Werken der Dichter sah Aristoteles einen höheren Stellenwert als in historischen Werken. Warum also in die Historie fliehen, zum Ursprung, wo alles – nein, nicht bis zum ersten Fußabdruck, nur einen Winzelschritt zurück im Zeithorizont, bis Uruk etwa oder Babel. Und was, Gobelki Tepe? Ein relativ neuer Begriff. Wo man noch nicht gewesen ist, wo das Gewesene längst schon gewesen ist. Eine Welt, die zerfallen ist (Türkei heute). 12.000 Jahre? Schon damals die bebende Erde? Oder fatale Kriege? Verschüttet, verstaubt und verlassen, im Gewicht der Zeiten vergessen. Hochkulturen, die eben wieder ans Licht geholt werden, in die Welt gegraben, in unsre KI-Hochkultur, die gerade eben zu retten ist: Was steht in Aussicht, ein Klimakrieg? Kleber gibt es en masse, sagt die Letzte Generation.

Positives sehen

Wie viele zerstörte Welten fallen der unseren anheim, um erneut –"Die Welt ist eine feste, eherne Größe von Kraft, die sich nicht verbraucht, sondern nur verwandelt, ein Spiel von Kräften und Kraftwellen, wie ein Meer in sich selbst flutender, stürmender Kräfte, ewig sich wandelnd", schreibt Nietzsche. Ein Trost, ein tröstlicher Satz aus einer anderen Zeit. Ob sie eine bessere gewesen, ob die Kraft größer ist als der Schmerz? Und "selbst noch im Schmerz etwas Positives sehen", schreibt Viktor Frankl, anders gesagt: Ich halte das aus, schon als Kind tröstlich, ein Selbsttrost und Treuebeweis. Er kommt nicht aus dem Krieg, mich zu retten. Er hätte mich nicht. Niemand hätte. Auf in die neue Ordnung mithilfe der Kunst, der Literatur, mithilfe der Engel. Mithilfe des Smartphones und ChatGPT. (Dine Petrik, 6.4.2024)