Die geplante Station Lunar Orbital Platform-Gateway soll den Mond umkreisen
Die geplante Station Lunar Orbital Platform-Gateway soll den Mond umkreisen.
NASA

Das Geschäft mit dem Weltall boomt. Private Unternehmen wie Space X und Blue Origin kommerzialisieren die Raumfahrt, die lange Zeit von behäbigen Agenturen geprägt und von Explorationsinteresse getrieben war. Laut der Weltraumagentur ESA befinden sich aktuell rund 9.000 funktionstüchtige Satelliten im All. Und es werden laufend mehr. Allein Space X hat 2023 etwa 2.000 neue Starlink-Satelliten ins All geschossen. Telekommunikationsanwendungen via Satellit versprechen nicht nur den Betreibern Profite, sondern auch den zahlreichen Zulieferbetrieben, die Technologie an Erstere verkaufen. Ein solches Unternehmen ist Beyond Gravity, eine Tochter des Schweizer RUAG-Konzerns.

Am Firmenstandort in Wien hat Beyond Gravity kürzlich die Erweiterung seines Reinraums gefeiert. Rund eine Million Euro hat das Projekt gekostet, dafür stehen jetzt 200 Quadratmeter Produktionsfläche unter besonders geschützten Bedingungen zur Verfügung. Gefertigt werden hier vor allem sogenannte Mechanismen. Darunter versteht man im Weltraumjargon Geräte mit einer in zwei oder drei Achsen beweglichen Plattform, auf der elektrische Satellitentriebwerke montiert werden. Durch die Bewegung der Plattform kann die Richtung des Schubs variiert werden, was es ermöglicht, den Satelliten präzise auf seiner gewünschten Umlaufbahn zu positionieren beziehungsweise ihn durch regelmäßige Positionsanpassungen auf dieser Bahn zu halten – in der Fachsprache werden diese beiden Aufgaben "orbit raising" und "station keeping" genannt.

Kampf dem Staub

Produkte für das Weltall unterliegen besonders strengen Qualitätsanforderungen. Bereits ein einzelnes Staubpartikel in einem Antrieb könnte diesen beschädigen. Um Staub fernzuhalten, steht der Reinraum deshalb stets unter geringem Überdruck. Auch Fett- oder Ölflecken müssen unbedingt verhindert werden. Sie würden im Vakuum verdampfen und könnten sich auf der empfindlichen Sensorik ablegen, was diese im schlimmsten Fall unbrauchbar macht. Die Reinraumerweiterung von Beyond Gravity ist Teil der Unternehmensstrategie, sich als Serienfertiger zu positionieren.

Beyond Gravity Produktion Satellitentechnik
In Meidling soll künftig in Serie produziert werden.
Beyond Gravity Anna Rauchenberger

"Wir haben in der Vergangenheit viele Projekte durchgeführt, bei denen wir Technologie für den einmaligen Gebrauch entwickelt haben, etwa für eine bestimmte Mission", sagt Wolfgang Pawlinetz, Leiter des Thermal- und Mechanismengeschäfts von Beyond Gravity Österreich. "Wir haben für jedes neue Projekt neu zu entwickeln begonnen und dabei immer das Entwicklungsrisiko getragen." Das soll jetzt anders werden. Man wolle weg vom Projektdenken hin zu einer Produktorientierung, wie sie in anderen Industrien längst selbstverständlich ist. Statt das Rad immer neu zu erfinden, setzt man auf Modularisierung und standardisierte Komponenten und Prozesse in der Produktion.

Starthilfe gegen Vibrationen

Erstes Ergebnis dieses neuen Paradigmas ist der neu entwickelte Mechanismus Appmax2, der namensgebend zwei Achsen zur Positionierung des Satellitentriebwerks besitzt. Der Schwenkbereich beträgt +/- 15 Grad, die zulässige Triebwerksmasse reicht von 1,3 bis 50 Kilogramm. Der Mechanismus selbst wiegt in der kleinsten Variante zwei Kilogramm, in der größten knapp 30. Als eine Besonderheit benötigt das Produkt keine Haltevorrichtung für den Start. Beim Raketenstart treten nämlich extrem starke Vibrationen auf.

Um den Mechanismus vor Schäden zu schützen, verwenden andere Hersteller eine Halterung, die ihn fixiert. Das funktioniert, allerdings hat man ein zusätzliches Bauteil an Bord, was das Gesamtgewicht erhöht und potenziell ausfallgefährdet ist. Die Wiener haben demgegenüber eine Lösung ersonnen, die gänzlich ohne Halterung auskommt. Dabei werden die beiden Arme des Mechanismus, die von jeweils einem Antrieb angesteuert werden und die triebwerkstragende Plattform bewegen, eingefahren und über eine Kniehebelverriegelung in sicherer Position fixiert.

Produktion für Raumstation

Während in der Vergangenheit Mechanismen gebaut wurden, die aus bis zu 6.000 Einzelteile bestanden, sind es bei dem neu entwickelten Produkt nur noch 900. Das erlaubt eine wesentlich kürzere Fertigungszeit. 18 Monate dauert es von Bestellung bis Lieferung, was in der Branche als Expresszustellung gilt und Beyond Gravity nach eigenen Angaben derzeit vom Mitbewerb abhebt. Von den Appmax2-Mechanismen wurden bereits Stückzahlen im zweistelligen Bereich verkauft. Auch die geplante Raumstation Lunar Orbital Platform-Gateway, die künftig den Mond umkreisen soll, wird diese Technologie an Bord haben und ein 50 Kilogramm schweres Triebwerk steuern.

beyond gravity Reinraum
Am Freitag wurde die verdoppelte Reinraumfläche von Beyond Gravity offiziell eröffnet.
Anna Rauchenberger/Beyond Gravity

Das nächste serienmäßige Produkt ist bereits in der Pipeline – ein dreiachsiger Mechanismus. Diesen benötigt man für große geostationäre Satelliten, deren Bahn sich in einer Höhe von etwa 36.000 Kilometer befindet. Rund 40 Mechanismen beider Typen sollen in den kommenden drei bis vier Jahren in Wien gebaut werden. Wobei das große Wachstum bei den Zweichachsern für kleine Satelliten bis 300 Kilogramm Gewicht erwartet wird.

Export in die USA

"Ohne die Erweiterung unseres Reinraums hätten wir dafür nicht die nötigen Kapazitäten gehabt", sagt Pawlinetz. Die Entwicklung des neuen Mechanismus wurde maßgeblich durch Förderung seitens der Agentur für Luft- und Raumfahrt der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ermöglicht, betont man seitens Beyond Gravity. Rund 15 Millionen Euro Unterstützung gab es während der vergangenen Jahre aus Mitteln des für Raumfahrt zuständigen Klimaschutzministeriums.

Offenbar gut angelegtes Geld, denn bisher liegen Bestellungen in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro vor. "Das ist ein sehr guter Hebel", meint Pawlinetz. "Und es hat uns erst ermöglicht, auch in den amerikanischen Markt einzusteigen, der zehnmal größer ist als der europäische." (Raimund Lang, 8.4.2024)